Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768.

Bild:
<< vorherige Seite
zweyter Abschnitt.
an die Reichs-Gerichte sollten entsagen können? Dies
Recht hat jede Gesellschaft; und bloß in casu fractae pacis
vel denegatae aut protractae justitiae
tritt das Amt der
Reichs- und Landes-Obrigkeiten ein. Einige Reichs-
Stände haben ein Privilegium de non appellando vom
Kayser genommen; dies wäre aber nicht nöthig gewesen,
wenn alle ihre Unterthanen einmüthig darin gewilli-
get hätten. Wie weit der Kayser die Einwilligung der-
selben ex plenitudine ersetzen können, ist hier nicht zu un-
tersuchen. Vor 300 Jahren ist von keinem Holtings-
oder Gödings-Spruch in dem heutigen Verstande appel-
lirt worden. Alle Obrigkeit steht wie der Priester S.
§. 39 bloß zwischen den Jnnungen.
§. 74.
Von ihren Wohnungen.

Die Wohnung eines gemeinen Bauren ist in ihren
Plan so vollkommen, daß solche gar keiner Verbesse-
rung fähig ist, und zum Muster dienen kann. Der
Heerd ist fast in der Mitte des Hauses, und so an-
gelegt, daß die Frau welche bey demselben sitzt, zu
gleicher Zeit alles übersehen kann. Ein so grosser und
bequemer Gesichts-punkt ist in keiner andern Art von
Gebäuden. Ohne von ihrem Stuhle aufzustehen,
übersieht sie zu gleicher Zeit drey Thüren, dankt de-
nen die hereinkommen, heißt solche bey sich nieder-
sitzen, behält ihre Kinder und Gesinde, ihre Pferde
und Kühe im Augc, hütet Keller und Kammer, spin-
net immerfort, und kocht dabey. Jhre Schlaf-stelle
ist hinter diesem Feuer, und sie behält aus derselben
eben diese grosse Aussicht, sieht ihr Gesinde zur Ar-
beit aufstehn, und sich niederlegen, das Feuer ver-
löschen und anbrennen, und alle Thüren auf- und zu-
gehen, höret ihr Vieh fressen, und beachtet Keller

und
K 4
zweyter Abſchnitt.
an die Reichs-Gerichte ſollten entſagen koͤnnen? Dies
Recht hat jede Geſellſchaft; und bloß in caſu fractæ pacis
vel denegatæ aut protractæ juſtitiæ
tritt das Amt der
Reichs- und Landes-Obrigkeiten ein. Einige Reichs-
Staͤnde haben ein Privilegium de non appellando vom
Kayſer genommen; dies waͤre aber nicht noͤthig geweſen,
wenn alle ihre Unterthanen einmuͤthig darin gewilli-
get haͤtten. Wie weit der Kayſer die Einwilligung der-
ſelben ex plenitudine erſetzen koͤnnen, iſt hier nicht zu un-
terſuchen. Vor 300 Jahren iſt von keinem Holtings-
oder Goͤdings-Spruch in dem heutigen Verſtande appel-
lirt worden. Alle Obrigkeit ſteht wie der Prieſter S.
§. 39 bloß zwiſchen den Jnnungen.
§. 74.
Von ihren Wohnungen.

Die Wohnung eines gemeinen Bauren iſt in ihren
Plan ſo vollkommen, daß ſolche gar keiner Verbeſſe-
rung faͤhig iſt, und zum Muſter dienen kann. Der
Heerd iſt faſt in der Mitte des Hauſes, und ſo an-
gelegt, daß die Frau welche bey demſelben ſitzt, zu
gleicher Zeit alles uͤberſehen kann. Ein ſo groſſer und
bequemer Geſichts-punkt iſt in keiner andern Art von
Gebaͤuden. Ohne von ihrem Stuhle aufzuſtehen,
uͤberſieht ſie zu gleicher Zeit drey Thuͤren, dankt de-
nen die hereinkommen, heißt ſolche bey ſich nieder-
ſitzen, behaͤlt ihre Kinder und Geſinde, ihre Pferde
und Kuͤhe im Augc, huͤtet Keller und Kammer, ſpin-
net immerfort, und kocht dabey. Jhre Schlaf-ſtelle
iſt hinter dieſem Feuer, und ſie behaͤlt aus derſelben
eben dieſe groſſe Ausſicht, ſieht ihr Geſinde zur Ar-
beit aufſtehn, und ſich niederlegen, das Feuer ver-
loͤſchen und anbrennen, und alle Thuͤren auf- und zu-
gehen, hoͤret ihr Vieh freſſen, und beachtet Keller

