Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Der Knabe und das Immlein. Im Weinberg auf der Höhe Ein Häuslein steht so windebang, Hat weder Thür noch Fenster, Die Weile wird ihm lang. Und ist der Tag so schwüle, Sind all' verstummt die Vögelein; Summt an der Sonnenblume Ein Immlein ganz allein. Mein Lieb hat einen Garten, Da steht ein hübsches Immenhaus: Kommst du daher geflogen? Schickt sie dich nach mir aus? "O nein, du feiner Knabe, Es hieß mich Niemand Boten gehn; Dies Kind weiß nichts von Lieben, Hat dich noch kaum gesehn. Was wüßten auch die Mädchen,
Wenn sie kaum aus der Schule sind! Dein herzallerliebstes Schätzchen Ist noch ein Mutterkind. Der Knabe und das Immlein. Im Weinberg auf der Hoͤhe Ein Haͤuslein ſteht ſo windebang, Hat weder Thuͤr noch Fenſter, Die Weile wird ihm lang. Und iſt der Tag ſo ſchwuͤle, Sind all' verſtummt die Voͤgelein; Summt an der Sonnenblume Ein Immlein ganz allein. Mein Lieb hat einen Garten, Da ſteht ein huͤbſches Immenhaus: Kommſt du daher geflogen? Schickt ſie dich nach mir aus? „O nein, du feiner Knabe, Es hieß mich Niemand Boten gehn; Dies Kind weiß nichts von Lieben, Hat dich noch kaum geſehn. Was wuͤßten auch die Maͤdchen,
Wenn ſie kaum aus der Schule ſind! Dein herzallerliebſtes Schaͤtzchen Iſt noch ein Mutterkind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb n="12" facs="#f0028"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b #g">Der Knabe und das Immlein.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Im Weinberg auf der Hoͤhe</l><lb/> <l>Ein Haͤuslein ſteht ſo windebang,</l><lb/> <l>Hat weder Thuͤr noch Fenſter,</l><lb/> <l>Die Weile wird ihm lang.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Und iſt der Tag ſo ſchwuͤle,</l><lb/> <l>Sind all' verſtummt die Voͤgelein;</l><lb/> <l>Summt an der Sonnenblume</l><lb/> <l>Ein Immlein ganz allein.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Mein Lieb hat einen Garten,</l><lb/> <l>Da ſteht ein huͤbſches Immenhaus:</l><lb/> <l>Kommſt du daher geflogen?</l><lb/> <l>Schickt ſie dich nach mir aus?</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>„O nein, du feiner Knabe,</l><lb/> <l>Es hieß mich Niemand Boten gehn;</l><lb/> <l>Dies Kind weiß nichts von Lieben,</l><lb/> <l>Hat dich noch kaum geſehn.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Was wuͤßten auch die Maͤdchen,</l><lb/> <l>Wenn ſie kaum aus der Schule ſind!</l><lb/> <l>Dein herzallerliebſtes Schaͤtzchen</l><lb/> <l>Iſt noch ein Mutterkind.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [12/0028]
Der Knabe und das Immlein.
Im Weinberg auf der Hoͤhe
Ein Haͤuslein ſteht ſo windebang,
Hat weder Thuͤr noch Fenſter,
Die Weile wird ihm lang.
Und iſt der Tag ſo ſchwuͤle,
Sind all' verſtummt die Voͤgelein;
Summt an der Sonnenblume
Ein Immlein ganz allein.
Mein Lieb hat einen Garten,
Da ſteht ein huͤbſches Immenhaus:
Kommſt du daher geflogen?
Schickt ſie dich nach mir aus?
„O nein, du feiner Knabe,
Es hieß mich Niemand Boten gehn;
Dies Kind weiß nichts von Lieben,
Hat dich noch kaum geſehn.
Was wuͤßten auch die Maͤdchen,
Wenn ſie kaum aus der Schule ſind!
Dein herzallerliebſtes Schaͤtzchen
Iſt noch ein Mutterkind.
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/28>, abgerufen am 04.03.2025. |