Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Suschens Vogel.
Ich hatt' ein Vöglein, ach wie fein!
Kein schöners mag wohl nimmer seyn:
Hätt' auf der Brust ein Herzlein roth,
Und sung und sung sich schier zu todt.
Herzvogel mein, so wunderschön,
Jezt sollt du mit zu Markte gehn! --
Und da ich durch das Städtlein kam,
Es saß auf meiner Achsel zahm;
Und als ich ging am Haus vorbei
Des Knaben, dem ich brach die Treu,
Der Knab' just aus dem Fenster sah,
Mit seinem Finger schnalzt er da:
Wie horchet gleich mein Vogel auf!
Zum Knaben fliegt er husch! hinauf;
Der koset ihn so lieb und hold,
Ich wußt nicht, was ich machen sollt,
Und stund, im Herzen so erschreckt,
Mit Händen mein Gesichte deckt',
Suschens Vogel.
Ich hatt' ein Voͤglein, ach wie fein!
Kein ſchoͤners mag wohl nimmer ſeyn:
Haͤtt' auf der Bruſt ein Herzlein roth,
Und ſung und ſung ſich ſchier zu todt.
Herzvogel mein, ſo wunderſchoͤn,
Jezt ſollt du mit zu Markte gehn! —
Und da ich durch das Staͤdtlein kam,
Es ſaß auf meiner Achſel zahm;
Und als ich ging am Haus vorbei
Des Knaben, dem ich brach die Treu,
Der Knab' juſt aus dem Fenſter ſah,
Mit ſeinem Finger ſchnalzt er da:
Wie horchet gleich mein Vogel auf!
Zum Knaben fliegt er huſch! hinauf;
Der koſet ihn ſo lieb und hold,
Ich wußt nicht, was ich machen ſollt,
Und ſtund, im Herzen ſo erſchreckt,
Mit Haͤnden mein Geſichte deckt',
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0059" n="43"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Suschens Vogel.</hi><lb/>
        </head>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Ich hatt' ein Vo&#x0364;glein, ach wie fein!</l><lb/>
            <l>Kein &#x017F;cho&#x0364;ners mag wohl nimmer &#x017F;eyn:</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="2">
            <l>Ha&#x0364;tt' auf der Bru&#x017F;t ein Herzlein roth,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ung und &#x017F;ung &#x017F;ich &#x017F;chier zu todt.</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="3">
            <l>Herzvogel mein, &#x017F;o wunder&#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
            <l>Jezt &#x017F;ollt du mit zu Markte gehn! &#x2014;</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="4">
            <l>Und da ich durch das Sta&#x0364;dtlein kam,</l><lb/>
            <l>Es &#x017F;aß auf meiner Ach&#x017F;el zahm;</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="5">
            <l>Und als ich ging am Haus vorbei</l><lb/>
            <l>Des Knaben, dem ich brach die Treu,</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="6">
            <l>Der Knab' ju&#x017F;t aus dem Fen&#x017F;ter &#x017F;ah,</l><lb/>
            <l>Mit &#x017F;einem Finger &#x017F;chnalzt er da:</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="7">
            <l>Wie horchet gleich mein Vogel auf!</l><lb/>
            <l>Zum Knaben fliegt er hu&#x017F;ch! hinauf;</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="8">
            <l>Der ko&#x017F;et ihn &#x017F;o lieb und hold,</l><lb/>
            <l>Ich wußt nicht, was ich machen &#x017F;ollt,</l><lb/>
          </lg>
          <lg n="9">
            <l>Und &#x017F;tund, im Herzen &#x017F;o er&#x017F;chreckt,</l><lb/>
            <l>Mit Ha&#x0364;nden mein Ge&#x017F;ichte deckt',</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0059] Suschens Vogel. Ich hatt' ein Voͤglein, ach wie fein! Kein ſchoͤners mag wohl nimmer ſeyn: Haͤtt' auf der Bruſt ein Herzlein roth, Und ſung und ſung ſich ſchier zu todt. Herzvogel mein, ſo wunderſchoͤn, Jezt ſollt du mit zu Markte gehn! — Und da ich durch das Staͤdtlein kam, Es ſaß auf meiner Achſel zahm; Und als ich ging am Haus vorbei Des Knaben, dem ich brach die Treu, Der Knab' juſt aus dem Fenſter ſah, Mit ſeinem Finger ſchnalzt er da: Wie horchet gleich mein Vogel auf! Zum Knaben fliegt er huſch! hinauf; Der koſet ihn ſo lieb und hold, Ich wußt nicht, was ich machen ſollt, Und ſtund, im Herzen ſo erſchreckt, Mit Haͤnden mein Geſichte deckt',

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/59
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/59>, abgerufen am 21.11.2024.