Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Botenlauf.
Blicke gen Himmel gewandt! Gebreitete flehende Arme!
Murmeln und schallender Ruf! Knieende Mädchen und
Fraun!

"Götter, beflügelt den Boten! Entscheidung! Lieber als Bangniß!
Seit sich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin.
Siehe, die Sonne versinkt! Mitkämpfer, Castor und Pollux!
Denkt der verlassenen Fraun! Sendet den Boten geschwind!"
Horch! Achthufig Geklirr bergan! Zwei reisige Reiter!
Schon am heiligen Quell spülen die Waffen sie rein.
Dann, zwei gewaltige Jünglinge, stehn auf der ragenden Burg sie,
Gegen die schauernden Fraun hat sich der eine gekehrt:
"Freude, knospendes Mädchen! Entschlossene Römerin, Freude!
Herrlicher Sieg ist erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?"
Einer spricht's und der Andere lauscht, zu dem Bruder gewendet.
Jetzt in das bleichende Licht springen die Rosse empor.
Einer der Jünglinge schwindet im Abend, es schwindet der andre,
Denn wie ein liebendes Paar lassen die Brüder sich nicht.
Ueber der römischen Feste gewaltigem dunkelndem Umriß
Hebt sich in dämmernder Nacht seliges Doppelgestirn.

Der Botenlauf.
Blicke gen Himmel gewandt! Gebreitete flehende Arme!
Murmeln und ſchallender Ruf! Knieende Mädchen und
Fraun!

„Götter, beflügelt den Boten! Entſcheidung! Lieber als Bangniß!
Seit ſich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin.
Siehe, die Sonne verſinkt! Mitkämpfer, Caſtor und Pollux!
Denkt der verlaſſenen Fraun! Sendet den Boten geſchwind!“
Horch! Achthufig Geklirr bergan! Zwei reiſige Reiter!
Schon am heiligen Quell ſpülen die Waffen ſie rein.
Dann, zwei gewaltige Jünglinge, ſtehn auf der ragenden Burg ſie,
Gegen die ſchauernden Fraun hat ſich der eine gekehrt:
„Freude, knoſpendes Mädchen! Entſchloſſene Römerin, Freude!
Herrlicher Sieg iſt erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?“
Einer ſpricht's und der Andere lauſcht, zu dem Bruder gewendet.
Jetzt in das bleichende Licht ſpringen die Roſſe empor.
Einer der Jünglinge ſchwindet im Abend, es ſchwindet der andre,
Denn wie ein liebendes Paar laſſen die Brüder ſich nicht.
Ueber der römiſchen Feſte gewaltigem dunkelndem Umriß
Hebt ſich in dämmernder Nacht ſeliges Doppelgeſtirn.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0213" n="199"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Der Botenlauf.</hi><lb/>
          </head>
          <lg type="poem">
            <l>Blicke gen Himmel gewandt! Gebreitete flehende Arme!</l><lb/>
            <l>Murmeln und &#x017F;challender Ruf! Knieende Mädchen und<lb/><hi rendition="#et">Fraun!</hi></l><lb/>
            <l>&#x201E;Götter, beflügelt den Boten! Ent&#x017F;cheidung! Lieber als Bangniß!</l><lb/>
            <l>Seit &#x017F;ich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin.</l><lb/>
            <l>Siehe, die Sonne ver&#x017F;inkt! Mitkämpfer, Ca&#x017F;tor und Pollux!</l><lb/>
            <l>Denkt der verla&#x017F;&#x017F;enen Fraun! Sendet den Boten ge&#x017F;chwind!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Horch! Achthufig Geklirr bergan! Zwei rei&#x017F;ige Reiter!</l><lb/>
            <l>Schon am heiligen Quell &#x017F;pülen die Waffen &#x017F;ie rein.</l><lb/>
            <l>Dann, zwei gewaltige Jünglinge, &#x017F;tehn auf der ragenden Burg &#x017F;ie,</l><lb/>
            <l>Gegen die &#x017F;chauernden Fraun hat &#x017F;ich der eine gekehrt:</l><lb/>
            <l>&#x201E;Freude, kno&#x017F;pendes Mädchen! Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Römerin, Freude!</l><lb/>
            <l>Herrlicher Sieg i&#x017F;t erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?&#x201C;</l><lb/>
            <l>Einer &#x017F;pricht's und der Andere lau&#x017F;cht, zu dem Bruder gewendet.</l><lb/>
            <l>Jetzt in das bleichende Licht &#x017F;pringen die Ro&#x017F;&#x017F;e empor.</l><lb/>
            <l>Einer der Jünglinge &#x017F;chwindet im Abend, es &#x017F;chwindet der andre,</l><lb/>
            <l>Denn wie ein liebendes Paar la&#x017F;&#x017F;en die Brüder &#x017F;ich nicht.</l><lb/>
            <l>Ueber der römi&#x017F;chen Fe&#x017F;te gewaltigem dunkelndem Umriß</l><lb/>
            <l>Hebt &#x017F;ich in dämmernder Nacht &#x017F;eliges Doppelge&#x017F;tirn.</l><lb/>
          </lg>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0213] Der Botenlauf. Blicke gen Himmel gewandt! Gebreitete flehende Arme! Murmeln und ſchallender Ruf! Knieende Mädchen und Fraun! „Götter, beflügelt den Boten! Entſcheidung! Lieber als Bangniß! Seit ſich die Sonne erhob, ringen die Stadt und Tarquin. Siehe, die Sonne verſinkt! Mitkämpfer, Caſtor und Pollux! Denkt der verlaſſenen Fraun! Sendet den Boten geſchwind!“ Horch! Achthufig Geklirr bergan! Zwei reiſige Reiter! Schon am heiligen Quell ſpülen die Waffen ſie rein. Dann, zwei gewaltige Jünglinge, ſtehn auf der ragenden Burg ſie, Gegen die ſchauernden Fraun hat ſich der eine gekehrt: „Freude, knoſpendes Mädchen! Entſchloſſene Römerin, Freude! Herrlicher Sieg iſt erkämpft! Geht ihr entgegen dem Heer?“ Einer ſpricht's und der Andere lauſcht, zu dem Bruder gewendet. Jetzt in das bleichende Licht ſpringen die Roſſe empor. Einer der Jünglinge ſchwindet im Abend, es ſchwindet der andre, Denn wie ein liebendes Paar laſſen die Brüder ſich nicht. Ueber der römiſchen Feſte gewaltigem dunkelndem Umriß Hebt ſich in dämmernder Nacht ſeliges Doppelgeſtirn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/213
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/213>, abgerufen am 22.12.2024.