Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Reiss't mich dahin! Du Gott der Nacht, kommst du?
Was rauscht der See? was locken mich die Wellen --
Was für ein Bild? Ulmon, erkennst du dich?
Fahr hin! Du bist ein Gott! ..

(Bei den lezten Worten stieg Silpelitt in der Mitte des
See's mit einem großen Spiegel hervor, den sie ihm
entgegenhielt. Wie der König sich im Bildniß als
Knaben und dann als gekrönten Fürsten erblickt,
stürzt er unmächtig vom Felsen und versinkt im See.)

Das Spiel war beendigt. Das Pianoforte machte
nach einigen erhebenden Triumph-Passagen zulezt einen
wehmüthig beruhigenden Schluß, der den übrig ge-
bliebenen Eindruck vom Grame Thereilens mild ver-
klingen lassen sollte. Die Gesellschaft erhob sich unter
sehr getheilten Empfindungen. Einige, besonders die
Männer, klatschten den herzlichsten Beifall, drei oder
vier Gesichter sahen zweifelhaft aus und erwartungs-
voll, was Andere urtheilen würden. Schon während
der Vorstellung war hin und wieder ein befremdetes,
deutelndes Flüstern entstanden, jezt schienen ein paar
hochweise unglückverkündende Frauennasen nur auf
Constanzens Miene und Aeußerung gespannt, aber
sie zogen sich eilig wieder ein, als die liebenswürdige
Frau ganz munter und arglos, bald dem Schauspieler,
bald Theobalden das ungeheucheltste Lob ertheilte,
wobei die Mehrzahl der Männer und Damen fröhlich
mit einstimmte. Endlich konnten die Bedenklichen sich

14
Reiſſ’t mich dahin! Du Gott der Nacht, kommſt du?
Was rauſcht der See? was locken mich die Wellen —
Was für ein Bild? Ulmon, erkennſt du dich?
Fahr hin! Du biſt ein Gott! ..

(Bei den lezten Worten ſtieg Silpelitt in der Mitte des
See’s mit einem großen Spiegel hervor, den ſie ihm
entgegenhielt. Wie der König ſich im Bildniß als
Knaben und dann als gekrönten Fürſten erblickt,
ſtürzt er unmächtig vom Felſen und verſinkt im See.)

Das Spiel war beendigt. Das Pianoforte machte
nach einigen erhebenden Triumph-Paſſagen zulezt einen
wehmüthig beruhigenden Schluß, der den übrig ge-
bliebenen Eindruck vom Grame Thereilens mild ver-
klingen laſſen ſollte. Die Geſellſchaft erhob ſich unter
ſehr getheilten Empfindungen. Einige, beſonders die
Männer, klatſchten den herzlichſten Beifall, drei oder
vier Geſichter ſahen zweifelhaft aus und erwartungs-
voll, was Andere urtheilen würden. Schon während
der Vorſtellung war hin und wieder ein befremdetes,
deutelndes Flüſtern entſtanden, jezt ſchienen ein paar
hochweiſe unglückverkündende Frauennaſen nur auf
Conſtanzens Miene und Aeußerung geſpannt, aber
ſie zogen ſich eilig wieder ein, als die liebenswürdige
Frau ganz munter und arglos, bald dem Schauſpieler,
bald Theobalden das ungeheucheltſte Lob ertheilte,
wobei die Mehrzahl der Männer und Damen fröhlich
mit einſtimmte. Endlich konnten die Bedenklichen ſich

