Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Traumbesitz. "Fremdling, unter diesem Schutte Wölbt sich eine weite Halle, Blüht des Inka goldner Garten, Prangt der Sessel meines Ahns! Alles Laub und alle Früchte Und die Vögel auf den Aesten Und die Fischlein in den Teichen Sind vom allerfeinsten Gold." -- "Knabe, du bist zart und dürftig, Deine greisen Eltern darben -- Warum gräbst du nicht die nahen Schätze, die dein Erbe sind?" "Solches, Fremdling, wäre sündlich! Nein, ich lasse mir genügen An dem kleinen Waizenfelde, Das mir oben übrig blieb. Im Geheimniß meines Herzens, Mit den Augen meines Geistes Schwelg' ich in den lichten Wundern, In dem unermessnen Hort: O des Glanzes! O der Fülle! Siehst du dort die Büschel Maises Mit den schön geformten Kolben? Siehst du dort den goldnen Thron?" Traumbeſitz. „Fremdling, unter dieſem Schutte Wölbt ſich eine weite Halle, Blüht des Inka goldner Garten, Prangt der Seſſel meines Ahns! Alles Laub und alle Früchte Und die Vögel auf den Aeſten Und die Fiſchlein in den Teichen Sind vom allerfeinſten Gold.“ — „Knabe, du biſt zart und dürftig, Deine greiſen Eltern darben — Warum gräbſt du nicht die nahen Schätze, die dein Erbe ſind?“ „Solches, Fremdling, wäre ſündlich! Nein, ich laſſe mir genügen An dem kleinen Waizenfelde, Das mir oben übrig blieb. Im Geheimniß meines Herzens, Mit den Augen meines Geiſtes Schwelg' ich in den lichten Wundern, In dem unermeſſnen Hort: O des Glanzes! O der Fülle! Siehſt du dort die Büſchel Maiſes Mit den ſchön geformten Kolben? Siehſt du dort den goldnen Thron?“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb n="30" facs="#f0044"/> </div> <div n="2"> <head>Traumbeſitz.<lb/></head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>„Fremdling, unter dieſem Schutte</l><lb/> <l>Wölbt ſich eine weite Halle,</l><lb/> <l>Blüht des Inka goldner Garten,</l><lb/> <l>Prangt der Seſſel meines Ahns!</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Alles Laub und alle Früchte</l><lb/> <l>Und die Vögel auf den Aeſten</l><lb/> <l>Und die Fiſchlein in den Teichen</l><lb/> <l>Sind vom allerfeinſten Gold.“</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>— „Knabe, du biſt zart und dürftig,</l><lb/> <l>Deine greiſen Eltern darben —</l><lb/> <l>Warum gräbſt du nicht die nahen</l><lb/> <l>Schätze, die dein Erbe ſind?“</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>„Solches, Fremdling, wäre ſündlich!</l><lb/> <l>Nein, ich laſſe mir genügen</l><lb/> <l>An dem kleinen Waizenfelde,</l><lb/> <l>Das mir oben übrig blieb.</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Im Geheimniß meines Herzens,</l><lb/> <l>Mit den Augen meines Geiſtes</l><lb/> <l>Schwelg' ich in den lichten Wundern,</l><lb/> <l>In dem unermeſſnen Hort:</l><lb/> </lg> <lg n="6"> <l>O des Glanzes! O der Fülle!</l><lb/> <l>Siehſt du dort die Büſchel Maiſes</l><lb/> <l>Mit den ſchön geformten Kolben?</l><lb/> <l>Siehſt du dort den goldnen Thron?“</l><lb/> </lg> </lg> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0044]
Traumbeſitz.
„Fremdling, unter dieſem Schutte
Wölbt ſich eine weite Halle,
Blüht des Inka goldner Garten,
Prangt der Seſſel meines Ahns!
Alles Laub und alle Früchte
Und die Vögel auf den Aeſten
Und die Fiſchlein in den Teichen
Sind vom allerfeinſten Gold.“
— „Knabe, du biſt zart und dürftig,
Deine greiſen Eltern darben —
Warum gräbſt du nicht die nahen
Schätze, die dein Erbe ſind?“
„Solches, Fremdling, wäre ſündlich!
Nein, ich laſſe mir genügen
An dem kleinen Waizenfelde,
Das mir oben übrig blieb.
Im Geheimniß meines Herzens,
Mit den Augen meines Geiſtes
Schwelg' ich in den lichten Wundern,
In dem unermeſſnen Hort:
O des Glanzes! O der Fülle!
Siehſt du dort die Büſchel Maiſes
Mit den ſchön geformten Kolben?
Siehſt du dort den goldnen Thron?“
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Zitationshilfe: | Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/44>, abgerufen am 03.03.2025. |