Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Glück der Bettler.
entbehren könnte, welch ein schöner Viehstapel könnte nicht
dafür angelegt werden? Allein kaum ist die eine tod: so
nimmt man schon eine andre wieder. Es ist ein wunderli-
ches Ding.



X.
Das Glück der Bettler.

Neulich sah ich einen Handwerksmann mit seiner Frauen
bereits um 4 Uhr des Morgens in seiner Werkstätte an
der Arbeit. Der Mann schien mir munter und zufrieden zu
seyn, die Frau aber mit einer gewissen ängstlichen Eilfertigkeit
zu spinnen. Auf eine kleine Warnung: sie würde sich auf
diese Weise überarbeiten: antwortete sie mit seufzen: Ach ich
habe acht lebendige Kinder. Und in dem Augenblick traten
die vier ältesten schon munter herein um zu beten und zu ar-
beiten. Der Anblick war überaus rührend; und der Mann
erzählte mir mit einem anständigen Stolze, wie sauer er es
sich werden liesse, als ein ehrlicher Mann mit den Seinigen
durch die Welt zu kommen; und wie sichtbar Gott seinen
Fleiß und Ordnung segnete. Wir haben, setzt er hinzu, im
Anfange oft Wasser und Brod gegessen; waren aber gesund
und freudig dabey; bis uns endlich GOtt mit Kindern seg-
nete, und mein täglicher Verdienst mit ihnen zunahm. Sauer
ist es mir geworden, schloß er; Blutsauer! aber ich habe
Brod, und bin vergnügt..

Ich verglich hiemit eine Scene, die mir einmal zu Lon-
den in einem Speisekeller, im Kirchspiele St. Giles aufge-
stossen ist. Herr Schuter, ein berühmter Acteur auf dem
Schauplatze in Covent-Garten, welcher damals eben die nie-

drigen

Das Gluͤck der Bettler.
entbehren koͤnnte, welch ein ſchoͤner Viehſtapel koͤnnte nicht
dafuͤr angelegt werden? Allein kaum iſt die eine tod: ſo
nimmt man ſchon eine andre wieder. Es iſt ein wunderli-
ches Ding.



X.
Das Gluͤck der Bettler.

Neulich ſah ich einen Handwerksmann mit ſeiner Frauen
bereits um 4 Uhr des Morgens in ſeiner Werkſtaͤtte an
der Arbeit. Der Mann ſchien mir munter und zufrieden zu
ſeyn, die Frau aber mit einer gewiſſen aͤngſtlichen Eilfertigkeit
zu ſpinnen. Auf eine kleine Warnung: ſie wuͤrde ſich auf
dieſe Weiſe uͤberarbeiten: antwortete ſie mit ſeufzen: Ach ich
habe acht lebendige Kinder. Und in dem Augenblick traten
die vier aͤlteſten ſchon munter herein um zu beten und zu ar-
beiten. Der Anblick war uͤberaus ruͤhrend; und der Mann
erzaͤhlte mir mit einem anſtaͤndigen Stolze, wie ſauer er es
ſich werden lieſſe, als ein ehrlicher Mann mit den Seinigen
durch die Welt zu kommen; und wie ſichtbar Gott ſeinen
Fleiß und Ordnung ſegnete. Wir haben, ſetzt er hinzu, im
Anfange oft Waſſer und Brod gegeſſen; waren aber geſund
und freudig dabey; bis uns endlich GOtt mit Kindern ſeg-
nete, und mein taͤglicher Verdienſt mit ihnen zunahm. Sauer
iſt es mir geworden, ſchloß er; Blutſauer! aber ich habe
Brod, und bin vergnuͤgt..

Ich verglich hiemit eine Scene, die mir einmal zu Lon-
den in einem Speiſekeller, im Kirchſpiele St. Giles aufge-
ſtoſſen iſt. Herr Schuter, ein beruͤhmter Acteur auf dem
Schauplatze in Covent-Garten, welcher damals eben die nie-

