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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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nem Schwager sogleich wieder, meldete ihnen sei-
ne jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage
von seinem Vater Antwort erwarte, und diesen
Brief so lang zurückbehalten wolle, bis er ihnen
zugleich die Antwort mit melden könne.

Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom
Land zurück. Er sah sie aussteigen, und grüßte
sie vom Fenster aus. Den Tag drauf erhielt er
endlich den längst so sehnlich erwarteten Brief von
seinem Vater: Aber -- Gott! wie erschrak er,
als er folgendes las:

Theurer Sohn!

Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es
schon beantworten, als mich Gott mit einer schwe-
ren Krankheit heimsuchte, und dem Tod nahe
brachte. Seit ein paar Tagen fühl ich einige Lin-
derung, und der Arzt will von Hofnung sagen;
aber ich sühle noch Todesschwäche, und schreibe
dieses, wie du siehst, mit zitternder Hand. Theu-
rer Sohn, du weist, was ich auf dich halte, und
wünsche ich daher nichts sehnlicher, als dich vor
meinem Ende, welches vielleicht vor der Thür ist,
noch einmal zu sehen, und dir meinen väterlichen
Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache



nem Schwager ſogleich wieder, meldete ihnen ſei-
ne jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage
von ſeinem Vater Antwort erwarte, und dieſen
Brief ſo lang zuruͤckbehalten wolle, bis er ihnen
zugleich die Antwort mit melden koͤnne.

Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom
Land zuruͤck. Er ſah ſie ausſteigen, und gruͤßte
ſie vom Fenſter aus. Den Tag drauf erhielt er
endlich den laͤngſt ſo ſehnlich erwarteten Brief von
ſeinem Vater: Aber — Gott! wie erſchrak er,
als er folgendes las:

Theurer Sohn!

Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es
ſchon beantworten, als mich Gott mit einer ſchwe-
ren Krankheit heimſuchte, und dem Tod nahe
brachte. Seit ein paar Tagen fuͤhl ich einige Lin-
derung, und der Arzt will von Hofnung ſagen;
aber ich ſuͤhle noch Todesſchwaͤche, und ſchreibe
dieſes, wie du ſiehſt, mit zitternder Hand. Theu-
rer Sohn, du weiſt, was ich auf dich halte, und
wuͤnſche ich daher nichts ſehnlicher, als dich vor
meinem Ende, welches vielleicht vor der Thuͤr iſt,
noch einmal zu ſehen, und dir meinen vaͤterlichen
Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache

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[870/0450] nem Schwager ſogleich wieder, meldete ihnen ſei- ne jetzige Lage mit Marianen, daß er alle Tage von ſeinem Vater Antwort erwarte, und dieſen Brief ſo lang zuruͤckbehalten wolle, bis er ihnen zugleich die Antwort mit melden koͤnne. Zween Tage nachher kam Mariane wieder vom Land zuruͤck. Er ſah ſie ausſteigen, und gruͤßte ſie vom Fenſter aus. Den Tag drauf erhielt er endlich den laͤngſt ſo ſehnlich erwarteten Brief von ſeinem Vater: Aber — Gott! wie erſchrak er, als er folgendes las: Theurer Sohn! Dein Schreiben habe erhalten, und wollte es ſchon beantworten, als mich Gott mit einer ſchwe- ren Krankheit heimſuchte, und dem Tod nahe brachte. Seit ein paar Tagen fuͤhl ich einige Lin- derung, und der Arzt will von Hofnung ſagen; aber ich ſuͤhle noch Todesſchwaͤche, und ſchreibe dieſes, wie du ſiehſt, mit zitternder Hand. Theu- rer Sohn, du weiſt, was ich auf dich halte, und wuͤnſche ich daher nichts ſehnlicher, als dich vor meinem Ende, welches vielleicht vor der Thuͤr iſt, noch einmal zu ſehen, und dir meinen vaͤterlichen Segen aufzulegen. Von der bewußten Sache

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 870. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/450>, abgerufen am 27.04.2024.