Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



und sie brachte mir Himbeersaft, und andre gute
Sachen, daß mir bald drauf besser wurde. Jch
sehe sie seitdem immer drum an, und dank ihr in
der Stille, so oft ich sie seh. Sie hat auch ein
paar recht brave Jungfern bey sich, die man sich
nicht besser wünschen könnte. Die Eine davon ist
ihre Base, die war schon oft bey ihr. Aber die
andre hab ich noch in meinem Leben nicht gese-
hen. Das ist gar ein bildschönes Fräulein, sie hat
ein Gesicht wie Wachs, und Backen wie Milch und
Blut. Jch meyne, ich könne sie nicht genug ansehn,
wenn sie in die Kirche kömmt. Sie grüßt da die Leu-
te so freundlich, und ist so andächtig, daß es einen
in der Seele wohl thut. Sie soll von vornehmen
Leuten seyn, und thut doch gar nicht vornehm.
Erst letztern Sonntag sagte sie zu mir: Guten Mor-
gen, Anne! und küßte meine kleine Kathrine,
als obs ihr eignes Kind wäre.

Jndem kamen zwey Kinder, die eben aufgestan-
den waren, in die Stube; ein Knabe von sieben,
und ein Mädchen von fünf Jahren. Sie stutzten
anfänglich, als sie den fremden Herrn sahen. Als
aber Siegwart freundlich auf sie zu kam, wurden
sie nach und nach vertraulich, und endlich ganz
zuthätig, und erzählten ihm allerley Geschichten.
Die Bäurin sah Siegwart wie einen Engel an,



und ſie brachte mir Himbeerſaft, und andre gute
Sachen, daß mir bald drauf beſſer wurde. Jch
ſehe ſie ſeitdem immer drum an, und dank ihr in
der Stille, ſo oft ich ſie ſeh. Sie hat auch ein
paar recht brave Jungfern bey ſich, die man ſich
nicht beſſer wuͤnſchen koͤnnte. Die Eine davon iſt
ihre Baſe, die war ſchon oft bey ihr. Aber die
andre hab ich noch in meinem Leben nicht geſe-
hen. Das iſt gar ein bildſchoͤnes Fraͤulein, ſie hat
ein Geſicht wie Wachs, und Backen wie Milch und
Blut. Jch meyne, ich koͤnne ſie nicht genug anſehn,
wenn ſie in die Kirche koͤmmt. Sie gruͤßt da die Leu-
te ſo freundlich, und iſt ſo andaͤchtig, daß es einen
in der Seele wohl thut. Sie ſoll von vornehmen
Leuten ſeyn, und thut doch gar nicht vornehm.
Erſt letztern Sonntag ſagte ſie zu mir: Guten Mor-
gen, Anne! und kuͤßte meine kleine Kathrine,
als obs ihr eignes Kind waͤre.

