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Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess der kapitalistischen Produktion. Kapitel I bis XXVIII. Hamburg, 1894.

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Es macht also nicht die geringste Schwierigkeit einzusehn, warum
das Kaufmannskapital als historische Form des Kapitals erscheint,
lange bevor das Kapital sich die Produktion selbst unterworfen
hat. Seine Existenz und Entwicklung zu einer gewissen Höhe ist
selbst historische Voraussetzung für die Entwicklung der kapita-
listischen Produktionsweise, 1) als Vorbedingung der Koncentration
von Geldvermögen, und 2) weil die kapitalistische Produktionsweise
Produktion für den Handel voraussetzt, Absatz im Grossen und
nicht an den einzelnen Kunden, also auch einen Kaufmann, der
nicht zur Befriedigung seines persönlichen Bedürfnisses kauft, sondern
die Kaufakte Vieler in seinem Kaufakt koncentrirt. Andrerseits
wirkt alle Entwicklung des Kaufmannskapitals darauf hin, der Pro-
duktion einen mehr und mehr auf den Tauschwerth gerichteten
Charakter zu geben, die Produkte mehr und mehr in Waaren zu
verwandeln. Doch ist seine Entwicklung, für sich genommen, wie
wir gleich unten noch weiter sehn werden, unzureichend, um den
Uebergang einer Produktionsweise in die andre zu vermitteln und
zu erklären.

Innerhalb der kapitalistischen Produktion wird das Kaufmanns-
kapital von seiner frühern selbständigen Existenz herabgesetzt zu
einem besondern Moment der Kapitalanlage überhaupt, und die
Ausgleichung der Profite reducirt seine Profitrate auf den allge-
meinen Durchschnitt. Es fungirt nur noch als der Agent des pro-
duktiven Kapitals. Die mit der Entwicklung des Kaufmannskapitals
sich bildenden besondern Gesellschaftszustände sind hier nicht mehr
bestimmend; im Gegentheil, wo es vorherrscht, herrschen veraltete
Zustände. Dies gilt sogar innerhalb desselben Landes, wo z. B.
die reinen Handelsstädte ganz andre Analogien mit vergangnen Zu-
ständen bilden, als die Fabrikstädte.46)

Selbständige und vorwiegende Entwicklung des Kapitals als
Kaufmannskapitals ist gleichbedeutend mit Nichtunterwerfung der

46) Herr W. Kiesselbach ("Der Gang des Welthandels im Mittelalter." 1860)
lebt in der That immer noch in den Vorstellungen einer Welt, worin das
Kaufmannskapital die Form des Kapitals überhaupt ist. Von dem modernen
Sinn des Kapitals hat er nicht die geringste Ahnung, so wenig wie Herr
Mommsen, wenn er in seiner römischen Geschichte von "Kapital" spricht und
von Herrschaft des Kapitals. In der modernen englischen Geschichte erscheint
der eigentliche Handelsstand und die Handelsstädte auch politisch reaktionär
und im Bund mit der Grundaristokratie und Finanzaristokratie gegen das
industrielle Kapital. Man vergleiche z. B. die politische Rolle von Liver-
pool gegenüber Manchester und Birmingham. Die vollständige Herrschaft
des industriellen Kapitals ist erst seit Aufhebung der Kornzölle etc. vom eng-
lischen Kaufmannskapital und von der Finanzaristokratie (moneyed interest)
anerkannt.

Es macht also nicht die geringste Schwierigkeit einzusehn, warum
das Kaufmannskapital als historische Form des Kapitals erscheint,
lange bevor das Kapital sich die Produktion selbst unterworfen
hat. Seine Existenz und Entwicklung zu einer gewissen Höhe ist
selbst historische Voraussetzung für die Entwicklung der kapita-
listischen Produktionsweise, 1) als Vorbedingung der Koncentration
von Geldvermögen, und 2) weil die kapitalistische Produktionsweise
Produktion für den Handel voraussetzt, Absatz im Grossen und
nicht an den einzelnen Kunden, also auch einen Kaufmann, der
nicht zur Befriedigung seines persönlichen Bedürfnisses kauft, sondern
die Kaufakte Vieler in seinem Kaufakt koncentrirt. Andrerseits
wirkt alle Entwicklung des Kaufmannskapitals darauf hin, der Pro-
duktion einen mehr und mehr auf den Tauschwerth gerichteten
Charakter zu geben, die Produkte mehr und mehr in Waaren zu
verwandeln. Doch ist seine Entwicklung, für sich genommen, wie
wir gleich unten noch weiter sehn werden, unzureichend, um den
Uebergang einer Produktionsweise in die andre zu vermitteln und
zu erklären.

