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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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tausendmal! Sag ihr, daß ich ewig ihr gehöre,
wenn ich sie auch niemals wiedersehe! Sprich ihr
Muth ein und Geduld! -- Wie viel ist die Glocke?
Jch werd wohl bald fort müssen? Siegwart sagte,
daß es noch eine halbe oder dreyviertel Stunden
anstehen könne. -- Sie giengen mit einander auf
und ab; und sprachen wenig. Endlich kam der
Thorwart, und sagte, der Fuhrmann sey da. Nun
leb wohl, Liebster, Bester! sagte Kronhelm, und um-
armte Xavern. Vergiß mich nicht! Schreib mir
oft! Sie hiengen lang an einander, und sprachen
nichts. Als sie an P. Philipps Zimmer vorbey-
giengen, sagte Kronhelm: Grüß mir den lieben
Mann tausendmal! Segn' ihn tausendmal für alle
seine Liebe! -- An der Kutsche umarmten sie sich
noch einmal und schieden.

Siegwart eilte auf sein Zimmer zurück, um sei-
nem Schmerz freyen Lauf zu lassen. Er konnte sich
kaum mässigen, rang die Hände, sprach und weinte
laut. Endlich warf er sich auf seine Knie nieder:
Gott, du Vater aller! Segn' ihn! Tröst ihn!
Stärk ihn! Er ist der edelste, der beste Mensch.
Segn' ihn! Stärk ihn! Tröst ihn! Jhn und mei-
ne Schwester! Mach die beyden glücklich! Ach, be-
lohn ihm alle Freundschaft, die er mir erwiesen hat!



tauſendmal! Sag ihr, daß ich ewig ihr gehoͤre,
wenn ich ſie auch niemals wiederſehe! Sprich ihr
Muth ein und Geduld! — Wie viel iſt die Glocke?
Jch werd wohl bald fort muͤſſen? Siegwart ſagte,
daß es noch eine halbe oder dreyviertel Stunden
anſtehen koͤnne. — Sie giengen mit einander auf
und ab; und ſprachen wenig. Endlich kam der
Thorwart, und ſagte, der Fuhrmann ſey da. Nun
leb wohl, Liebſter, Beſter! ſagte Kronhelm, und um-
armte Xavern. Vergiß mich nicht! Schreib mir
oft! Sie hiengen lang an einander, und ſprachen
nichts. Als ſie an P. Philipps Zimmer vorbey-
giengen, ſagte Kronhelm: Gruͤß mir den lieben
Mann tauſendmal! Segn’ ihn tauſendmal fuͤr alle
ſeine Liebe! — An der Kutſche umarmten ſie ſich
noch einmal und ſchieden.

Siegwart eilte auf ſein Zimmer zuruͤck, um ſei-
nem Schmerz freyen Lauf zu laſſen. Er konnte ſich
kaum maͤſſigen, rang die Haͤnde, ſprach und weinte
laut. Endlich warf er ſich auf ſeine Knie nieder:
Gott, du Vater aller! Segn’ ihn! Troͤſt ihn!
Staͤrk ihn! Er iſt der edelſte, der beſte Menſch.
Segn’ ihn! Staͤrk ihn! Troͤſt ihn! Jhn und mei-
ne Schweſter! Mach die beyden gluͤcklich! Ach, be-
lohn ihm alle Freundſchaft, die er mir erwieſen hat!

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[480/0060] tauſendmal! Sag ihr, daß ich ewig ihr gehoͤre, wenn ich ſie auch niemals wiederſehe! Sprich ihr Muth ein und Geduld! — Wie viel iſt die Glocke? Jch werd wohl bald fort muͤſſen? Siegwart ſagte, daß es noch eine halbe oder dreyviertel Stunden anſtehen koͤnne. — Sie giengen mit einander auf und ab; und ſprachen wenig. Endlich kam der Thorwart, und ſagte, der Fuhrmann ſey da. Nun leb wohl, Liebſter, Beſter! ſagte Kronhelm, und um- armte Xavern. Vergiß mich nicht! Schreib mir oft! Sie hiengen lang an einander, und ſprachen nichts. Als ſie an P. Philipps Zimmer vorbey- giengen, ſagte Kronhelm: Gruͤß mir den lieben Mann tauſendmal! Segn’ ihn tauſendmal fuͤr alle ſeine Liebe! — An der Kutſche umarmten ſie ſich noch einmal und ſchieden. Siegwart eilte auf ſein Zimmer zuruͤck, um ſei- nem Schmerz freyen Lauf zu laſſen. Er konnte ſich kaum maͤſſigen, rang die Haͤnde, ſprach und weinte laut. Endlich warf er ſich auf ſeine Knie nieder: Gott, du Vater aller! Segn’ ihn! Troͤſt ihn! Staͤrk ihn! Er iſt der edelſte, der beſte Menſch. Segn’ ihn! Staͤrk ihn! Troͤſt ihn! Jhn und mei- ne Schweſter! Mach die beyden gluͤcklich! Ach, be- lohn ihm alle Freundſchaft, die er mir erwieſen hat!

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/60>, abgerufen am 26.04.2024.