drigen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0088" n="70"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Glu&#x0364;ck der Bettler.</hi></fw><lb/>
entbehren ko&#x0364;nnte, welch ein &#x017F;cho&#x0364;ner Vieh&#x017F;tapel ko&#x0364;nnte nicht<lb/>
dafu&#x0364;r angelegt werden? Allein kaum i&#x017F;t die eine tod: &#x017F;o<lb/>
nimmt man &#x017F;chon eine andre wieder. Es i&#x017F;t ein wunderli-<lb/>
ches Ding.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">X.</hi><lb/>
Das Glu&#x0364;ck der Bettler.</hi> </head><lb/>
        <p>Neulich &#x017F;ah ich einen Handwerksmann mit &#x017F;einer Frauen<lb/>
bereits um 4 Uhr des Morgens in &#x017F;einer Werk&#x017F;ta&#x0364;tte an<lb/>
der Arbeit. Der Mann &#x017F;chien mir munter und zufrieden zu<lb/>
&#x017F;eyn, die Frau aber mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en a&#x0364;ng&#x017F;tlichen Eilfertigkeit<lb/>
zu &#x017F;pinnen. Auf eine kleine Warnung: &#x017F;ie wu&#x0364;rde &#x017F;ich auf<lb/>
die&#x017F;e Wei&#x017F;e u&#x0364;berarbeiten: antwortete &#x017F;ie mit &#x017F;eufzen: Ach ich<lb/>
habe acht lebendige Kinder. Und in dem Augenblick traten<lb/>
die vier a&#x0364;lte&#x017F;ten &#x017F;chon munter herein um zu beten und zu ar-<lb/>
beiten. Der Anblick war u&#x0364;beraus ru&#x0364;hrend; und der Mann<lb/>
erza&#x0364;hlte mir mit einem an&#x017F;ta&#x0364;ndigen Stolze, wie &#x017F;auer er es<lb/>
&#x017F;ich werden lie&#x017F;&#x017F;e, als ein ehrlicher Mann mit den Seinigen<lb/>
durch die Welt zu kommen; und wie &#x017F;ichtbar Gott &#x017F;einen<lb/>
Fleiß und Ordnung &#x017F;egnete. Wir haben, &#x017F;etzt er hinzu, im<lb/>
Anfange oft Wa&#x017F;&#x017F;er und Brod gege&#x017F;&#x017F;en; waren aber ge&#x017F;und<lb/>
und freudig dabey; bis uns endlich GOtt mit Kindern &#x017F;eg-<lb/>
nete, und mein ta&#x0364;glicher Verdien&#x017F;t mit ihnen zunahm. Sauer<lb/>
i&#x017F;t es mir geworden, &#x017F;chloß er; Blut&#x017F;auer! aber ich habe<lb/>
Brod, und bin vergnu&#x0364;gt..</p><lb/>
        <p>Ich verglich hiemit eine Scene, die mir einmal zu Lon-<lb/>
den in einem Spei&#x017F;ekeller, im Kirch&#x017F;piele St. Giles aufge-<lb/>
&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t. Herr Schuter, ein beru&#x0364;hmter Acteur auf dem<lb/>
Schauplatze in Covent-Garten, welcher damals eben die nie-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">drigen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0088] Das Gluͤck der Bettler. entbehren koͤnnte, welch ein ſchoͤner Viehſtapel koͤnnte nicht dafuͤr angelegt werden? Allein kaum iſt die eine tod: ſo nimmt man ſchon eine andre wieder. Es iſt ein wunderli- ches Ding. X. Das Gluͤck der Bettler. Neulich ſah ich einen Handwerksmann mit ſeiner Frauen bereits um 4 Uhr des Morgens in ſeiner Werkſtaͤtte an der Arbeit. Der Mann ſchien mir munter und zufrieden zu ſeyn, die Frau aber mit einer gewiſſen aͤngſtlichen Eilfertigkeit zu ſpinnen. Auf eine kleine Warnung: ſie wuͤrde ſich auf dieſe Weiſe uͤberarbeiten: antwortete ſie mit ſeufzen: Ach ich habe acht lebendige Kinder. Und in dem Augenblick traten die vier aͤlteſten ſchon munter herein um zu beten und zu ar- beiten. Der Anblick war uͤberaus ruͤhrend; und der Mann erzaͤhlte mir mit einem anſtaͤndigen Stolze, wie ſauer er es ſich werden lieſſe, als ein ehrlicher Mann mit den Seinigen durch die Welt zu kommen; und wie ſichtbar Gott ſeinen Fleiß und Ordnung ſegnete. Wir haben, ſetzt er hinzu, im Anfange oft Waſſer und Brod gegeſſen; waren aber geſund und freudig dabey; bis uns endlich GOtt mit Kindern ſeg- nete, und mein taͤglicher Verdienſt mit ihnen zunahm. Sauer iſt es mir geworden, ſchloß er; Blutſauer! aber ich habe Brod, und bin vergnuͤgt.. Ich verglich hiemit eine Scene, die mir einmal zu Lon- den in einem Speiſekeller, im Kirchſpiele St. Giles aufge- ſtoſſen iſt. Herr Schuter, ein beruͤhmter Acteur auf dem Schauplatze in Covent-Garten, welcher damals eben die nie- drigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/88
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/88>, abgerufen am 23.11.2024.