Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Erziehung
sich zieht. Die Gelehrten des vorigen Jahrhunderts hatten
noch Ackerbau, aber in diesem hat die Schreiberey so über-
hand genommen, daß sie von dem Morgen bis in den
Abend, wie angeschmiedet auf einer Stelle sitzen, und mit
der Feder rudern müssen.

Was kann also für die künftige Nachkommenschaft heil-
samer und nöthiger seyn, als allen Kindern, die wir zum
Studiren verdammen, zugleich eine Kunst, welche eine
körperliche Uebung erfordert, lernen zu lassen, und ihnen
dadurch früh eine Neigung zu dem einzigen Mittel, ihre
Gesundheit zu erhalten, beyzubringen?



XXXII.
Die Erziehung mag wohl sclavisch seyn.

Es ist wunderbar, wie weit uns oft eine glänzende Theo-
rie verführen kann. Wenn einer das Laufen lernen
soll: so läßt man ihn in schweren Schuen und im gepflügten
Lande laufen, dagegen aber sollen Kinder, woraus man
grosse Männer ziehen will, alles spielend fassen. Es wird
ihnen alles so süß und so leicht gemacht, sie durchfliegen den
Kreis aller Wissenschaften, oder die so beliebt gewordenen
Encyclopedien, so früh und so kühn, man bewundert die
Wissenschaften, welche die Kinder auf ihren Rollwagen
führen, so ausnehmend, daß man denken sollte, der rö-
mische Redner, welcher seine Brust erst lange Jahr unter
einer bleyernen Platte arbeiten ließ, um sie hernach mit de-
sto mehrerer Macht heben zu können, sey ein grosser Narr
gewesen, und hätte besser gethan, die Wissenschaft in ei-
nem Calender zu studiren. Was kommt aber bey diesen
unserm spielenden Lernen heraus? Süßes Gewäsche, leichte

Phan-

Die Erziehung
ſich zieht. Die Gelehrten des vorigen Jahrhunderts hatten
noch Ackerbau, aber in dieſem hat die Schreiberey ſo uͤber-
hand genommen, daß ſie von dem Morgen bis in den
Abend, wie angeſchmiedet auf einer Stelle ſitzen, und mit
der Feder rudern muͤſſen.

Was kann alſo fuͤr die kuͤnftige Nachkommenſchaft heil-
ſamer und noͤthiger ſeyn, als allen Kindern, die wir zum
Studiren verdammen, zugleich eine Kunſt, welche eine
koͤrperliche Uebung erfordert, lernen zu laſſen, und ihnen
dadurch fruͤh eine Neigung zu dem einzigen Mittel, ihre
Geſundheit zu erhalten, beyzubringen?



XXXII.
Die Erziehung mag wohl ſclaviſch ſeyn.

Es iſt wunderbar, wie weit uns oft eine glaͤnzende Theo-
rie verfuͤhren kann. Wenn einer das Laufen lernen
ſoll: ſo laͤßt man ihn in ſchweren Schuen und im gepfluͤgten
Lande laufen, dagegen aber ſollen Kinder, woraus man
groſſe Maͤnner ziehen will, alles ſpielend faſſen. Es wird
ihnen alles ſo ſuͤß und ſo leicht gemacht, ſie durchfliegen den
Kreis aller Wiſſenſchaften, oder die ſo beliebt gewordenen
Encyclopedien, ſo fruͤh und ſo kuͤhn, man bewundert die
Wiſſenſchaften, welche die Kinder auf ihren Rollwagen
fuͤhren, ſo ausnehmend, daß man denken ſollte, der roͤ-
miſche Redner, welcher ſeine Bruſt erſt lange Jahr unter
einer bleyernen Platte arbeiten ließ, um ſie hernach mit de-
ſto mehrerer Macht heben zu koͤnnen, ſey ein groſſer Narr
geweſen, und haͤtte beſſer gethan, die Wiſſenſchaft in ei-
nem Calender zu ſtudiren. Was kommt aber bey dieſen
unſerm ſpielenden Lernen heraus? Suͤßes Gewaͤſche, leichte