14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#koe">
              <p><pb facs="#f0217" n="209"/>
Rei&#x017F;&#x017F;&#x2019;t mich dahin! Du Gott der Nacht, komm&#x017F;t du?<lb/>
Was rau&#x017F;cht der See? was locken mich die Wellen &#x2014;<lb/>
Was für ein Bild? <hi rendition="#g">Ulmon</hi>, erkenn&#x017F;t du dich?<lb/>
Fahr hin! Du bi&#x017F;t ein Gott! ..</p><lb/>
              <stage>(Bei den lezten Worten &#x017F;tieg Silpelitt in der Mitte des<lb/>
See&#x2019;s mit einem großen Spiegel hervor, den &#x017F;ie ihm<lb/>
entgegenhielt. Wie der König &#x017F;ich im Bildniß als<lb/>
Knaben und dann als gekrönten Für&#x017F;ten erblickt,<lb/>
&#x017F;türzt er unmächtig vom Fel&#x017F;en und ver&#x017F;inkt im See.)</stage>
            </sp>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head/>
          <p>Das Spiel war beendigt. Das Pianoforte machte<lb/>
nach einigen erhebenden Triumph-Pa&#x017F;&#x017F;agen zulezt einen<lb/>
wehmüthig beruhigenden Schluß, der den übrig ge-<lb/>
bliebenen Eindruck vom Grame Thereilens mild ver-<lb/>
klingen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollte. Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft erhob &#x017F;ich unter<lb/>
&#x017F;ehr getheilten Empfindungen. Einige, be&#x017F;onders die<lb/>
Männer, klat&#x017F;chten den herzlich&#x017F;ten Beifall, drei oder<lb/>
vier Ge&#x017F;ichter &#x017F;ahen zweifelhaft aus und erwartungs-<lb/>
voll, was Andere urtheilen würden. Schon während<lb/>
der Vor&#x017F;tellung war hin und wieder ein befremdetes,<lb/>
deutelndes Flü&#x017F;tern ent&#x017F;tanden, jezt &#x017F;chienen ein paar<lb/>
hochwei&#x017F;e unglückverkündende Frauenna&#x017F;en nur auf<lb/><hi rendition="#g">Con&#x017F;tanzens</hi> Miene und Aeußerung ge&#x017F;pannt, aber<lb/>
&#x017F;ie zogen &#x017F;ich eilig wieder ein, als die liebenswürdige<lb/>
Frau ganz munter und arglos, bald dem Schau&#x017F;pieler,<lb/>
bald <hi rendition="#g">Theobalden</hi> das ungeheuchelt&#x017F;te Lob ertheilte,<lb/>
wobei die Mehrzahl der Männer und Damen fröhlich<lb/>
mit ein&#x017F;timmte. Endlich konnten die Bedenklichen &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0217] Reiſſ’t mich dahin! Du Gott der Nacht, kommſt du? Was rauſcht der See? was locken mich die Wellen — Was für ein Bild? Ulmon, erkennſt du dich? Fahr hin! Du biſt ein Gott! .. (Bei den lezten Worten ſtieg Silpelitt in der Mitte des See’s mit einem großen Spiegel hervor, den ſie ihm entgegenhielt. Wie der König ſich im Bildniß als Knaben und dann als gekrönten Fürſten erblickt, ſtürzt er unmächtig vom Felſen und verſinkt im See.) Das Spiel war beendigt. Das Pianoforte machte nach einigen erhebenden Triumph-Paſſagen zulezt einen wehmüthig beruhigenden Schluß, der den übrig ge- bliebenen Eindruck vom Grame Thereilens mild ver- klingen laſſen ſollte. Die Geſellſchaft erhob ſich unter ſehr getheilten Empfindungen. Einige, beſonders die Männer, klatſchten den herzlichſten Beifall, drei oder vier Geſichter ſahen zweifelhaft aus und erwartungs- voll, was Andere urtheilen würden. Schon während der Vorſtellung war hin und wieder ein befremdetes, deutelndes Flüſtern entſtanden, jezt ſchienen ein paar hochweiſe unglückverkündende Frauennaſen nur auf Conſtanzens Miene und Aeußerung geſpannt, aber ſie zogen ſich eilig wieder ein, als die liebenswürdige Frau ganz munter und arglos, bald dem Schauſpieler, bald Theobalden das ungeheucheltſte Lob ertheilte, wobei die Mehrzahl der Männer und Damen fröhlich mit einſtimmte. Endlich konnten die Bedenklichen ſich 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/217
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/217>, abgerufen am 21.12.2024.