Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite
Siebentes Kapitel.

Am Abend des fünften Tages nach diesen außer¬
ordentlichen Ereignissen näherte sich Heinrich Waser auf
dem von Rapperswyl herkommenden ordinären Markt-
und Postschiffe seiner Vaterstadt. Die schlanken Thurm¬
spitzen der beiden Münster zeichneten sich immer schärfer
und größer auf dem klar gerötheten Westhimmel, und
bei diesem viellieben Anblick dankte der junge Amtschreiber
aus Herzensgrunde der gütigen Vorsehung für das glück¬
liche Ende seiner über Erwarten gefährlichen Ferienreise.

Bei der Abfahrt von Rapperswyl hatte er sich nur
in Gesellschaft der Schiffer befunden; denn eine Schaar
von Pilgerinnen aus dem Breisgau, alte müde Weiber,
verbargen ihre sonnenbraunen Gesichter scheu unter den
rothen Kopftüchern und hatten sich im Vordertheile des
Schiffes eng zusammengeduckt. Sie beteten oder schliefen.
Sie kamen vom heiligen Gnadenort Einsiedeln und

Meyer, Georg Jenatsch. 7
Siebentes Kapitel.

Am Abend des fünften Tages nach dieſen außer¬
ordentlichen Ereigniſſen näherte ſich Heinrich Waſer auf
dem von Rapperswyl herkommenden ordinären Markt-
und Poſtſchiffe ſeiner Vaterſtadt. Die ſchlanken Thurm¬
ſpitzen der beiden Münſter zeichneten ſich immer ſchärfer
und größer auf dem klar gerötheten Weſthimmel, und
bei dieſem viellieben Anblick dankte der junge Amtſchreiber
aus Herzensgrunde der gütigen Vorſehung für das glück¬
liche Ende ſeiner über Erwarten gefährlichen Ferienreiſe.

Bei der Abfahrt von Rapperswyl hatte er ſich nur
in Geſellſchaft der Schiffer befunden; denn eine Schaar
von Pilgerinnen aus dem Breisgau, alte müde Weiber,
verbargen ihre ſonnenbraunen Geſichter ſcheu unter den
rothen Kopftüchern und hatten ſich im Vordertheile des
Schiffes eng zuſammengeduckt. Sie beteten oder ſchliefen.
Sie kamen vom heiligen Gnadenort Einſiedeln und

Meyer, Georg Jenatſch. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0107"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #fr">Siebentes Kapitel.</hi><lb/>
          </head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Am Abend des fünften Tages nach die&#x017F;en außer¬<lb/>
ordentlichen Ereigni&#x017F;&#x017F;en näherte &#x017F;ich Heinrich Wa&#x017F;er auf<lb/>
dem von Rapperswyl herkommenden ordinären Markt-<lb/>
und Po&#x017F;t&#x017F;chiffe &#x017F;einer Vater&#x017F;tadt. Die &#x017F;chlanken Thurm¬<lb/>
&#x017F;pitzen der beiden Mün&#x017F;ter zeichneten &#x017F;ich immer &#x017F;chärfer<lb/>
und größer auf dem klar gerötheten We&#x017F;thimmel, und<lb/>
bei die&#x017F;em viellieben Anblick dankte der junge Amt&#x017F;chreiber<lb/>
aus Herzensgrunde der gütigen Vor&#x017F;ehung für das glück¬<lb/>
liche Ende &#x017F;einer über Erwarten gefährlichen Ferienrei&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Bei der Abfahrt von Rapperswyl hatte er &#x017F;ich nur<lb/>
in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft der Schiffer befunden; denn eine Schaar<lb/>
von Pilgerinnen aus dem Breisgau, alte müde Weiber,<lb/>
verbargen ihre &#x017F;onnenbraunen Ge&#x017F;ichter &#x017F;cheu unter den<lb/>
rothen Kopftüchern und hatten &#x017F;ich im Vordertheile des<lb/>
Schiffes eng zu&#x017F;ammengeduckt. Sie beteten oder &#x017F;chliefen.<lb/>
Sie kamen vom heiligen Gnadenort Ein&#x017F;iedeln und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Meyer</hi>, Georg Jenat&#x017F;ch. 7<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0107] Siebentes Kapitel. Am Abend des fünften Tages nach dieſen außer¬ ordentlichen Ereigniſſen näherte ſich Heinrich Waſer auf dem von Rapperswyl herkommenden ordinären Markt- und Poſtſchiffe ſeiner Vaterſtadt. Die ſchlanken Thurm¬ ſpitzen der beiden Münſter zeichneten ſich immer ſchärfer und größer auf dem klar gerötheten Weſthimmel, und bei dieſem viellieben Anblick dankte der junge Amtſchreiber aus Herzensgrunde der gütigen Vorſehung für das glück¬ liche Ende ſeiner über Erwarten gefährlichen Ferienreiſe. Bei der Abfahrt von Rapperswyl hatte er ſich nur in Geſellſchaft der Schiffer befunden; denn eine Schaar von Pilgerinnen aus dem Breisgau, alte müde Weiber, verbargen ihre ſonnenbraunen Geſichter ſcheu unter den rothen Kopftüchern und hatten ſich im Vordertheile des Schiffes eng zuſammengeduckt. Sie beteten oder ſchliefen. Sie kamen vom heiligen Gnadenort Einſiedeln und Meyer, Georg Jenatſch. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/107
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/107>, abgerufen am 21.11.2024.