Innerhalb der kapitalistischen Produktion wird das Kaufmanns-
kapital von seiner frühern selbständigen Existenz herabgesetzt zu
einem besondern Moment der Kapitalanlage überhaupt, und die
Ausgleichung der Profite reducirt seine Profitrate auf den allge-
meinen Durchschnitt. Es fungirt nur noch als der Agent des pro-
duktiven Kapitals. Die mit der Entwicklung des Kaufmannskapitals
sich bildenden besondern Gesellschaftszustände sind hier nicht mehr
bestimmend; im Gegentheil, wo es vorherrscht, herrschen veraltete
Zustände. Dies gilt sogar innerhalb desselben Landes, wo z. B.
die reinen Handelsstädte ganz andre Analogien mit vergangnen Zu-
ständen bilden, als die Fabrikstädte.46)

Selbständige und vorwiegende Entwicklung des Kapitals als
Kaufmannskapitals ist gleichbedeutend mit Nichtunterwerfung der

46) Herr W. Kiesselbach („Der Gang des Welthandels im Mittelalter.“ 1860)
lebt in der That immer noch in den Vorstellungen einer Welt, worin das
Kaufmannskapital die Form des Kapitals überhaupt ist. Von dem modernen
Sinn des Kapitals hat er nicht die geringste Ahnung, so wenig wie Herr
Mommsen, wenn er in seiner römischen Geschichte von „Kapital“ spricht und
von Herrschaft des Kapitals. In der modernen englischen Geschichte erscheint
der eigentliche Handelsstand und die Handelsstädte auch politisch reaktionär
und im Bund mit der Grundaristokratie und Finanzaristokratie gegen das
industrielle Kapital. Man vergleiche z. B. die politische Rolle von Liver-
pool gegenüber Manchester und Birmingham. Die vollständige Herrschaft
des industriellen Kapitals ist erst seit Aufhebung der Kornzölle etc. vom eng-
lischen Kaufmannskapital und von der Finanzaristokratie (moneyed interest)
anerkannt.
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[311/0345] Es macht also nicht die geringste Schwierigkeit einzusehn, warum das Kaufmannskapital als historische Form des Kapitals erscheint, lange bevor das Kapital sich die Produktion selbst unterworfen hat. Seine Existenz und Entwicklung zu einer gewissen Höhe ist selbst historische Voraussetzung für die Entwicklung der kapita- listischen Produktionsweise, 1) als Vorbedingung der Koncentration von Geldvermögen, und 2) weil die kapitalistische Produktionsweise Produktion für den Handel voraussetzt, Absatz im Grossen und nicht an den einzelnen Kunden, also auch einen Kaufmann, der nicht zur Befriedigung seines persönlichen Bedürfnisses kauft, sondern die Kaufakte Vieler in seinem Kaufakt koncentrirt. Andrerseits wirkt alle Entwicklung des Kaufmannskapitals darauf hin, der Pro- duktion einen mehr und mehr auf den Tauschwerth gerichteten Charakter zu geben, die Produkte mehr und mehr in Waaren zu verwandeln. Doch ist seine Entwicklung, für sich genommen, wie wir gleich unten noch weiter sehn werden, unzureichend, um den Uebergang einer Produktionsweise in die andre zu vermitteln und zu erklären. Innerhalb der kapitalistischen Produktion wird das Kaufmanns- kapital von seiner frühern selbständigen Existenz herabgesetzt zu einem besondern Moment der Kapitalanlage überhaupt, und die Ausgleichung der Profite reducirt seine Profitrate auf den allge- meinen Durchschnitt. Es fungirt nur noch als der Agent des pro- duktiven Kapitals. Die mit der Entwicklung des Kaufmannskapitals sich bildenden besondern Gesellschaftszustände sind hier nicht mehr bestimmend; im Gegentheil, wo es vorherrscht, herrschen veraltete Zustände. Dies gilt sogar innerhalb desselben Landes, wo z. B. die reinen Handelsstädte ganz andre Analogien mit vergangnen Zu- ständen bilden, als die Fabrikstädte. 46) Selbständige und vorwiegende Entwicklung des Kapitals als Kaufmannskapitals ist gleichbedeutend mit Nichtunterwerfung der 46) Herr W. Kiesselbach („Der Gang des Welthandels im Mittelalter.“ 1860) lebt in der That immer noch in den Vorstellungen einer Welt, worin das Kaufmannskapital die Form des Kapitals überhaupt ist. Von dem modernen Sinn des Kapitals hat er nicht die geringste Ahnung, so wenig wie Herr Mommsen, wenn er in seiner römischen Geschichte von „Kapital“ spricht und von Herrschaft des Kapitals. In der modernen englischen Geschichte erscheint der eigentliche Handelsstand und die Handelsstädte auch politisch reaktionär und im Bund mit der Grundaristokratie und Finanzaristokratie gegen das industrielle Kapital. Man vergleiche z. B. die politische Rolle von Liver- pool gegenüber Manchester und Birmingham. Die vollständige Herrschaft des industriellen Kapitals ist erst seit Aufhebung der Kornzölle etc. vom eng- lischen Kaufmannskapital und von der Finanzaristokratie (moneyed interest) anerkannt.

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess der kapitalistischen Produktion. Kapitel I bis XXVIII. Hamburg, 1894, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0301_1894/345>, abgerufen am 27.04.2024.