ohne weiter Rechenschaft zu geben. Man entweicht dadurch dem Angriffe mit Gründen, welchen man oft nichts entgegen setzen kan, weil die Gegengründe unter dem Siegel der Ver- schwiegenheit liegen; und man entgeht dem Raisonniren, das zuletzt nur gar zu leicht auf die Seite einer anscheinenden Billigkeit tritt, und womit man sich selten in einer gefährli- chen Versuchung rettet.
LXXXVIII. Eine Hypothese zur bessern Aufklärung der alten deutschen Criminaljurisdiction.
Wenn man alles dasjenige gelesen hat, was von der Hohen und Niedern Gerichtsbarkeit geschrieben wor- den: so hat man zwar freylich sehr vieles und mehr als Her- kules gethan, aber doch noch keinen so vollständigen Begriff von der Sache erlangt, daß man sich wider alle Zweifel be- ruhigen, und zu sich selbst sagen kan: ich sehe alles deutlich ein. Mir ist es wenigstens so gegangen; bis ich endlich nach vielen aufgebaueten und wieder eingerissenen Systemchen auf eine ganz besondre Vermuthung gerathen, welche mir die Sache am besten aufzuklären schien; und womit ich wenig- stens auf manchem dunkeln Wege Licht gefunden habe.
Auf diese Vermuthung brachte mich zuerst folgende Stelle in den Capitularien.
Si quis necessitate cogente homicidium commisit, comes in cuius ministerio res perpetrata est, et com- positionem solvere et faidam per Sacramentum paci-
fica-
G g 3
Alſo iſt der Dienſteyd nicht abzuſchaffen.
ohne weiter Rechenſchaft zu geben. Man entweicht dadurch dem Angriffe mit Gruͤnden, welchen man oft nichts entgegen ſetzen kan, weil die Gegengruͤnde unter dem Siegel der Ver- ſchwiegenheit liegen; und man entgeht dem Raiſonniren, das zuletzt nur gar zu leicht auf die Seite einer anſcheinenden Billigkeit tritt, und womit man ſich ſelten in einer gefaͤhrli- chen Verſuchung rettet.
LXXXVIII. Eine Hypotheſe zur beſſern Aufklaͤrung der alten deutſchen Criminaljurisdiction.
Wenn man alles dasjenige geleſen hat, was von der Hohen und Niedern Gerichtsbarkeit geſchrieben wor- den: ſo hat man zwar freylich ſehr vieles und mehr als Her- kules gethan, aber doch noch keinen ſo vollſtaͤndigen Begriff von der Sache erlangt, daß man ſich wider alle Zweifel be- ruhigen, und zu ſich ſelbſt ſagen kan: ich ſehe alles deutlich ein. Mir iſt es wenigſtens ſo gegangen; bis ich endlich nach vielen aufgebaueten und wieder eingeriſſenen Syſtemchen auf eine ganz beſondre Vermuthung gerathen, welche mir die Sache am beſten aufzuklaͤren ſchien; und womit ich wenig- ſtens auf manchem dunkeln Wege Licht gefunden habe.
Auf dieſe Vermuthung brachte mich zuerſt folgende Stelle in den Capitularien.
Si quis neceſſitate cogente homicidium commiſit, comes in cuius miniſterio res perpetrata eſt, et com- poſitionem ſolvere et faidam per Sacramentum paci-
fica-
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Alſo iſt der Dienſteyd nicht abzuſchaffen.
ohne weiter Rechenſchaft zu geben. Man entweicht dadurch
dem Angriffe mit Gruͤnden, welchen man oft nichts entgegen
ſetzen kan, weil die Gegengruͤnde unter dem Siegel der Ver-
ſchwiegenheit liegen; und man entgeht dem Raiſonniren, das
zuletzt nur gar zu leicht auf die Seite einer anſcheinenden
Billigkeit tritt, und womit man ſich ſelten in einer gefaͤhrli-
chen Verſuchung rettet.
LXXXVIII.
Eine Hypotheſe zur beſſern Aufklaͤrung der
alten deutſchen Criminaljurisdiction.
Wenn man alles dasjenige geleſen hat, was von der
Hohen und Niedern Gerichtsbarkeit geſchrieben wor-
den: ſo hat man zwar freylich ſehr vieles und mehr als Her-
kules gethan, aber doch noch keinen ſo vollſtaͤndigen Begriff
von der Sache erlangt, daß man ſich wider alle Zweifel be-
ruhigen, und zu ſich ſelbſt ſagen kan: ich ſehe alles deutlich
ein. Mir iſt es wenigſtens ſo gegangen; bis ich endlich nach
vielen aufgebaueten und wieder eingeriſſenen Syſtemchen auf
eine ganz beſondre Vermuthung gerathen, welche mir die
Sache am beſten aufzuklaͤren ſchien; und womit ich wenig-
ſtens auf manchem dunkeln Wege Licht gefunden habe.
Auf dieſe Vermuthung brachte mich zuerſt folgende Stelle
in den Capitularien.
Si quis neceſſitate cogente homicidium commiſit,
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/487>, abgerufen am 22.02.2025.
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