Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Mährchen vom sichern Mann.

An Louis B.

Soll ich vom sicheren Mann ein Mährchen erzählen, so
höre!

-- Etliche sagen, ihn habe die steinerne Kröte geboren:
Also heißt ein mächtiger Fels in den Bergen des Schwarz¬
walds,

Bauchig und oben platt, der häßlichen Kröte vergleichbar.
Darin lag er und schlief bis nach den Tagen der Sünd¬
fluth.

Nämlich es war sein Vater ein Waldmensch, tückisch und
grausam,

Allen Göttern ein Gräul und allen Nymphen gefürchtet.
Ihm nicht völlig gleich ist der Sohn, doch immer ein Un¬
hold;

Riesenhaft an Gestalt, von breitem Rücken und Schultern.
Ehmals ging er fast nackt, unehrbarlich, aber seit Menschen-
Denken im grauen wollenen Rock, mit schrecklichen Stiefeln.
Graue Borsten träget sein Haupt, es starret der Bart ihm.
(Heimlich, so heißt's, besucht ihn der Igelslocher Balbierer
In der Höhle, wo er ihm dient wie der sorgsame Gärtner,
Wenn er die Hecken stuzt mit der unermeßlichen Scheere.)
Lauter Nichts ist sein Thun und voller thörichter Grillen:
Wenn er niedersteigt vom Gebirg bei nächtlicher Weile,
Laut mit sich selber redend, und oft ingrimmigen Herzens
Weg- und Meilenzeiger knickt mit Einem Fußtritt
Mährchen vom ſichern Mann.

An Louis B.

Soll ich vom ſicheren Mann ein Maͤhrchen erzaͤhlen, ſo
hoͤre!

— Etliche ſagen, ihn habe die ſteinerne Kroͤte geboren:
Alſo heißt ein maͤchtiger Fels in den Bergen des Schwarz¬
walds,

Bauchig und oben platt, der haͤßlichen Kroͤte vergleichbar.
Darin lag er und ſchlief bis nach den Tagen der Suͤnd¬
fluth.

Naͤmlich es war ſein Vater ein Waldmenſch, tuͤckiſch und
grauſam,

Allen Goͤttern ein Graͤul und allen Nymphen gefuͤrchtet.
Ihm nicht voͤllig gleich iſt der Sohn, doch immer ein Un¬
hold;

