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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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nichts drum, weil kein Mensch im Dorf Geld
habe. Siegwart tröstete ihn, so gut er konnte,
und gieng um neun Uhr aufs Schloß hinüber
zu Frau Held und der übrigen Gesellschaft.

Es war eben ein Bauer aus dem Dorfe da,
der bey Frau Held etwas Geld entlehnte, weil
ihm der Hagel auch seine Früchte zerschlagen hatte.
Der Bauer gieng mit Thränen in den Augen weg,
und dankte. Er mußte den Flachs, den er der
Frau Held hatte verehren wollen, wieder mitneh-
men, und darüber war er noch mehr gerührt.
Als er weggegangen war, fieng Siegwart an:
Jch hätt auch eine Bitte einzulegen für meinen
Hauswirth Thomas. Der arme Mann hat kein
Geld zur neuen Aussaat, und wollte doch nicht
gern einen Acker verkaufen. Mit zwölf bis funf-
zehn Gulden wär ihm geholfen. Wollten Sie es
wohl mir zu Gefallen thun, Frau Held? Herzlich
gern, antwortete sie, und gieng aus dem Saal. --
Kommen Sie! sagte Mariane zu Siegwart und
Karolinen; wir wollen nach den Blumen sehen,
die der Hagel verderbt hat. Sie giengen in den
Wurzgarten. Es war ein trauriger Anblick. Den
Levkojenstöcken waren mehrentheils die Zweige ab-
geschlagen, und die schönsten Blumen lagen zerfetzt



nichts drum, weil kein Menſch im Dorf Geld
habe. Siegwart troͤſtete ihn, ſo gut er konnte,
und gieng um neun Uhr aufs Schloß hinuͤber
zu Frau Held und der uͤbrigen Geſellſchaft.

Es war eben ein Bauer aus dem Dorfe da,
der bey Frau Held etwas Geld entlehnte, weil
ihm der Hagel auch ſeine Fruͤchte zerſchlagen hatte.
Der Bauer gieng mit Thraͤnen in den Augen weg,
und dankte. Er mußte den Flachs, den er der
Frau Held hatte verehren wollen, wieder mitneh-
men, und daruͤber war er noch mehr geruͤhrt.
Als er weggegangen war, fieng Siegwart an:
Jch haͤtt auch eine Bitte einzulegen fuͤr meinen
Hauswirth Thomas. Der arme Mann hat kein
Geld zur neuen Ausſaat, und wollte doch nicht
gern einen Acker verkaufen. Mit zwoͤlf bis funf-
zehn Gulden waͤr ihm geholfen. Wollten Sie es
wohl mir zu Gefallen thun, Frau Held? Herzlich
gern, antwortete ſie, und gieng aus dem Saal. —
Kommen Sie! ſagte Mariane zu Siegwart und
Karolinen; wir wollen nach den Blumen ſehen,
die der Hagel verderbt hat. Sie giengen in den
Wurzgarten. Es war ein trauriger Anblick. Den
Levkojenſtoͤcken waren mehrentheils die Zweige ab-
geſchlagen, und die ſchoͤnſten Blumen lagen zerfetzt

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[859/0439] nichts drum, weil kein Menſch im Dorf Geld habe. Siegwart troͤſtete ihn, ſo gut er konnte, und gieng um neun Uhr aufs Schloß hinuͤber zu Frau Held und der uͤbrigen Geſellſchaft. Es war eben ein Bauer aus dem Dorfe da, der bey Frau Held etwas Geld entlehnte, weil ihm der Hagel auch ſeine Fruͤchte zerſchlagen hatte. Der Bauer gieng mit Thraͤnen in den Augen weg, und dankte. Er mußte den Flachs, den er der Frau Held hatte verehren wollen, wieder mitneh- men, und daruͤber war er noch mehr geruͤhrt. Als er weggegangen war, fieng Siegwart an: Jch haͤtt auch eine Bitte einzulegen fuͤr meinen Hauswirth Thomas. Der arme Mann hat kein Geld zur neuen Ausſaat, und wollte doch nicht gern einen Acker verkaufen. Mit zwoͤlf bis funf- zehn Gulden waͤr ihm geholfen. Wollten Sie es wohl mir zu Gefallen thun, Frau Held? Herzlich gern, antwortete ſie, und gieng aus dem Saal. — Kommen Sie! ſagte Mariane zu Siegwart und Karolinen; wir wollen nach den Blumen ſehen, die der Hagel verderbt hat. Sie giengen in den Wurzgarten. Es war ein trauriger Anblick. Den Levkojenſtoͤcken waren mehrentheils die Zweige ab- geſchlagen, und die ſchoͤnſten Blumen lagen zerfetzt

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 859. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/439>, abgerufen am 27.04.2024.