Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li- centiat F ... zu mir; und von einer Thorheit zur andern gieng ich endlich so weit, daß ich ihm meinen Brief, den ich an Sie geschrieben hatte, vorlas "Habs lang ge- sagt, mags aber auch wohl wiederhol'n, fieng er an, wie ich auf den Onkle Schöps kam, wir sind alle solche Schöps'n. Wenn ein' unglückliche Person die Mien' hat, daß sie uns beschwerlich fall'n wird, und diese Mien' hat ein' jede, so lang' sie ein'n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile überführt: so will man sie stracks zur Kinderwärterin abwürdigen; 's ist hier keine Hülfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht, und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert werden, als man geben kann. Besser also fluchs als langsam gebroch'n, und sich Undank erkauft. Mag sie 's doch sich selbst zurechnen, daß man ihr aus dem Gleise weicht, könnts ja gescheuter anfangen; 'n mal auch wol zweenmal hilft man ihr wol, aber dann ists auch aus, ihr Unglück kümmert ein'n weiter nicht. Wenn man aber weiß, daß die Person ihre tausend und ein Bedürfnisse so gemin- dert hat, daß sie von dem Krautkopfe, den sie noch übrig hat, satt wird: o so freut's ein'n zu helfen; man läuft ihr überall entgeg'n, hält ihr den ofnen Beutel zu, und ist bey meiner Treu ein großmüthiger Patron. Das Helfen und Trösten ist dann so süß, das Zutrauen so bequem, alles was man thut würkt so a propos, Dankbarkeit und Wohl- thun begegnen sich so herzlich; daß es eine rechte Kraftsuppe vor mich ist, wenn ich die gröste Wohlthat in eine verfluchte Schuldigkeit verwandeln kann ...
Ich
Die Politik im Ungluͤck.
XII.
H .. den 26 Maͤrz 1774.
Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li- centiat F … zu mir; und von einer Thorheit zur andern gieng ich endlich ſo weit, daß ich ihm meinen Brief, den ich an Sie geſchrieben hatte, vorlas ”Habs lang ge- ſagt, mags aber auch wohl wiederhol’n, fieng er an, wie ich auf den Onkle Schoͤps kam, wir ſind alle ſolche Schoͤpſ’n. Wenn ein’ ungluͤckliche Perſon die Mien’ hat, daß ſie uns beſchwerlich fall’n wird, und dieſe Mien’ hat ein’ jede, ſo lang’ ſie ein’n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile uͤberfuͤhrt: ſo will man ſie ſtracks zur Kinderwaͤrterin abwuͤrdigen; ’s iſt hier keine Huͤlfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht, und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert werden, als man geben kann. Beſſer alſo fluchs als langſam gebroch’n, und ſich Undank erkauft. Mag ſie ’s doch ſich ſelbſt zurechnen, daß man ihr aus dem Gleiſe weicht, koͤnnts ja geſcheuter anfangen; ’n mal auch wol zweenmal hilft man ihr wol, aber dann iſts auch aus, ihr Ungluͤck kuͤmmert ein’n weiter nicht. Wenn man aber weiß, daß die Perſon ihre tauſend und ein Beduͤrfniſſe ſo gemin- dert hat, daß ſie von dem Krautkopfe, den ſie noch uͤbrig hat, ſatt wird: o ſo freut’s ein’n zu helfen; man laͤuft ihr uͤberall entgeg’n, haͤlt ihr den ofnen Beutel zu, und iſt bey meiner Treu ein großmuͤthiger Patron. Das Helfen und Troͤſten iſt dann ſo ſuͤß, das Zutrauen ſo bequem, alles was man thut wuͤrkt ſo a propos, Dankbarkeit und Wohl- thun begegnen ſich ſo herzlich; daß es eine rechte Kraftſuppe vor mich iſt, wenn ich die groͤſte Wohlthat in eine verfluchte Schuldigkeit verwandeln kann …
Ich
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Die Politik im Ungluͤck.
XII.
H .. den 26 Maͤrz 1774.
Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li-
centiat F … zu mir; und von einer Thorheit zur
andern gieng ich endlich ſo weit, daß ich ihm meinen Brief,
den ich an Sie geſchrieben hatte, vorlas ”Habs lang ge-
ſagt, mags aber auch wohl wiederhol’n, fieng er an, wie
ich auf den Onkle Schoͤps kam, wir ſind alle ſolche Schoͤpſ’n.
Wenn ein’ ungluͤckliche Perſon die Mien’ hat, daß ſie uns
beſchwerlich fall’n wird, und dieſe Mien’ hat ein’ jede, ſo
lang’ ſie ein’n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile uͤberfuͤhrt:
ſo will man ſie ſtracks zur Kinderwaͤrterin abwuͤrdigen; ’s
iſt hier keine Huͤlfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht,
und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert
werden, als man geben kann. Beſſer alſo fluchs als
langſam gebroch’n, und ſich Undank erkauft. Mag ſie
’s doch ſich ſelbſt zurechnen, daß man ihr aus dem Gleiſe
weicht, koͤnnts ja geſcheuter anfangen; ’n mal auch wol
zweenmal hilft man ihr wol, aber dann iſts auch aus, ihr
Ungluͤck kuͤmmert ein’n weiter nicht. Wenn man aber weiß,
daß die Perſon ihre tauſend und ein Beduͤrfniſſe ſo gemin-
dert hat, daß ſie von dem Krautkopfe, den ſie noch uͤbrig
hat, ſatt wird: o ſo freut’s ein’n zu helfen; man laͤuft ihr
uͤberall entgeg’n, haͤlt ihr den ofnen Beutel zu, und iſt
bey meiner Treu ein großmuͤthiger Patron. Das Helfen
und Troͤſten iſt dann ſo ſuͤß, das Zutrauen ſo bequem, alles
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/50>, abgerufen am 21.12.2024.
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