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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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machte unsern Siegwart noch furchtsamer und zu-
rückhaltender. Beym Nachhausegehen begleiteten
sie Gutfried, und giengen also bey des Hofrath Fi-
schers Haus vorbey, wo noch Licht war. Sieg-
wart blickte mit banger Sehnsucht hinauf, und
hörte Marianen Klavier spielen und | singen. Er
wäre so gern stehen geblieben, und hätte dem Ge-
sang zugehört, aber seine Schüchternheit erlaubte
ihm nicht, seinen Kronhelm den Vorschlag zu thun.
Er gieng also schweres Herzens mit ihm nach
Haus.

Den andern Tag konnte er erst über alle das
nachdenken, was er den Tag vorher gehört hatte.
Der Umstand, daß Mariane des Hofrath Fischers
Tochter war, machte ihn sehr traurig; denn da er
aus eigener Erfahrung, den stolzen Karakter dieses
Mannes kannte, so sah er alle Schwierigkeiten vor-
aus, die er haben würde, Marianen kennen zu ler-
nen; und doch war ihm der Gedanke unerträglich,
sie, die Vollkommenste, die sein Herz so sehr liebte,
nie zu sprechen. Jns Konzert sah er auch keine
Gelegenheit, zu kommen; er war theils zu stolz,
dem Mann, der ihn das erstemal so verächtlich be-
gegnet hatte, noch gute Worte deswegen zu geben;
theils war er auch, wenn die Liebe diesen Stolz



machte unſern Siegwart noch furchtſamer und zu-
ruͤckhaltender. Beym Nachhauſegehen begleiteten
ſie Gutfried, und giengen alſo bey des Hofrath Fi-
ſchers Haus vorbey, wo noch Licht war. Sieg-
wart blickte mit banger Sehnſucht hinauf, und
hoͤrte Marianen Klavier ſpielen und | ſingen. Er
waͤre ſo gern ſtehen geblieben, und haͤtte dem Ge-
ſang zugehoͤrt, aber ſeine Schuͤchternheit erlaubte
ihm nicht, ſeinen Kronhelm den Vorſchlag zu thun.
Er gieng alſo ſchweres Herzens mit ihm nach
Haus.

Den andern Tag konnte er erſt uͤber alle das
nachdenken, was er den Tag vorher gehoͤrt hatte.
Der Umſtand, daß Mariane des Hofrath Fiſchers
Tochter war, machte ihn ſehr traurig; denn da er
aus eigener Erfahrung, den ſtolzen Karakter dieſes
Mannes kannte, ſo ſah er alle Schwierigkeiten vor-
aus, die er haben wuͤrde, Marianen kennen zu ler-
nen; und doch war ihm der Gedanke unertraͤglich,
ſie, die Vollkommenſte, die ſein Herz ſo ſehr liebte,
nie zu ſprechen. Jns Konzert ſah er auch keine
Gelegenheit, zu kommen; er war theils zu ſtolz,
dem Mann, der ihn das erſtemal ſo veraͤchtlich be-
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theils war er auch, wenn die Liebe dieſen Stolz

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[603/0183] machte unſern Siegwart noch furchtſamer und zu- ruͤckhaltender. Beym Nachhauſegehen begleiteten ſie Gutfried, und giengen alſo bey des Hofrath Fi- ſchers Haus vorbey, wo noch Licht war. Sieg- wart blickte mit banger Sehnſucht hinauf, und hoͤrte Marianen Klavier ſpielen und | ſingen. Er waͤre ſo gern ſtehen geblieben, und haͤtte dem Ge- ſang zugehoͤrt, aber ſeine Schuͤchternheit erlaubte ihm nicht, ſeinen Kronhelm den Vorſchlag zu thun. Er gieng alſo ſchweres Herzens mit ihm nach Haus. Den andern Tag konnte er erſt uͤber alle das nachdenken, was er den Tag vorher gehoͤrt hatte. Der Umſtand, daß Mariane des Hofrath Fiſchers Tochter war, machte ihn ſehr traurig; denn da er aus eigener Erfahrung, den ſtolzen Karakter dieſes Mannes kannte, ſo ſah er alle Schwierigkeiten vor- aus, die er haben wuͤrde, Marianen kennen zu ler- nen; und doch war ihm der Gedanke unertraͤglich, ſie, die Vollkommenſte, die ſein Herz ſo ſehr liebte, nie zu ſprechen. Jns Konzert ſah er auch keine Gelegenheit, zu kommen; er war theils zu ſtolz, dem Mann, der ihn das erſtemal ſo veraͤchtlich be- gegnet hatte, noch gute Worte deswegen zu geben; theils war er auch, wenn die Liebe dieſen Stolz

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/183>, abgerufen am 27.04.2024.