Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.Der junge Dichter. Wenn der Schönheit sonst, der Anmuth Immer flüchtige Erscheinung Wie ein heller Glanz der Sonne Einmal vor die Sinne wieder Mit der Neuheit Zauber trat, Daß ein heimlich trunknes Jauchzen Mir der Ausdruck lautern Dankes Für solch süßes Daseyn war: O wie drang es da mich armen, Mich unmünd'gen Sohn Apollens, Dieses Alles auch in schöner, Abgeschlossener Gestaltung Fest, auf ewig festzuhalten, Es durch goldne Leierklänge So zum Einklang mit mir selber Umzubilden, neu zu schaffen, Daß ich, heiter wie ein Gott, Ueber der gediegnen Schöne, Die aus mir herausgetreten, Die ich ganz mein eigen nenne, Ruhig, klaren Auges schwebe. Doch, wenn mir das tief Empfundne Nicht alsbald so rein und völlig, Wie es in der Seele lebte, In des Dichters zweite Seele, Den Gesang, hinüberspielte, Der junge Dichter. Wenn der Schoͤnheit ſonſt, der Anmuth Immer fluͤchtige Erſcheinung Wie ein heller Glanz der Sonne Einmal vor die Sinne wieder Mit der Neuheit Zauber trat, Daß ein heimlich trunknes Jauchzen Mir der Ausdruck lautern Dankes Fuͤr ſolch ſuͤßes Daſeyn war: O wie drang es da mich armen, Mich unmuͤnd'gen Sohn Apollens, Dieſes Alles auch in ſchoͤner, Abgeſchloſſener Geſtaltung Feſt, auf ewig feſtzuhalten, Es durch goldne Leierklaͤnge So zum Einklang mit mir ſelber Umzubilden, neu zu ſchaffen, Daß ich, heiter wie ein Gott, Ueber der gediegnen Schoͤne, Die aus mir herausgetreten, Die ich ganz mein eigen nenne, Ruhig, klaren Auges ſchwebe. Doch, wenn mir das tief Empfundne Nicht alsbald ſo rein und voͤllig, Wie es in der Seele lebte, In des Dichters zweite Seele, Den Geſang, hinuͤberſpielte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb n="9" facs="#f0025"/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Der junge Dichter.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wenn der Schoͤnheit ſonſt, der Anmuth</l><lb/> <l>Immer fluͤchtige Erſcheinung</l><lb/> <l>Wie ein heller Glanz der Sonne</l><lb/> <l>Einmal vor die Sinne wieder</l><lb/> <l>Mit der Neuheit Zauber trat,</l><lb/> <l>Daß ein heimlich trunknes Jauchzen</l><lb/> <l>Mir der Ausdruck lautern Dankes</l><lb/> <l>Fuͤr ſolch ſuͤßes Daſeyn war:</l><lb/> <l>O wie drang es da mich armen,</l><lb/> <l>Mich unmuͤnd'gen Sohn Apollens,</l><lb/> <l>Dieſes Alles auch in ſchoͤner,</l><lb/> <l>Abgeſchloſſener Geſtaltung</l><lb/> <l>Feſt, auf ewig feſtzuhalten,</l><lb/> <l>Es durch goldne Leierklaͤnge</l><lb/> <l>So zum Einklang mit mir ſelber</l><lb/> <l>Umzubilden, neu zu ſchaffen,</l><lb/> <l>Daß ich, heiter wie ein Gott,</l><lb/> <l>Ueber der gediegnen Schoͤne,</l><lb/> <l>Die aus mir herausgetreten,</l><lb/> <l>Die ich ganz mein eigen nenne,</l><lb/> <l>Ruhig, klaren Auges ſchwebe.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Doch, wenn mir das tief Empfundne</l><lb/> <l>Nicht alsbald ſo rein und voͤllig,</l><lb/> <l>Wie es in der Seele lebte,</l><lb/> <l>In des Dichters zweite Seele,</l><lb/> <l>Den Geſang, hinuͤberſpielte,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [9/0025]
Der junge Dichter.
Wenn der Schoͤnheit ſonſt, der Anmuth
Immer fluͤchtige Erſcheinung
Wie ein heller Glanz der Sonne
Einmal vor die Sinne wieder
Mit der Neuheit Zauber trat,
Daß ein heimlich trunknes Jauchzen
Mir der Ausdruck lautern Dankes
Fuͤr ſolch ſuͤßes Daſeyn war:
O wie drang es da mich armen,
Mich unmuͤnd'gen Sohn Apollens,
Dieſes Alles auch in ſchoͤner,
Abgeſchloſſener Geſtaltung
Feſt, auf ewig feſtzuhalten,
Es durch goldne Leierklaͤnge
So zum Einklang mit mir ſelber
Umzubilden, neu zu ſchaffen,
Daß ich, heiter wie ein Gott,
Ueber der gediegnen Schoͤne,
Die aus mir herausgetreten,
Die ich ganz mein eigen nenne,
Ruhig, klaren Auges ſchwebe.
Doch, wenn mir das tief Empfundne
Nicht alsbald ſo rein und voͤllig,
Wie es in der Seele lebte,
In des Dichters zweite Seele,
Den Geſang, hinuͤberſpielte,
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Zitationshilfe: | Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/25>, abgerufen am 03.03.2025. |