Rieſenhaft an Geſtalt, von breitem Ruͤcken und Schultern.
Ehmals ging er faſt nackt, unehrbarlich, aber ſeit Menſchen-
Denken im grauen wollenen Rock, mit ſchrecklichen Stiefeln.
Graue Borſten traͤget ſein Haupt, es ſtarret der Bart ihm.
(Heimlich, ſo heißt's, beſucht ihn der Igelslocher Balbierer
In der Hoͤhle, wo er ihm dient wie der ſorgſame Gaͤrtner,
Wenn er die Hecken ſtuzt mit der unermeßlichen Scheere.)
Lauter Nichts iſt ſein Thun und voller thoͤrichter Grillen:
Wenn er niederſteigt vom Gebirg bei naͤchtlicher Weile,
Laut mit ſich ſelber redend, und oft ingrimmigen Herzens
Weg- und Meilenzeiger knickt mit Einem Fußtritt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0191" n="175"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Mährchen vom &#x017F;ichern Mann.</hi><lb/>
        </head>
        <p rendition="#c">An Louis B.</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Soll ich vom &#x017F;icheren Mann ein Ma&#x0364;hrchen erza&#x0364;hlen, &#x017F;o<lb/><hi rendition="#et">ho&#x0364;re!</hi></l><lb/>
            <l>&#x2014; Etliche &#x017F;agen, ihn habe die &#x017F;teinerne Kro&#x0364;te geboren:</l><lb/>
            <l>Al&#x017F;o heißt ein ma&#x0364;chtiger Fels in den Bergen des Schwarz¬<lb/><hi rendition="#et">walds,</hi></l><lb/>
            <l>Bauchig und oben platt, der ha&#x0364;ßlichen Kro&#x0364;te vergleichbar.</l><lb/>
            <l>Darin lag er und &#x017F;chlief bis nach den Tagen der Su&#x0364;nd¬<lb/><hi rendition="#et">fluth.</hi></l><lb/>
            <l>Na&#x0364;mlich es war &#x017F;ein Vater ein Waldmen&#x017F;ch, tu&#x0364;cki&#x017F;ch und<lb/><hi rendition="#et">grau&#x017F;am,</hi></l><lb/>
            <l>Allen Go&#x0364;ttern ein Gra&#x0364;ul und allen Nymphen gefu&#x0364;rchtet.</l><lb/>
            <l>Ihm nicht vo&#x0364;llig gleich i&#x017F;t der Sohn, doch immer ein Un¬<lb/><hi rendition="#et">hold;</hi></l><lb/>
            <l>Rie&#x017F;enhaft an Ge&#x017F;talt, von breitem Ru&#x0364;cken und Schultern.</l><lb/>
            <l>Ehmals ging er fa&#x017F;t nackt, unehrbarlich, aber &#x017F;eit Men&#x017F;chen-</l><lb/>
            <l>Denken im grauen wollenen Rock, mit &#x017F;chrecklichen Stiefeln.</l><lb/>
            <l>Graue Bor&#x017F;ten tra&#x0364;get &#x017F;ein Haupt, es &#x017F;tarret der Bart ihm.</l><lb/>
            <l>(Heimlich, &#x017F;o heißt's, be&#x017F;ucht ihn der Igelslocher Balbierer</l><lb/>
            <l>In der Ho&#x0364;hle, wo er ihm dient wie der &#x017F;org&#x017F;ame Ga&#x0364;rtner,</l><lb/>
            <l>Wenn er die Hecken &#x017F;tuzt mit der unermeßlichen Scheere.)</l><lb/>
            <l>Lauter Nichts i&#x017F;t &#x017F;ein Thun und voller tho&#x0364;richter Grillen:</l><lb/>
            <l>Wenn er nieder&#x017F;teigt vom Gebirg bei na&#x0364;chtlicher Weile,</l><lb/>
            <l>Laut mit &#x017F;ich &#x017F;elber redend, und oft ingrimmigen Herzens</l><lb/>
            <l>Weg- und Meilenzeiger knickt mit Einem Fußtritt</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0191] Mährchen vom ſichern Mann. An Louis B. Soll ich vom ſicheren Mann ein Maͤhrchen erzaͤhlen, ſo hoͤre! — Etliche ſagen, ihn habe die ſteinerne Kroͤte geboren: Alſo heißt ein maͤchtiger Fels in den Bergen des Schwarz¬ walds, Bauchig und oben platt, der haͤßlichen Kroͤte vergleichbar. Darin lag er und ſchlief bis nach den Tagen der Suͤnd¬ fluth. Naͤmlich es war ſein Vater ein Waldmenſch, tuͤckiſch und grauſam, Allen Goͤttern ein Graͤul und allen Nymphen gefuͤrchtet. Ihm nicht voͤllig gleich iſt der Sohn, doch immer ein Un¬ hold; Rieſenhaft an Geſtalt, von breitem Ruͤcken und Schultern. Ehmals ging er faſt nackt, unehrbarlich, aber ſeit Menſchen- Denken im grauen wollenen Rock, mit ſchrecklichen Stiefeln. Graue Borſten traͤget ſein Haupt, es ſtarret der Bart ihm. (Heimlich, ſo heißt's, beſucht ihn der Igelslocher Balbierer In der Hoͤhle, wo er ihm dient wie der ſorgſame Gaͤrtner, Wenn er die Hecken ſtuzt mit der unermeßlichen Scheere.) Lauter Nichts iſt ſein Thun und voller thoͤrichter Grillen: Wenn er niederſteigt vom Gebirg bei naͤchtlicher Weile, Laut mit ſich ſelber redend, und oft ingrimmigen Herzens Weg- und Meilenzeiger knickt mit Einem Fußtritt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/191
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Gedichte. Stuttgart, 1838, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_gedichte_1838/191>, abgerufen am 03.12.2024.