Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

Bild:
<< vorherige Seite

dieses selbstgewundenen Knotens vorzunehmen. Das Selbstverständliche
- durch sich selbst Verständliche - durch
seinen Tatbestand sich Erklärende - scheint ihm weitschweifiger
Erklärungen bedürftig - so z. B. die Tatsache,
daß kein Mensch ganz so ist wie der andere. Die psychologische
Verschiedenheit der Menschen erklärt er damit,
- daß jeder Mensch zwischen Mann und Weib "oszilliere",
und der Grad dieser "Oszillation" ergebe ihre Verschiedenheit.
Darauf sei auch das wechselnde körperliche Aussehen zurückzuführen!!!
So fühlen z. B. "manche Menschen am Abend
,männlicher' als am Morgen"; - recht begreiflich ... Die
Vergewaltigung aller Erscheinungen durch Formeln, gegen
die sich diese meist ihrer ganzen Natur nach sträuben,
ruft nach und nach den Eindruck einer beherrschenden
maniakalischen Vorstellung hervor. Erstaunlich ist die Oberflächlichkeit,
mit der die Merkmale der "Männlichkeit" und
"Weiblichkeit" aufgezählt werden. So heißt es z. B. als das
Merkmal "männlicher" Weiber, daß sie - studieren, Sport
treiben und - kein Mieder tragen!!! Sollen dies wirklich
die Anzeichen "männlicher Anlagen" sein - nicht vielleicht
eher die Resultate einer vernünftigen Propaganda?!

Freilich - Nietzsche hat ja schon in dem Zeitungslesen
der Weiber ihre Vermännlichung und damit die
"Verhäßlichung Europas" befürchtet! Übrigens tritt Weininger
nicht etwa gegen diese Vermännlichung auf; nur nennt er
Vermännlichung schlechtweg alles, was von rechtswegen
Vermenschlichung heißen soll und dem Manne zumindest
ebenso nottut wie der Frau. Alle Kultur geht ja dahin, das
Urtümliche zu differenzieren, das Individuum über die
bloße Gattungssphäre emporzuheben und in diesem Sinne
soll jede Nur-Weiblichkeit, aber auch jede Nur-Männlichkeit
einer verfeinerten und vertieften Menschlichkeit
Raum geben; ohne aber das Eigentümliche, Unersetzliche,
zum Fortbestand der Gattung Notwendige der eigenen

dieses selbstgewundenen Knotens vorzunehmen. Das Selbstverständliche
– durch sich selbst Verständliche – durch
seinen Tatbestand sich Erklärende – scheint ihm weitschweifiger
Erklärungen bedürftig – so z. B. die Tatsache,
daß kein Mensch ganz so ist wie der andere. Die psychologische
Verschiedenheit der Menschen erklärt er damit,
– daß jeder Mensch zwischen Mann und Weib »oszilliere«,
und der Grad dieser »Oszillation« ergebe ihre Verschiedenheit.
Darauf sei auch das wechselnde körperliche Aussehen zurückzuführen!!!
So fühlen z. B. »manche Menschen am Abend
‚männlicher‘ als am Morgen«; – recht begreiflich ... Die
Vergewaltigung aller Erscheinungen durch Formeln, gegen
die sich diese meist ihrer ganzen Natur nach sträuben,
ruft nach und nach den Eindruck einer beherrschenden
maniakalischen Vorstellung hervor. Erstaunlich ist die Oberflächlichkeit,
mit der die Merkmale der »Männlichkeit« und
»Weiblichkeit« aufgezählt werden. So heißt es z. B. als das
Merkmal »männlicher« Weiber, daß sie – studieren, Sport
treiben und – kein Mieder tragen!!! Sollen dies wirklich
die Anzeichen »männlicher Anlagen« sein – nicht vielleicht
eher die Resultate einer vernünftigen Propaganda?!