Phan-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0148" n="134"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Erziehung</hi></fw><lb/>
&#x017F;ich zieht. Die Gelehrten des vorigen Jahrhunderts hatten<lb/>
noch Ackerbau, aber in die&#x017F;em hat die Schreiberey &#x017F;o u&#x0364;ber-<lb/>
hand genommen, daß &#x017F;ie von dem Morgen bis in den<lb/>
Abend, wie ange&#x017F;chmiedet auf einer Stelle &#x017F;itzen, und mit<lb/>
der Feder rudern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Was kann al&#x017F;o fu&#x0364;r die ku&#x0364;nftige Nachkommen&#x017F;chaft heil-<lb/>
&#x017F;amer und no&#x0364;thiger &#x017F;eyn, als allen Kindern, die wir zum<lb/>
Studiren verdammen, zugleich eine Kun&#x017F;t, welche eine<lb/>
ko&#x0364;rperliche Uebung erfordert, lernen zu la&#x017F;&#x017F;en, und ihnen<lb/>
dadurch fru&#x0364;h eine Neigung zu dem einzigen Mittel, ihre<lb/>
Ge&#x017F;undheit zu erhalten, beyzubringen?</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XXXII.</hi><lb/>
Die Erziehung mag wohl &#x017F;clavi&#x017F;ch &#x017F;eyn.</hi> </head><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t wunderbar, wie weit uns oft eine gla&#x0364;nzende Theo-<lb/>
rie verfu&#x0364;hren kann. Wenn einer das Laufen lernen<lb/>
&#x017F;oll: &#x017F;o la&#x0364;ßt man ihn in &#x017F;chweren Schuen und im gepflu&#x0364;gten<lb/>
Lande laufen, dagegen aber &#x017F;ollen Kinder, woraus man<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Ma&#x0364;nner ziehen will, alles <hi rendition="#fr">&#x017F;pielend</hi> fa&#x017F;&#x017F;en. Es wird<lb/>
ihnen alles &#x017F;o &#x017F;u&#x0364;ß und &#x017F;o leicht gemacht, &#x017F;ie durchfliegen den<lb/>
Kreis aller Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, oder die &#x017F;o beliebt gewordenen<lb/>
Encyclopedien, &#x017F;o fru&#x0364;h und &#x017F;o ku&#x0364;hn, man bewundert die<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, welche die Kinder auf ihren Rollwagen<lb/>
fu&#x0364;hren, &#x017F;o ausnehmend, daß man denken &#x017F;ollte, der ro&#x0364;-<lb/>
mi&#x017F;che Redner, welcher &#x017F;eine Bru&#x017F;t er&#x017F;t lange Jahr unter<lb/>
einer bleyernen Platte arbeiten ließ, um &#x017F;ie hernach mit de-<lb/>
&#x017F;to mehrerer Macht heben zu ko&#x0364;nnen, &#x017F;ey ein gro&#x017F;&#x017F;er Narr<lb/>
gewe&#x017F;en, und ha&#x0364;tte be&#x017F;&#x017F;er gethan, die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft in ei-<lb/>
nem Calender zu &#x017F;tudiren. Was kommt aber bey die&#x017F;en<lb/>
un&#x017F;erm &#x017F;pielenden Lernen heraus? Su&#x0364;ßes Gewa&#x0364;&#x017F;che, leichte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Phan-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0148] Die Erziehung ſich zieht. Die Gelehrten des vorigen Jahrhunderts hatten noch Ackerbau, aber in dieſem hat die Schreiberey ſo uͤber- hand genommen, daß ſie von dem Morgen bis in den Abend, wie angeſchmiedet auf einer Stelle ſitzen, und mit der Feder rudern muͤſſen. Was kann alſo fuͤr die kuͤnftige Nachkommenſchaft heil- ſamer und noͤthiger ſeyn, als allen Kindern, die wir zum Studiren verdammen, zugleich eine Kunſt, welche eine koͤrperliche Uebung erfordert, lernen zu laſſen, und ihnen dadurch fruͤh eine Neigung zu dem einzigen Mittel, ihre Geſundheit zu erhalten, beyzubringen? XXXII. Die Erziehung mag wohl ſclaviſch ſeyn. Es iſt wunderbar, wie weit uns oft eine glaͤnzende Theo- rie verfuͤhren kann. Wenn einer das Laufen lernen ſoll: ſo laͤßt man ihn in ſchweren Schuen und im gepfluͤgten Lande laufen, dagegen aber ſollen Kinder, woraus man groſſe Maͤnner ziehen will, alles ſpielend faſſen. Es wird ihnen alles ſo ſuͤß und ſo leicht gemacht, ſie durchfliegen den Kreis aller Wiſſenſchaften, oder die ſo beliebt gewordenen Encyclopedien, ſo fruͤh und ſo kuͤhn, man bewundert die Wiſſenſchaften, welche die Kinder auf ihren Rollwagen fuͤhren, ſo ausnehmend, daß man denken ſollte, der roͤ- miſche Redner, welcher ſeine Bruſt erſt lange Jahr unter einer bleyernen Platte arbeiten ließ, um ſie hernach mit de- ſto mehrerer Macht heben zu koͤnnen, ſey ein groſſer Narr geweſen, und haͤtte beſſer gethan, die Wiſſenſchaft in ei- nem Calender zu ſtudiren. Was kommt aber bey dieſen unſerm ſpielenden Lernen heraus? Suͤßes Gewaͤſche, leichte Phan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/148
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/148>, abgerufen am 21.12.2024.