Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Heiligthum.
Waldnacht. Urmächt'ge Eichen, unter die
Des Blitzes greller Strahl geleuchtet nie!
Dämmernde Wölbung, Ast in Ast verwebt,
Von keines Vogels Lustgeschrei belebt!
Ein brütend Schweigen, nie vom Sturm gestört,
Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört,
Darin, umblinkt von Schädel und Gebein,
Sich ungewiß erhebt ein Opferstein ...
Es rauscht. Es raschelt. Schritte durch den Wald!
Das kurze römische Commando schallt.
Geleucht von Helmen! Eine reis'ge Schaar!
Vorauf ein Gallier und ein Legionar:
"Die Stämme können dienen. Beil in Schwung!
Cäsar braucht Widder zur Belagerung!" *
Erbleichend spricht der Gallier ein Gebet,
Den Römer auch ergreift die Majestät
Des Orts, doch hebt gehorchend er die Axt --
Der Gallier flüstert: "Weißt du was du wagst?
Die Stämme -- diese Riesen -- sind gefeit,
Hier wohnt ein mächt'ger Gott seit alter Zeit,
In dessen Nähe nur der Priester tritt,
Ein todtenblasses Opfer schleppt er mit.
Versehrtest nur ein Blatt du freventlich,
Stracks kehrte sich die Waffe wider dich!" ...
* Von Massilia.
14*
Das Heiligthum.
Waldnacht. Urmächt'ge Eichen, unter die
Des Blitzes greller Strahl geleuchtet nie!
Dämmernde Wölbung, Aſt in Aſt verwebt,
Von keines Vogels Luſtgeſchrei belebt!
Ein brütend Schweigen, nie vom Sturm geſtört,
Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört,
Darin, umblinkt von Schädel und Gebein,
Sich ungewiß erhebt ein Opferſtein ...
Es rauſcht. Es raſchelt. Schritte durch den Wald!
Das kurze römiſche Commando ſchallt.
Geleucht von Helmen! Eine reiſ'ge Schaar!
Vorauf ein Gallier und ein Legionar:
„Die Stämme können dienen. Beil in Schwung!
Cäſar braucht Widder zur Belagerung!“ *
Erbleichend ſpricht der Gallier ein Gebet,
Den Römer auch ergreift die Majeſtät
Des Orts, doch hebt gehorchend er die Axt —
Der Gallier flüſtert: „Weißt du was du wagſt?
Die Stämme — dieſe Rieſen — ſind gefeit,
Hier wohnt ein mächt'ger Gott ſeit alter Zeit,
In deſſen Nähe nur der Prieſter tritt,
Ein todtenblaſſes Opfer ſchleppt er mit.
Verſehrteſt nur ein Blatt du freventlich,
Stracks kehrte ſich die Waffe wider dich!“ ...
* Von Maſſilia.
14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0225" n="211"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Das Heiligthum.<lb/></head>
          <lg type="poem">
            <l>Waldnacht. Urmächt'ge Eichen, unter die</l><lb/>
            <l>Des Blitzes greller Strahl geleuchtet nie!</l><lb/>
            <l>Dämmernde Wölbung, A&#x017F;t in A&#x017F;t verwebt,</l><lb/>
            <l>Von keines Vogels Lu&#x017F;tge&#x017F;chrei belebt!</l><lb/>
            <l>Ein brütend Schweigen, nie vom Sturm ge&#x017F;tört,</l><lb/>
            <l>Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört,</l><lb/>
            <l>Darin, umblinkt von Schädel und Gebein,</l><lb/>
            <l>Sich ungewiß erhebt ein Opfer&#x017F;tein ...</l><lb/>
            <l>Es rau&#x017F;cht. Es ra&#x017F;chelt. Schritte durch den Wald!</l><lb/>
            <l>Das kurze römi&#x017F;che Commando &#x017F;challt.</l><lb/>
            <l>Geleucht von Helmen! Eine rei&#x017F;'ge Schaar!</l><lb/>
            <l>Vorauf ein Gallier und ein Legionar:</l><lb/>
            <l>&#x201E;Die Stämme können dienen. Beil in Schwung!</l><lb/>
            <l>&#x017F;ar braucht Widder zur Belagerung!&#x201C; <note place="foot" n="*"><lb/>
Von Ma&#x017F;&#x017F;ilia.</note></l><lb/>
            <l>Erbleichend &#x017F;pricht der Gallier ein Gebet,</l><lb/>
            <l>Den Römer auch ergreift die Maje&#x017F;tät</l><lb/>
            <l>Des Orts, doch hebt gehorchend er die Axt &#x2014;</l><lb/>
            <l>Der Gallier flü&#x017F;tert: &#x201E;Weißt du was du wag&#x017F;t?</l><lb/>
            <l>Die Stämme &#x2014; die&#x017F;e Rie&#x017F;en &#x2014; &#x017F;ind gefeit,</l><lb/>
            <l>Hier wohnt ein mächt'ger Gott &#x017F;eit alter Zeit,</l><lb/>
            <l>In de&#x017F;&#x017F;en Nähe nur der Prie&#x017F;ter tritt,</l><lb/>
            <l>Ein todtenbla&#x017F;&#x017F;es Opfer &#x017F;chleppt er mit.</l><lb/>
            <l>Ver&#x017F;ehrte&#x017F;t nur ein Blatt du freventlich,</l><lb/>
            <l>Stracks kehrte &#x017F;ich die Waffe wider dich!&#x201C; ...</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">14*<lb/></fw>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0225] Das Heiligthum. Waldnacht. Urmächt'ge Eichen, unter die Des Blitzes greller Strahl geleuchtet nie! Dämmernde Wölbung, Aſt in Aſt verwebt, Von keines Vogels Luſtgeſchrei belebt! Ein brütend Schweigen, nie vom Sturm geſtört, Ein heilig Dunkel, das dem Gott gehört, Darin, umblinkt von Schädel und Gebein, Sich ungewiß erhebt ein Opferſtein ... Es rauſcht. Es raſchelt. Schritte durch den Wald! Das kurze römiſche Commando ſchallt. Geleucht von Helmen! Eine reiſ'ge Schaar! Vorauf ein Gallier und ein Legionar: „Die Stämme können dienen. Beil in Schwung! Cäſar braucht Widder zur Belagerung!“ * Erbleichend ſpricht der Gallier ein Gebet, Den Römer auch ergreift die Majeſtät Des Orts, doch hebt gehorchend er die Axt — Der Gallier flüſtert: „Weißt du was du wagſt? Die Stämme — dieſe Rieſen — ſind gefeit, Hier wohnt ein mächt'ger Gott ſeit alter Zeit, In deſſen Nähe nur der Prieſter tritt, Ein todtenblaſſes Opfer ſchleppt er mit. Verſehrteſt nur ein Blatt du freventlich, Stracks kehrte ſich die Waffe wider dich!“ ... * Von Maſſilia. 14*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/225
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/225>, abgerufen am 22.12.2024.