Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ich nur mit stumpfem Finger
Ungelenk die Saiten rührte,
Sollt' ich dann nicht muthlos werden,
Daß ich stets ein Schüler bleibe?

Aber, Liebchen, sieh, bei dir
Bin ich plötzlich wie verwandelt,
Im erwärmten Winterstübchen
Bei dem Schimmer dieser Lampe,
Wo ich deinen Worten lausche,
Hold bescheidnen Liebesworten.
Wie du dann geruhig deine
Braunen Lockenhaare schlichtest,
Also legt sich schön geglättet
All dies wirre Bilderwesen,
All des Herzens eitle Sorge,
Viel-zertheiltes Thun und Denken.
Froh begeistert, leicht gefiedert,
Flieg' ich aus der Dichtung engen
Rosenbanden, daß ich nur
Noch in ihrem reinen Dufte,
Als im Elemente, lebe.
Oder, Mädchen, sage mir,
Bist du gar die Muse selber,
Die, wie wahre Dichtung pflegt,
Selbst unwissend, wer sie sey,
Mich in ihren Armen hält,
Daß ich selber, eins mit ihr,
Nur ein zart Gedicht erscheine?

Wenn ich nur mit ſtumpfem Finger
Ungelenk die Saiten ruͤhrte,
Sollt' ich dann nicht muthlos werden,
Daß ich ſtets ein Schuͤler bleibe?

Aber, Liebchen, ſieh, bei dir
Bin ich ploͤtzlich wie verwandelt,
Im erwaͤrmten Winterſtuͤbchen
Bei dem Schimmer dieſer Lampe,
Wo ich deinen Worten lauſche,
Hold beſcheidnen Liebesworten.
Wie du dann geruhig deine
Braunen Lockenhaare ſchlichteſt,
Alſo legt ſich ſchoͤn geglaͤttet
All dies wirre Bilderweſen,
All des Herzens eitle Sorge,
Viel-zertheiltes Thun und Denken.
Froh begeiſtert, leicht gefiedert,
Flieg' ich aus der Dichtung engen
Roſenbanden, daß ich nur
Noch in ihrem reinen Dufte,
Als im Elemente, lebe.
Oder, Maͤdchen, ſage mir,
Biſt du gar die Muſe ſelber,
Die, wie wahre Dichtung pflegt,
Selbſt unwiſſend, wer ſie ſey,
Mich in ihren Armen haͤlt,
Daß ich ſelber, eins mit ihr,
Nur ein zart Gedicht erſcheine?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="2">
            <pb facs="#f0026" n="10"/>
            <l>Wenn ich nur mit &#x017F;tumpfem Finger</l><lb/>
            <l>Ungelenk die Saiten ru&#x0364;hrte,</l><lb/>
            <l>Sollt' ich dann nicht muthlos werden,</l><lb/>
            <l>Daß ich &#x017F;tets ein Schu&#x0364;ler bleibe?</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l>Aber, Liebchen, &#x017F;ieh, bei dir</l><lb/>
            <l>Bin ich plo&#x0364;tzlich wie verwandelt,</l><lb/>
            <l>Im erwa&#x0364;rmten Winter&#x017F;tu&#x0364;bchen</l><lb/>
            <l>Bei dem Schimmer die&#x017F;er Lampe,</l><lb/>
            <l>Wo ich deinen Worten lau&#x017F;che,</l><lb/>
            <l>Hold be&#x017F;cheidnen Liebesworten.</l><lb/>
            <l>Wie du dann geruhig deine</l><lb/>
            <l>Braunen Lockenhaare &#x017F;chlichte&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Al&#x017F;o legt &#x017F;ich &#x017F;cho&#x0364;n gegla&#x0364;ttet</l><lb/>
            <l>All dies wirre Bilderwe&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>All des Herzens eitle Sorge,</l><lb/>
            <l>Viel-zertheiltes Thun und Denken.</l><lb/>
            <l>Froh begei&#x017F;tert, leicht gefiedert,</l><lb/>
            <l>Flieg' ich aus der Dichtung engen</l><lb/>
            <l>Ro&#x017F;enbanden, daß ich nur</l><lb/>
            <l>Noch in ihrem reinen Dufte,</l><lb/>
            <l>Als im Elemente, lebe.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="4">
            <l>Oder, Ma&#x0364;dchen, &#x017F;age mir,</l><lb/>
            <l>Bi&#x017F;t du gar die Mu&#x017F;e &#x017F;elber,</l><lb/>
            <l>Die, wie wahre Dichtung pflegt,</l><lb/>
            <l>Selb&#x017F;t unwi&#x017F;&#x017F;end, wer &#x017F;ie &#x017F;ey,</l><lb/>
            <l>Mich in ihren Armen ha&#x0364;lt,</l><lb/>
            <l>Daß ich &#x017F;elber, eins mit ihr,</l><lb/>
            <l>Nur ein zart Gedicht er&#x017F;cheine?</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0026] Wenn ich nur mit ſtumpfem Finger Ungelenk die Saiten ruͤhrte, Sollt' ich dann nicht muthlos werden, Daß ich ſtets ein Schuͤler bleibe? Aber, Liebchen, ſieh, bei dir Bin ich ploͤtzlich wie verwandelt, Im erwaͤrmten Winterſtuͤbchen Bei dem Schimmer dieſer Lampe, Wo ich deinen Worten lauſche, Hold beſcheidnen Liebesworten. Wie du dann geruhig deine Braunen Lockenhaare ſchlichteſt, Alſo legt ſich ſchoͤn geglaͤttet All dies wirre Bilderweſen, All des Herzens eitle Sorge, Viel-zertheiltes Thun und Denken. Froh begeiſtert, leicht gefiedert, Flieg' ich aus der Dichtung engen Roſenbanden, daß ich nur Noch in ihrem reinen Dufte, Als im Elemente, lebe. Oder, Maͤdchen, ſage mir, Biſt du gar die Muſe ſelber, Die, wie wahre Dichtung pflegt, Selbſt unwiſſend, wer ſie ſey, Mich in ihren Armen haͤlt, Daß ich ſelber, eins mit ihr, Nur ein zart Gedicht erſcheine?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/26
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/26>, abgerufen am 26.04.2024.