und
K 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <note place="end" n="(g)"><pb facs="#f0181" n="151"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zweyter Ab&#x017F;chnitt.</hi></fw><lb/>
an die Reichs-Gerichte &#x017F;ollten ent&#x017F;agen ko&#x0364;nnen? Dies<lb/>
Recht hat jede Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft; und bloß <hi rendition="#aq">in ca&#x017F;u fractæ pacis<lb/>
vel denegatæ aut protractæ ju&#x017F;titiæ</hi> tritt das Amt der<lb/>
Reichs- und Landes-Obrigkeiten ein. Einige Reichs-<lb/>
Sta&#x0364;nde haben ein <hi rendition="#aq">Privilegium de non appellando</hi> vom<lb/>
Kay&#x017F;er genommen; dies wa&#x0364;re aber nicht no&#x0364;thig gewe&#x017F;en,<lb/>
wenn alle ihre Unterthanen <hi rendition="#fr">einmu&#x0364;thig</hi> darin gewilli-<lb/>
get ha&#x0364;tten. Wie weit der Kay&#x017F;er die Einwilligung der-<lb/>
&#x017F;elben <hi rendition="#aq">ex plenitudine</hi> er&#x017F;etzen ko&#x0364;nnen, i&#x017F;t hier nicht zu un-<lb/>
ter&#x017F;uchen. Vor 300 Jahren i&#x017F;t von keinem Holtings-<lb/>
oder Go&#x0364;dings-Spruch in dem heutigen Ver&#x017F;tande appel-<lb/>
lirt worden. Alle Obrigkeit &#x017F;teht wie der Prie&#x017F;ter S.<lb/>
§. 39 bloß <hi rendition="#fr">zwi&#x017F;chen</hi> den Jnnungen.</note>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 74.<lb/><hi rendition="#b">Von ihren Wohnungen.</hi></head><lb/>
          <p>Die Wohnung eines gemeinen Bauren i&#x017F;t in ihren<lb/>
Plan &#x017F;o vollkommen, daß &#x017F;olche gar keiner Verbe&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
rung fa&#x0364;hig i&#x017F;t, und zum Mu&#x017F;ter dienen kann. Der<lb/>
Heerd i&#x017F;t fa&#x017F;t in der Mitte des Hau&#x017F;es, und &#x017F;o an-<lb/>
gelegt, daß die Frau welche bey dem&#x017F;elben &#x017F;itzt, zu<lb/>
gleicher Zeit alles u&#x0364;ber&#x017F;ehen kann. Ein &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;er und<lb/>
bequemer Ge&#x017F;ichts-punkt i&#x017F;t in keiner andern Art von<lb/>
Geba&#x0364;uden. Ohne von ihrem Stuhle aufzu&#x017F;tehen,<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;ieht &#x017F;ie zu gleicher Zeit drey Thu&#x0364;ren, dankt de-<lb/>
nen die hereinkommen, heißt &#x017F;olche bey &#x017F;ich nieder-<lb/>
&#x017F;itzen, beha&#x0364;lt ihre Kinder und Ge&#x017F;inde, ihre Pferde<lb/>
und Ku&#x0364;he im Augc, hu&#x0364;tet Keller und Kammer, &#x017F;pin-<lb/>
net immerfort, und kocht dabey. Jhre Schlaf-&#x017F;telle<lb/>
i&#x017F;t hinter die&#x017F;em Feuer, und &#x017F;ie beha&#x0364;lt aus der&#x017F;elben<lb/>
eben die&#x017F;e gro&#x017F;&#x017F;e Aus&#x017F;icht, &#x017F;ieht ihr Ge&#x017F;inde zur Ar-<lb/>
beit auf&#x017F;tehn, und &#x017F;ich niederlegen, das Feuer ver-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;chen und anbrennen, und alle Thu&#x0364;ren auf- und zu-<lb/>
gehen, ho&#x0364;ret ihr Vieh fre&#x017F;&#x017F;en, und beachtet Keller<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 4</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0181] zweyter Abſchnitt. ⁽g⁾ an die Reichs-Gerichte ſollten entſagen koͤnnen? Dies Recht hat jede Geſellſchaft; und bloß in caſu fractæ pacis vel denegatæ aut protractæ juſtitiæ tritt das Amt der Reichs- und Landes-Obrigkeiten ein. Einige Reichs- Staͤnde haben ein Privilegium de non appellando vom Kayſer genommen; dies waͤre aber nicht noͤthig geweſen, wenn alle ihre Unterthanen einmuͤthig darin gewilli- get haͤtten. Wie weit der Kayſer die Einwilligung der- ſelben ex plenitudine erſetzen koͤnnen, iſt hier nicht zu un- terſuchen. Vor 300 Jahren iſt von keinem Holtings- oder Goͤdings-Spruch in dem heutigen Verſtande appel- lirt worden. Alle Obrigkeit ſteht wie der Prieſter S. §. 39 bloß zwiſchen den Jnnungen. §. 74. Von ihren Wohnungen. Die Wohnung eines gemeinen Bauren iſt in ihren Plan ſo vollkommen, daß ſolche gar keiner Verbeſſe- rung faͤhig iſt, und zum Muſter dienen kann. Der Heerd iſt faſt in der Mitte des Hauſes, und ſo an- gelegt, daß die Frau welche bey demſelben ſitzt, zu gleicher Zeit alles uͤberſehen kann. Ein ſo groſſer und bequemer Geſichts-punkt iſt in keiner andern Art von Gebaͤuden. Ohne von ihrem Stuhle aufzuſtehen, uͤberſieht ſie zu gleicher Zeit drey Thuͤren, dankt de- nen die hereinkommen, heißt ſolche bey ſich nieder- ſitzen, behaͤlt ihre Kinder und Geſinde, ihre Pferde und Kuͤhe im Augc, huͤtet Keller und Kammer, ſpin- net immerfort, und kocht dabey. Jhre Schlaf-ſtelle iſt hinter dieſem Feuer, und ſie behaͤlt aus derſelben eben dieſe groſſe Ausſicht, ſieht ihr Geſinde zur Ar- beit aufſtehn, und ſich niederlegen, das Feuer ver- loͤſchen und anbrennen, und alle Thuͤren auf- und zu- gehen, hoͤret ihr Vieh freſſen, und beachtet Keller und K 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/181
Zitationshilfe: Möser, Justus: Osnabrückische Geschichte. Osnabrück, 1768, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_osnabrueck_1768/181>, abgerufen am 21.11.2024.