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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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die "Anregung", daß sie auf Grund dessen nicht die
"schicksalsschwere Einreihung" in ihr Geschlecht erfahren
hätten, sondern ins andere übergehen sollten, ausgeführt
denken, um die Ulkigkeit eines solchen Effektes voll zu
begreifen!

Man würde es nicht für möglich halten, daß in einem
Buche, das sich ernsthaft gibt und ernsthaft in den weitesten
Kreisen aufgenommen wurde, solche Vorschläge entwickelt
werden, man traut seiner Auffassung nicht recht, bis man
es mehrfach und unzweideutig wiederholt findet! Der Autor
spricht auch - in fetten Lettern - von Individuen, die
"zur Hälfte Mann und zur Hälfte Weib sind" (?!), - und
nicht in der Pathologie bekannte Spezialfälle meint er damit,
nicht bei Barnum & Bailey ausgestellte Mißgeburten, sondern
Individuen mit menschlichen Weichheiten (das sind die
verweiblichten) oder menschlichen Härten (die vermännlichten),
die angeblich auf ihr Geschlecht nicht "passen"
und sie daher in das andere verweisen! Das Neue der
eigenen Darlegung wird dabei mit besonderer Deutlichkeit
betont, gewöhnlich um irgend etwas besonders Monströses
zu verkünden. So sei z. B. die Homosexualität nicht als
Anomalie zu betrachten, sondern als die normale Geschlechtlichkeit
der sexuellen "Zwischenstufen" (?), indeß "die
Extreme nur Idealfälle sind!" (!) Jeder Satz beinahe -
Zeile für Zeile - windet neue Irrschlüsse ineinander. Daß
bei eingesperrten Stieren oder abgesperrten Menschen
(Matrosen, Gefangenen, Mönchen) die Homosexualität gebräuchlich
ist, beweist ihm - nicht etwa, daß ein gezwungenes
Vorliebnehmenmüssen mangels andersgeschlechtlicher
Komplemente sie dazu treibt, sondern - er erblickt darin
"eine der stärksten Bestätigungen des aufgestellten Gesetzes
der sexuellen Anziehung". (!)

Der Schlußresolution dieses Kapitels, die dafür eintritt,
daß Homosexuelle weder durch das Irrenhaus noch

die »Anregung«, daß sie auf Grund dessen nicht die
»schicksalsschwere Einreihung« in ihr Geschlecht erfahren
hätten, sondern ins andere übergehen sollten, ausgeführt
denken, um die Ulkigkeit eines solchen Effektes voll zu
begreifen!

Man würde es nicht für möglich halten, daß in einem
Buche, das sich ernsthaft gibt und ernsthaft in den weitesten
Kreisen aufgenommen wurde, solche Vorschläge entwickelt
werden, man traut seiner Auffassung nicht recht, bis man
es mehrfach und unzweideutig wiederholt findet! Der Autor
spricht auch – in fetten Lettern – von Individuen, die
»zur Hälfte Mann und zur Hälfte Weib sind« (?!), – und
nicht in der Pathologie bekannte Spezialfälle meint er damit,
nicht bei Barnum & Bailey ausgestellte Mißgeburten, sondern
Individuen mit menschlichen Weichheiten (das sind die
verweiblichten) oder menschlichen Härten (die vermännlichten),
die angeblich auf ihr Geschlecht nicht »passen«
und sie daher in das andere verweisen! Das Neue der
eigenen Darlegung wird dabei mit besonderer Deutlichkeit
betont, gewöhnlich um irgend etwas besonders Monströses
zu verkünden. So sei z. B. die Homosexualität nicht als
Anomalie zu betrachten, sondern als die normale Geschlechtlichkeit
der sexuellen »Zwischenstufen« (?), indeß »die
Extreme nur Idealfälle sind!« (!) Jeder Satz beinahe –
Zeile für Zeile – windet neue Irrschlüsse ineinander. Daß
bei eingesperrten Stieren oder abgesperrten Menschen
(Matrosen, Gefangenen, Mönchen) die Homosexualität gebräuchlich
ist, beweist ihm – nicht etwa, daß ein gezwungenes
Vorliebnehmenmüssen mangels andersgeschlechtlicher
Komplemente sie dazu treibt, sondern – er erblickt darin
»eine der stärksten Bestätigungen des aufgestellten Gesetzes
der sexuellen Anziehung«. (!)

Der Schlußresolution dieses Kapitels, die dafür eintritt,
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[11/0017] die »Anregung«, daß sie auf Grund dessen nicht die »schicksalsschwere Einreihung« in ihr Geschlecht erfahren hätten, sondern ins andere übergehen sollten, ausgeführt denken, um die Ulkigkeit eines solchen Effektes voll zu begreifen! Man würde es nicht für möglich halten, daß in einem Buche, das sich ernsthaft gibt und ernsthaft in den weitesten Kreisen aufgenommen wurde, solche Vorschläge entwickelt werden, man traut seiner Auffassung nicht recht, bis man es mehrfach und unzweideutig wiederholt findet! Der Autor spricht auch – in fetten Lettern – von Individuen, die »zur Hälfte Mann und zur Hälfte Weib sind« (?!), – und nicht in der Pathologie bekannte Spezialfälle meint er damit, nicht bei Barnum & Bailey ausgestellte Mißgeburten, sondern Individuen mit menschlichen Weichheiten (das sind die verweiblichten) oder menschlichen Härten (die vermännlichten), die angeblich auf ihr Geschlecht nicht »passen« und sie daher in das andere verweisen! Das Neue der eigenen Darlegung wird dabei mit besonderer Deutlichkeit betont, gewöhnlich um irgend etwas besonders Monströses zu verkünden. So sei z. B. die Homosexualität nicht als Anomalie zu betrachten, sondern als die normale Geschlechtlichkeit der sexuellen »Zwischenstufen« (?), indeß »die Extreme nur Idealfälle sind!« (!) Jeder Satz beinahe – Zeile für Zeile – windet neue Irrschlüsse ineinander. Daß bei eingesperrten Stieren oder abgesperrten Menschen (Matrosen, Gefangenen, Mönchen) die Homosexualität gebräuchlich ist, beweist ihm – nicht etwa, daß ein gezwungenes Vorliebnehmenmüssen mangels andersgeschlechtlicher Komplemente sie dazu treibt, sondern – er erblickt darin »eine der stärksten Bestätigungen des aufgestellten Gesetzes der sexuellen Anziehung«. (!) Der Schlußresolution dieses Kapitels, die dafür eintritt, daß Homosexuelle weder durch das Irrenhaus noch

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/17>, abgerufen am 26.04.2024.