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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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liche Gestalt in mein Zimmer schlüpfte, diese Arme
sie empfingen und sie mit ersticktem Athem rief: "Da
bin ich! da bin ich Unglückliche! beginne mit mir,
was du willst!"

In Kurzem saßen wir im Wagen; erst fuhr ich
allein eine Strecke weit vor die Stadt und erwartete
sie dort. Wir reis'ten den Tag und die Nacht hin-
durch und sind vor der Hand weit genug, um nichts
mehr zu fürchten. Aber welche Roth, welche süße
Noth hatt' ich, den Jammer des holden Geschöpfs
zu mäßigen. Sie schien jezt erst den ungeheuren
Schritt zu überdenken, den sie für mich gewagt, sie
quälte sich mit den bittersten Vorwürfen und dann
wieder lachte sie mitten durch Thränen, mit Leiden-
schaft mich an sich pressend. So kamen wir gegen
Tagesanbruch im Grenzorte B. ermüdet an. Ich
schreibe dieß in einem elenden Gasthof, indessen Los-
kine
nicht weit von mir auf schlechtem Lager eines
kurzen Schlafs genießt. Getrost, gutes Herz, in we-
nig Tagen zeig' ich dir eine Heimath. Du sollst die
Fürstin meines Hauses seyn, wir wollen zusammen
ein Himmelreich gründen, und die Meinung der Welt
soll mich nicht hindern, der Seligste unter den Men-
schen zu seyn.


Hier brach das Tagebuch des Malers ab. Der
Pfarrer machte eine Pause und Jungfer Ernestine
sagte: "Er brachte sie also ins Vaterland und nahm

liche Geſtalt in mein Zimmer ſchlüpfte, dieſe Arme
ſie empfingen und ſie mit erſticktem Athem rief: „Da
bin ich! da bin ich Unglückliche! beginne mit mir,
was du willſt!“

In Kurzem ſaßen wir im Wagen; erſt fuhr ich
allein eine Strecke weit vor die Stadt und erwartete
ſie dort. Wir reiſ’ten den Tag und die Nacht hin-
durch und ſind vor der Hand weit genug, um nichts
mehr zu fürchten. Aber welche Roth, welche ſüße
Noth hatt’ ich, den Jammer des holden Geſchöpfs
zu mäßigen. Sie ſchien jezt erſt den ungeheuren
Schritt zu überdenken, den ſie für mich gewagt, ſie
quälte ſich mit den bitterſten Vorwürfen und dann
wieder lachte ſie mitten durch Thränen, mit Leiden-
ſchaft mich an ſich preſſend. So kamen wir gegen
Tagesanbruch im Grenzorte B. ermüdet an. Ich
ſchreibe dieß in einem elenden Gaſthof, indeſſen Los-
kine
nicht weit von mir auf ſchlechtem Lager eines
kurzen Schlafs genießt. Getroſt, gutes Herz, in we-
nig Tagen zeig’ ich dir eine Heimath. Du ſollſt die
Fürſtin meines Hauſes ſeyn, wir wollen zuſammen
ein Himmelreich gründen, und die Meinung der Welt
ſoll mich nicht hindern, der Seligſte unter den Men-
ſchen zu ſeyn.


Hier brach das Tagebuch des Malers ab. Der
Pfarrer machte eine Pauſe und Jungfer Erneſtine
ſagte: „Er brachte ſie alſo ins Vaterland und nahm

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[316/0324] liche Geſtalt in mein Zimmer ſchlüpfte, dieſe Arme ſie empfingen und ſie mit erſticktem Athem rief: „Da bin ich! da bin ich Unglückliche! beginne mit mir, was du willſt!“ In Kurzem ſaßen wir im Wagen; erſt fuhr ich allein eine Strecke weit vor die Stadt und erwartete ſie dort. Wir reiſ’ten den Tag und die Nacht hin- durch und ſind vor der Hand weit genug, um nichts mehr zu fürchten. Aber welche Roth, welche ſüße Noth hatt’ ich, den Jammer des holden Geſchöpfs zu mäßigen. Sie ſchien jezt erſt den ungeheuren Schritt zu überdenken, den ſie für mich gewagt, ſie quälte ſich mit den bitterſten Vorwürfen und dann wieder lachte ſie mitten durch Thränen, mit Leiden- ſchaft mich an ſich preſſend. So kamen wir gegen Tagesanbruch im Grenzorte B. ermüdet an. Ich ſchreibe dieß in einem elenden Gaſthof, indeſſen Los- kine nicht weit von mir auf ſchlechtem Lager eines kurzen Schlafs genießt. Getroſt, gutes Herz, in we- nig Tagen zeig’ ich dir eine Heimath. Du ſollſt die Fürſtin meines Hauſes ſeyn, wir wollen zuſammen ein Himmelreich gründen, und die Meinung der Welt ſoll mich nicht hindern, der Seligſte unter den Men- ſchen zu ſeyn. Hier brach das Tagebuch des Malers ab. Der Pfarrer machte eine Pauſe und Jungfer Erneſtine ſagte: „Er brachte ſie alſo ins Vaterland und nahm

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/324>, abgerufen am 03.12.2024.