Endlich ist es mir, Gott Lob! gelungen, meine Frau hat ihre Puppen fortgeschickt, und diese Veränderung macht ihrer Erzie- hung noch die meiste Ehre. Das Kam- mermädgen hat die Gelegenheit dazu ge- geben. Sie und meine Frau waren des Nachmittags spatzieren, oder wie sie es nennen, philosophiren gewesen, und erstere war bey ihrer Wiederkunft mit einem Absatze ein klein wenig in die Mistpfütze gerathen. Ich stand eben vor der Thür, aber ohne bemerket zu werden, und da gieng es nun an ein erzehlen, an ein lachen, und an ein leben, das fast eine Stunde währete; alles über die kleine Geschichte von dem Fuße und der Mistgrube. Meine Frau ergetzte sich mit, und es war nicht anders, als wenn die Kinder einen Vogel gefangen hätten. Ich trat endlich hervor und sagte: Es thut mir leid! aber Louise, die Kuh blökt so sehr; will sie nicht einmal zusehen, was ihr fehlt? Das wäre eine artige Commißion, sagte das schnäppische Mädgen, und fragte mich, ob ich wohl jemals eine Dame mit einer Kapriole und einer Saloppe im Kuhstalle gesehen hätte? Ich schwieg, und dach- te, es ist noch nicht Zeit. Wie aber das Kammermädgen eine eigne Tafel verlangte, und die kleine Magd, welche ihr
zur
Mösers patr. Phantas.I.Th. A
I. Schreiben an meinen Herrn Schwie- gervater.
Endlich iſt es mir, Gott Lob! gelungen, meine Frau hat ihre Puppen fortgeſchickt, und dieſe Veraͤnderung macht ihrer Erzie- hung noch die meiſte Ehre. Das Kam- mermaͤdgen hat die Gelegenheit dazu ge- geben. Sie und meine Frau waren des Nachmittags ſpatzieren, oder wie ſie es nennen, philoſophiren geweſen, und erſtere war bey ihrer Wiederkunft mit einem Abſatze ein klein wenig in die Miſtpfuͤtze gerathen. Ich ſtand eben vor der Thuͤr, aber ohne bemerket zu werden, und da gieng es nun an ein erzehlen, an ein lachen, und an ein leben, das faſt eine Stunde waͤhrete; alles uͤber die kleine Geſchichte von dem Fuße und der Miſtgrube. Meine Frau ergetzte ſich mit, und es war nicht anders, als wenn die Kinder einen Vogel gefangen haͤtten. Ich trat endlich hervor und ſagte: Es thut mir leid! aber Louiſe, die Kuh bloͤkt ſo ſehr; will ſie nicht einmal zuſehen, was ihr fehlt? Das waͤre eine artige Commißion, ſagte das ſchnaͤppiſche Maͤdgen, und fragte mich, ob ich wohl jemals eine Dame mit einer Kapriole und einer Saloppe im Kuhſtalle geſehen haͤtte? Ich ſchwieg, und dach- te, es iſt noch nicht Zeit. Wie aber das Kammermaͤdgen eine eigne Tafel verlangte, und die kleine Magd, welche ihr
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Möſers patr. Phantaſ.I.Th. A
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I.
Schreiben an meinen Herrn Schwie-
gervater.
Endlich iſt es mir, Gott Lob! gelungen, meine
Frau hat ihre Puppen fortgeſchickt, und
dieſe Veraͤnderung macht ihrer Erzie-
hung noch die meiſte Ehre. Das Kam-
mermaͤdgen hat die Gelegenheit dazu ge-
geben. Sie und meine Frau waren des Nachmittags
ſpatzieren, oder wie ſie es nennen, philoſophiren geweſen,
und erſtere war bey ihrer Wiederkunft mit einem Abſatze ein
klein wenig in die Miſtpfuͤtze gerathen. Ich ſtand eben vor
der Thuͤr, aber ohne bemerket zu werden, und da gieng es
nun an ein erzehlen, an ein lachen, und an ein leben, das faſt
eine Stunde waͤhrete; alles uͤber die kleine Geſchichte von
dem Fuße und der Miſtgrube. Meine Frau ergetzte ſich mit,
und es war nicht anders, als wenn die Kinder einen Vogel
gefangen haͤtten. Ich trat endlich hervor und ſagte: Es
thut mir leid! aber Louiſe, die Kuh bloͤkt ſo ſehr; will ſie
nicht einmal zuſehen, was ihr fehlt? Das waͤre eine artige
Commißion, ſagte das ſchnaͤppiſche Maͤdgen, und fragte mich,
ob ich wohl jemals eine Dame mit einer Kapriole und einer
Saloppe im Kuhſtalle geſehen haͤtte? Ich ſchwieg, und dach-
te, es iſt noch nicht Zeit. Wie aber das Kammermaͤdgen
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/19>, abgerufen am 21.11.2024.
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