Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Viston. Als ich jüngst vom Pfad verirrt war, Wo kein Jäger und kein Hirt war, Führt' ein Licht aus dunkelm Tann Mich an eines Hüttleins Schwelle, Drin bei matter Ampelhelle Eine greise Parze spann. Draußen schlug der Wind die Schwingen, Und die Bergesströme singen Hört' ich ihren dunkeln Sang ... Und ich sah den Faden schweben, Und der Faden schien ein Leben -- Meines? dacht' ich zauberbang. Wage, Mensch, die höchsten Flüge, Deiner Parze starre Züge Sehen längst das nahe Ziel! Tummle dich, ein kühner Ringer: Ihre hagern, harten Finger Enden bald das edle Spiel ... Eine Thräne seh' ich schimmern? An der Wand mit Silberflimmern Hangt ein dürrer Todtenkranz ... Irgend einen alten Jammer In der Alpenhütte Kammer Spinnt ein Weib im Ampelglanz. Viſton. Als ich jüngſt vom Pfad verirrt war, Wo kein Jäger und kein Hirt war, Führt' ein Licht aus dunkelm Tann Mich an eines Hüttleins Schwelle, Drin bei matter Ampelhelle Eine greiſe Parze ſpann. Draußen ſchlug der Wind die Schwingen, Und die Bergesſtröme ſingen Hört' ich ihren dunkeln Sang ... Und ich ſah den Faden ſchweben, Und der Faden ſchien ein Leben — Meines? dacht' ich zauberbang. Wage, Menſch, die höchſten Flüge, Deiner Parze ſtarre Züge Sehen längſt das nahe Ziel! Tummle dich, ein kühner Ringer: Ihre hagern, harten Finger Enden bald das edle Spiel ... Eine Thräne ſeh' ich ſchimmern? An der Wand mit Silberflimmern Hangt ein dürrer Todtenkranz ... Irgend einen alten Jammer In der Alpenhütte Kammer Spinnt ein Weib im Ampelglanz. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb n="88" facs="#f0102"/> </div> <div n="2"> <head>Viſton.<lb/></head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Als ich jüngſt vom Pfad verirrt war,</l><lb/> <l>Wo kein Jäger und kein Hirt war,</l><lb/> <l>Führt' ein Licht aus dunkelm Tann</l><lb/> <l>Mich an eines Hüttleins Schwelle,</l><lb/> <l>Drin bei matter Ampelhelle</l><lb/> <l>Eine greiſe Parze ſpann.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Draußen ſchlug der Wind die Schwingen,</l><lb/> <l>Und die Bergesſtröme ſingen</l><lb/> <l>Hört' ich ihren dunkeln Sang ...</l><lb/> <l>Und ich ſah den Faden ſchweben,</l><lb/> <l>Und der Faden ſchien ein Leben —</l><lb/> <l>Meines? dacht' ich zauberbang.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Wage, Menſch, die höchſten Flüge,</l><lb/> <l>Deiner Parze ſtarre Züge</l><lb/> <l>Sehen längſt das nahe Ziel!</l><lb/> <l>Tummle dich, ein kühner Ringer:</l><lb/> <l>Ihre hagern, harten Finger</l><lb/> <l>Enden bald das edle Spiel ...</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Eine Thräne ſeh' ich ſchimmern?</l><lb/> <l>An der Wand mit Silberflimmern</l><lb/> <l>Hangt ein dürrer Todtenkranz ...</l><lb/> <l>Irgend einen alten Jammer</l><lb/> <l>In der Alpenhütte Kammer</l><lb/> <l>Spinnt ein Weib im Ampelglanz.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0102]
Viſton.
Als ich jüngſt vom Pfad verirrt war,
Wo kein Jäger und kein Hirt war,
Führt' ein Licht aus dunkelm Tann
Mich an eines Hüttleins Schwelle,
Drin bei matter Ampelhelle
Eine greiſe Parze ſpann.
Draußen ſchlug der Wind die Schwingen,
Und die Bergesſtröme ſingen
Hört' ich ihren dunkeln Sang ...
Und ich ſah den Faden ſchweben,
Und der Faden ſchien ein Leben —
Meines? dacht' ich zauberbang.
Wage, Menſch, die höchſten Flüge,
Deiner Parze ſtarre Züge
Sehen längſt das nahe Ziel!
Tummle dich, ein kühner Ringer:
Ihre hagern, harten Finger
Enden bald das edle Spiel ...
Eine Thräne ſeh' ich ſchimmern?
An der Wand mit Silberflimmern
Hangt ein dürrer Todtenkranz ...
Irgend einen alten Jammer
In der Alpenhütte Kammer
Spinnt ein Weib im Ampelglanz.
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Zitationshilfe: | Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/102>, abgerufen am 03.03.2025. |