Freilich – Nietzsche hat ja schon in dem Zeitungslesen
der Weiber ihre Vermännlichung und damit die
»Verhäßlichung Europas« befürchtet! Übrigens tritt Weininger
nicht etwa gegen diese Vermännlichung auf; nur nennt er
Vermännlichung schlechtweg alles, was von rechtswegen
Vermenschlichung heißen soll und dem Manne zumindest
ebenso nottut wie der Frau. Alle Kultur geht ja dahin, das
Urtümliche zu differenzieren, das Individuum über die
bloße Gattungssphäre emporzuheben und in diesem Sinne
soll jede Nur-Weiblichkeit, aber auch jede Nur-Männlichkeit
einer verfeinerten und vertieften Menschlichkeit
Raum geben; ohne aber das Eigentümliche, Unersetzliche,
zum Fortbestand der Gattung Notwendige der eigenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="13"/>
dieses selbstgewundenen Knotens vorzunehmen. Das Selbstverständliche<lb/>
&#x2013; durch sich selbst Verständliche &#x2013; durch<lb/>
seinen Tatbestand sich Erklärende &#x2013; scheint ihm weitschweifiger<lb/>
Erklärungen bedürftig &#x2013; so z. B. die Tatsache,<lb/>
daß kein Mensch ganz so ist wie der andere. Die psychologische<lb/>
Verschiedenheit der Menschen erklärt er damit,<lb/>
&#x2013; daß jeder Mensch zwischen Mann und Weib »oszilliere«,<lb/>
und der Grad dieser »Oszillation« ergebe ihre Verschiedenheit.<lb/>
Darauf sei auch das wechselnde körperliche Aussehen zurückzuführen!!!<lb/>
So fühlen z. B. »manche Menschen am Abend<lb/>
&#x201A;männlicher&#x2018; als am Morgen«; &#x2013; recht begreiflich ... Die<lb/>
Vergewaltigung aller Erscheinungen durch Formeln, gegen<lb/>
die sich diese meist ihrer ganzen Natur nach <hi rendition="#g">sträuben</hi>,<lb/>
ruft nach und nach den Eindruck einer beherrschenden<lb/>
maniakalischen Vorstellung hervor. Erstaunlich ist die Oberflächlichkeit,<lb/>
mit der die Merkmale der »Männlichkeit« und<lb/>
»Weiblichkeit« aufgezählt werden. So heißt es z. B. als das<lb/>
Merkmal »männlicher« Weiber, daß sie &#x2013; studieren, Sport<lb/>
treiben <hi rendition="#g">und</hi> &#x2013; kein Mieder tragen!!! Sollen dies wirklich<lb/>
die Anzeichen »männlicher Anlagen« sein &#x2013; nicht vielleicht<lb/>
eher <hi rendition="#g">die Resultate einer vernünftigen Propaganda</hi>?!<lb/></p>
        <p>Freilich &#x2013; Nietzsche hat ja schon in dem <hi rendition="#g">Zeitungslesen</hi><lb/>
der Weiber ihre Vermännlichung und damit die<lb/>
»Verhäßlichung Europas« befürchtet! Übrigens tritt Weininger<lb/>
nicht etwa <hi rendition="#g">gegen</hi> diese Vermännlichung auf; nur nennt er<lb/>
Vermännlichung schlechtweg alles, was von rechtswegen<lb/><hi rendition="#g">Vermenschlichung</hi> heißen soll und dem Manne zumindest<lb/>
ebenso nottut wie der Frau. Alle Kultur geht ja dahin, das<lb/><hi rendition="#g">Urtümliche</hi> zu differenzieren, das Individuum über die<lb/>
bloße Gattungssphäre emporzuheben und in diesem Sinne<lb/>
soll jede Nur-Weiblichkeit, <hi rendition="#g">aber auch jede Nur-Männlichkeit</hi><lb/>
einer verfeinerten und vertieften Menschlichkeit<lb/>
Raum geben; ohne aber das Eigentümliche, <hi rendition="#g">Unersetzliche</hi>,<lb/>
zum Fortbestand der Gattung Notwendige der eigenen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0019] dieses selbstgewundenen Knotens vorzunehmen. Das Selbstverständliche – durch sich selbst Verständliche – durch seinen Tatbestand sich Erklärende – scheint ihm weitschweifiger Erklärungen bedürftig – so z. B. die Tatsache, daß kein Mensch ganz so ist wie der andere. Die psychologische Verschiedenheit der Menschen erklärt er damit, – daß jeder Mensch zwischen Mann und Weib »oszilliere«, und der Grad dieser »Oszillation« ergebe ihre Verschiedenheit. Darauf sei auch das wechselnde körperliche Aussehen zurückzuführen!!! So fühlen z. B. »manche Menschen am Abend ‚männlicher‘ als am Morgen«; – recht begreiflich ... Die Vergewaltigung aller Erscheinungen durch Formeln, gegen die sich diese meist ihrer ganzen Natur nach sträuben, ruft nach und nach den Eindruck einer beherrschenden maniakalischen Vorstellung hervor. Erstaunlich ist die Oberflächlichkeit, mit der die Merkmale der »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« aufgezählt werden. So heißt es z. B. als das Merkmal »männlicher« Weiber, daß sie – studieren, Sport treiben und – kein Mieder tragen!!! Sollen dies wirklich die Anzeichen »männlicher Anlagen« sein – nicht vielleicht eher die Resultate einer vernünftigen Propaganda?! Freilich – Nietzsche hat ja schon in dem Zeitungslesen der Weiber ihre Vermännlichung und damit die »Verhäßlichung Europas« befürchtet! Übrigens tritt Weininger nicht etwa gegen diese Vermännlichung auf; nur nennt er Vermännlichung schlechtweg alles, was von rechtswegen Vermenschlichung heißen soll und dem Manne zumindest ebenso nottut wie der Frau. Alle Kultur geht ja dahin, das Urtümliche zu differenzieren, das Individuum über die bloße Gattungssphäre emporzuheben und in diesem Sinne soll jede Nur-Weiblichkeit, aber auch jede Nur-Männlichkeit einer verfeinerten und vertieften Menschlichkeit Raum geben; ohne aber das Eigentümliche, Unersetzliche, zum Fortbestand der Gattung Notwendige der eigenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
Austrian Literature Online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen.
  • Der Zeilenfall wurde beibehalten, die Silbentrennung aber wurde aufgehoben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/19
Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/19>, abgerufen am 27.04.2024.