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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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merkt zu werden glaubte. Mariane sang dießmal
nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt
sangen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende
war, so wurden einige Solos und Konzerte auf
die künftige Woche ausgetheilt; Kronhelm über-
nahm eins, und auch Dahlmund; aber unsern
Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander
gieng, sprach Kronhelm mit Marianen ziemlich
bekannt. Dieß that unserm Siegwart weh, ob er
ihm gleich so herzlich gut war.

Sonst aber wars ihm, als ob er neu gebohren wäre.
Nun sah er einen frohen, wonnevollen Winter vor
sich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in
der Kirche zu sehen, war für ihn ein Glück, das er jetzt
nicht grösser wünschte. Jhre Blicke schienen ihm
auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundli-
che Betragen des Vaters füllte ihn mit tausend
Hofnungen. Als sie zu Hause waren, sagte Kron-
helm: Nun, wie gefällt dir die Fischerin? Jst
sie nicht ein herrliches Geschöpf, und zum Anbeten
schön? -- Von Aussehen gefällt sie mir recht wohl,
antwortete Siegwart ganz kalt. -- Das glaub ich,
sagte Kronhelm; aber ihr Herz solltest du erst ken-
nen! Wart, ich will schon machen, daß du noch
genauer mit ihr bekannt wirst. Da sollst du deine



merkt zu werden glaubte. Mariane ſang dießmal
nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt
ſangen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende
war, ſo wurden einige Solos und Konzerte auf
die kuͤnftige Woche ausgetheilt; Kronhelm uͤber-
nahm eins, und auch Dahlmund; aber unſern
Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander
gieng, ſprach Kronhelm mit Marianen ziemlich
bekannt. Dieß that unſerm Siegwart weh, ob er
ihm gleich ſo herzlich gut war.

Sonſt aber wars ihm, als ob er neu gebohren waͤre.
Nun ſah er einen frohen, wonnevollen Winter vor
ſich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in
der Kirche zu ſehen, war fuͤr ihn ein Gluͤck, das er jetzt
nicht groͤſſer wuͤnſchte. Jhre Blicke ſchienen ihm
auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundli-
che Betragen des Vaters fuͤllte ihn mit tauſend
Hofnungen. Als ſie zu Hauſe waren, ſagte Kron-
helm: Nun, wie gefaͤllt dir die Fiſcherin? Jſt
ſie nicht ein herrliches Geſchoͤpf, und zum Anbeten
ſchoͤn? — Von Auſſehen gefaͤllt ſie mir recht wohl,
antwortete Siegwart ganz kalt. — Das glaub ich,
ſagte Kronhelm; aber ihr Herz ſollteſt du erſt ken-
nen! Wart, ich will ſchon machen, daß du noch
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[611/0191] merkt zu werden glaubte. Mariane ſang dießmal nicht; ein paar andre Frauenzimmer aus der Stadt ſangen ziemlich artig. Als das Konzert zu Ende war, ſo wurden einige Solos und Konzerte auf die kuͤnftige Woche ausgetheilt; Kronhelm uͤber- nahm eins, und auch Dahlmund; aber unſern Siegwart traf noch keins. Eh man auseinander gieng, ſprach Kronhelm mit Marianen ziemlich bekannt. Dieß that unſerm Siegwart weh, ob er ihm gleich ſo herzlich gut war. Sonſt aber wars ihm, als ob er neu gebohren waͤre. Nun ſah er einen frohen, wonnevollen Winter vor ſich. Sie alle Wochen Einmal, und des Sonntags in der Kirche zu ſehen, war fuͤr ihn ein Gluͤck, das er jetzt nicht groͤſſer wuͤnſchte. Jhre Blicke ſchienen ihm auch viel Gutes zu prophezeihen, und das freundli- che Betragen des Vaters fuͤllte ihn mit tauſend Hofnungen. Als ſie zu Hauſe waren, ſagte Kron- helm: Nun, wie gefaͤllt dir die Fiſcherin? Jſt ſie nicht ein herrliches Geſchoͤpf, und zum Anbeten ſchoͤn? — Von Auſſehen gefaͤllt ſie mir recht wohl, antwortete Siegwart ganz kalt. — Das glaub ich, ſagte Kronhelm; aber ihr Herz ſollteſt du erſt ken- nen! Wart, ich will ſchon machen, daß du noch genauer mit ihr bekannt wirſt. Da ſollſt du deine

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/191>, abgerufen am 26.04.2024.