Jndem kamen zwey Kinder, die eben aufgeſtan-
den waren, in die Stube; ein Knabe von ſieben,
und ein Maͤdchen von fuͤnf Jahren. Sie ſtutzten
anfaͤnglich, als ſie den fremden Herrn ſahen. Als
aber Siegwart freundlich auf ſie zu kam, wurden
ſie nach und nach vertraulich, und endlich ganz
zuthaͤtig, und erzaͤhlten ihm allerley Geſchichten.
Die Baͤurin ſah Siegwart wie einen Engel an,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0432" n="852"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
und &#x017F;ie brachte mir Himbeer&#x017F;aft, und andre gute<lb/>
Sachen, daß mir bald drauf be&#x017F;&#x017F;er wurde. Jch<lb/>
&#x017F;ehe &#x017F;ie &#x017F;eitdem immer drum an, und dank ihr in<lb/>
der Stille, &#x017F;o oft ich &#x017F;ie &#x017F;eh. Sie hat auch ein<lb/>
paar recht brave Jungfern bey &#x017F;ich, die man &#x017F;ich<lb/>
nicht be&#x017F;&#x017F;er wu&#x0364;n&#x017F;chen ko&#x0364;nnte. Die Eine davon i&#x017F;t<lb/>
ihre Ba&#x017F;e, die war &#x017F;chon oft bey ihr. Aber die<lb/>
andre hab ich noch in meinem Leben nicht ge&#x017F;e-<lb/>
hen. Das i&#x017F;t gar ein bild&#x017F;cho&#x0364;nes Fra&#x0364;ulein, &#x017F;ie hat<lb/>
ein Ge&#x017F;icht wie Wachs, und Backen wie Milch und<lb/>
Blut. Jch meyne, ich ko&#x0364;nne &#x017F;ie nicht genug an&#x017F;ehn,<lb/>
wenn &#x017F;ie in die Kirche ko&#x0364;mmt. Sie gru&#x0364;ßt da die Leu-<lb/>
te &#x017F;o freundlich, und i&#x017F;t &#x017F;o anda&#x0364;chtig, daß es einen<lb/>
in der Seele wohl thut. Sie &#x017F;oll von vornehmen<lb/>
Leuten &#x017F;eyn, und thut doch gar nicht vornehm.<lb/>
Er&#x017F;t letztern Sonntag &#x017F;agte &#x017F;ie zu mir: Guten Mor-<lb/>
gen, Anne! und ku&#x0364;ßte meine kleine Kathrine,<lb/>
als obs ihr eignes Kind wa&#x0364;re.</p><lb/>
        <p>Jndem kamen zwey Kinder, die eben aufge&#x017F;tan-<lb/>
den waren, in die Stube; ein Knabe von &#x017F;ieben,<lb/>
und ein Ma&#x0364;dchen von fu&#x0364;nf Jahren. Sie &#x017F;tutzten<lb/>
anfa&#x0364;nglich, als &#x017F;ie den fremden Herrn &#x017F;ahen. Als<lb/>
aber Siegwart freundlich auf &#x017F;ie zu kam, wurden<lb/>
&#x017F;ie nach und nach vertraulich, und endlich ganz<lb/>
zutha&#x0364;tig, und erza&#x0364;hlten ihm allerley Ge&#x017F;chichten.<lb/>
Die Ba&#x0364;urin &#x017F;ah Siegwart wie einen Engel an,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[852/0432] und ſie brachte mir Himbeerſaft, und andre gute Sachen, daß mir bald drauf beſſer wurde. Jch ſehe ſie ſeitdem immer drum an, und dank ihr in der Stille, ſo oft ich ſie ſeh. Sie hat auch ein paar recht brave Jungfern bey ſich, die man ſich nicht beſſer wuͤnſchen koͤnnte. Die Eine davon iſt ihre Baſe, die war ſchon oft bey ihr. Aber die andre hab ich noch in meinem Leben nicht geſe- hen. Das iſt gar ein bildſchoͤnes Fraͤulein, ſie hat ein Geſicht wie Wachs, und Backen wie Milch und Blut. Jch meyne, ich koͤnne ſie nicht genug anſehn, wenn ſie in die Kirche koͤmmt. Sie gruͤßt da die Leu- te ſo freundlich, und iſt ſo andaͤchtig, daß es einen in der Seele wohl thut. Sie ſoll von vornehmen Leuten ſeyn, und thut doch gar nicht vornehm. Erſt letztern Sonntag ſagte ſie zu mir: Guten Mor- gen, Anne! und kuͤßte meine kleine Kathrine, als obs ihr eignes Kind waͤre. Jndem kamen zwey Kinder, die eben aufgeſtan- den waren, in die Stube; ein Knabe von ſieben, und ein Maͤdchen von fuͤnf Jahren. Sie ſtutzten anfaͤnglich, als ſie den fremden Herrn ſahen. Als aber Siegwart freundlich auf ſie zu kam, wurden ſie nach und nach vertraulich, und endlich ganz zuthaͤtig, und erzaͤhlten ihm allerley Geſchichten. Die Baͤurin ſah Siegwart wie einen Engel an,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/432
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 852. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/432>, abgerufen am 26.04.2024.