XXXX. Vorschlag zu einer Practica für das Landvolk.
Ich habe mich mehrmals darüber gewundert, warum nicht jede Landesobrigkeit für jede Provinz, in so fern die- selbe besondere Gewohnheiten und Gesetze hat, einen kurzen und deutlichen Unterricht für das Landvolk schreiben und dru- cken läßt, worinn die ihm vorkommenden Rechtsfälle nach sei- nen Begriffen erörtert und zugleich gute Räthe und Mittel sich zu helfen vorgeschrieben würden, auf den Fuß, wie Tissot es in Absicht auf die Erhaltung der Gesundheit gethan hat. Ein solches Werk, wenn es von alten erfahrnen Männern geschrieben und obrigkeitlich bestätiget würde, müste unstreitig von großen Nutzen seyn, und manchen Layen der Rechts- gelehrsamkeit von unnützen Processen abhalten, oder doch dafür verwahren können. Die gegenwärtigen Zeiten haben vieles in andern Stücken zum Unterricht des Landvolks her- vorgebracht. Sie haben ihm die Mittel eröfnet, sich in Nothfällen, wo es keinen Arzt haben kan, selbst zu helfen; sie haben ihm den Bau verschiedener Futterkräuter, die Cultur der Maulbeerbäume, die Bienenzucht, das Branteweinbren- nen und viele andre ökonomische Vortheile in besondern klei- nen Schriften deutlich und begreiflich gemacht. Warum soll- ten sie denn nicht endlich auch ein gleiches in Absicht auf die ihn betreffende Rechtsfälle thun? Warum soll dieser Theil des menschlichen Unterrichts, der doch für die gemeine Wohl- fart so wichtig ist, allein ein Geheimniß der Geschwornen seyn? Und was kan man für Gründe anführen, die wenige Sorge, welche man hierinn für das Landvolk in den mehrsten
Pro-
S 5
Vorſchlag zu einer Practica fuͤr das Landvolk.
XXXX. Vorſchlag zu einer Practica fuͤr das Landvolk.
Ich habe mich mehrmals daruͤber gewundert, warum nicht jede Landesobrigkeit fuͤr jede Provinz, in ſo fern die- ſelbe beſondere Gewohnheiten und Geſetze hat, einen kurzen und deutlichen Unterricht fuͤr das Landvolk ſchreiben und dru- cken laͤßt, worinn die ihm vorkommenden Rechtsfaͤlle nach ſei- nen Begriffen eroͤrtert und zugleich gute Raͤthe und Mittel ſich zu helfen vorgeſchrieben wuͤrden, auf den Fuß, wie Tiſſot es in Abſicht auf die Erhaltung der Geſundheit gethan hat. Ein ſolches Werk, wenn es von alten erfahrnen Maͤnnern geſchrieben und obrigkeitlich beſtaͤtiget wuͤrde, muͤſte unſtreitig von großen Nutzen ſeyn, und manchen Layen der Rechts- gelehrſamkeit von unnuͤtzen Proceſſen abhalten, oder doch dafuͤr verwahren koͤnnen. Die gegenwaͤrtigen Zeiten haben vieles in andern Stuͤcken zum Unterricht des Landvolks her- vorgebracht. Sie haben ihm die Mittel eroͤfnet, ſich in Nothfaͤllen, wo es keinen Arzt haben kan, ſelbſt zu helfen; ſie haben ihm den Bau verſchiedener Futterkraͤuter, die Cultur der Maulbeerbaͤume, die Bienenzucht, das Branteweinbren- nen und viele andre oͤkonomiſche Vortheile in beſondern klei- nen Schriften deutlich und begreiflich gemacht. Warum ſoll- ten ſie denn nicht endlich auch ein gleiches in Abſicht auf die ihn betreffende Rechtsfaͤlle thun? Warum ſoll dieſer Theil des menſchlichen Unterrichts, der doch fuͤr die gemeine Wohl- fart ſo wichtig iſt, allein ein Geheimniß der Geſchwornen ſeyn? Und was kan man fuͤr Gruͤnde anfuͤhren, die wenige Sorge, welche man hierinn fuͤr das Landvolk in den mehrſten
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Vorſchlag zu einer Practica fuͤr das Landvolk.
XXXX.
Vorſchlag zu einer Practica fuͤr
das Landvolk.
Ich habe mich mehrmals daruͤber gewundert, warum nicht
jede Landesobrigkeit fuͤr jede Provinz, in ſo fern die-
ſelbe beſondere Gewohnheiten und Geſetze hat, einen kurzen
und deutlichen Unterricht fuͤr das Landvolk ſchreiben und dru-
cken laͤßt, worinn die ihm vorkommenden Rechtsfaͤlle nach ſei-
nen Begriffen eroͤrtert und zugleich gute Raͤthe und Mittel
ſich zu helfen vorgeſchrieben wuͤrden, auf den Fuß, wie Tiſſot
es in Abſicht auf die Erhaltung der Geſundheit gethan hat.
Ein ſolches Werk, wenn es von alten erfahrnen Maͤnnern
geſchrieben und obrigkeitlich beſtaͤtiget wuͤrde, muͤſte unſtreitig
von großen Nutzen ſeyn, und manchen Layen der Rechts-
gelehrſamkeit von unnuͤtzen Proceſſen abhalten, oder doch
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vieles in andern Stuͤcken zum Unterricht des Landvolks her-
vorgebracht. Sie haben ihm die Mittel eroͤfnet, ſich in
Nothfaͤllen, wo es keinen Arzt haben kan, ſelbſt zu helfen;
ſie haben ihm den Bau verſchiedener Futterkraͤuter, die Cultur
der Maulbeerbaͤume, die Bienenzucht, das Branteweinbren-
nen und viele andre oͤkonomiſche Vortheile in beſondern klei-
nen Schriften deutlich und begreiflich gemacht. Warum ſoll-
ten ſie denn nicht endlich auch ein gleiches in Abſicht auf die
ihn betreffende Rechtsfaͤlle thun? Warum ſoll dieſer Theil
des menſchlichen Unterrichts, der doch fuͤr die gemeine Wohl-
fart ſo wichtig iſt, allein ein Geheimniß der Geſchwornen
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/299>, abgerufen am 03.12.2024.
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