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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Nachtönen; Musikalisches Gehör; Nachaussensetzen des Tons.
ren, als die von Scheibler herrührende, welche in alle Lehrbücher der Physik
und Physiologie aufgenommen und dort nachzusehen ist. Nach dieser Erklärung
soll nämlich das Gehörorgan die Resultirende und dann auch wieder die Com-
ponenten hören, was natürlich nicht angeht.

3. Nachtönen.

Die Empfindung muss die Erschütterung der Gehörnerven über-
dauern, wie aus den Thatsachen über die Empfindung der Tonhöhe her-
vorgeht, aber dieses Ueberdauern beträgt nur sehr kurze Zeiten wie
daraus folgt, dass verschiedene rasch hinter einander erzeugte Töne
sich in der Empfindung nicht stören. Zudem ist es eine bekannte
Erfahrung, dass selbst nach anhaltender Einwirkung eines Tons kein
Nachtönen (ähnlich den Nachbildern) eintritt. Doch kann nicht alles
Nachtönen geläugnet werden; nach stunden- oder tagelangem An-
dauern eines Tons bleibt er endlich, selbst wenn das tönende Objekt
entfernt ist, im Ohr zurück. -- Die Umstände seiner Entstehung be-
dürfen noch genauerer Untersuchung.

4. Feinheit der Tonunterscheidung; musikalisches Gehör.

Die Fähigkeit Töne überhaupt zu hören, ist wesentlich von dem
Vermögen, die gehörten Töne ihrer Höhe nach in eine richtige Reihen-
folge zu stellen, verschieden; bekanntlich ist ein scharfes Gehör noch
kein musikalisches. Ob die Gründe für die Feinheit des musikalischen
Gehörs nur in einer besonderen Ausbildung der Seelenfähigkeiten oder
auch in einer gleichzeitigen der Gehörnerven gesucht werden müssen,
ist vorerst eine müssige Untersuchung. Ueber das Vermögen selbst
genügt es, hier nur anzumerken, dass nach Seebeck *) von geübten Mu-
sikern mit Leichtigkeit noch Töne als verschieden erkannt und richtig
geordnet werden, welche auf 1200 Schwingungen in der Sekunde um
1 Schwingung differiren.

Die gewöhnlichen dürftigen Andeutungen über Accorde, Harmonie u. s. w.,
welche in den physiologischen Lehrbüchern abgehandelt werden, haben wir hier
absichtlich unterdrückt. Sie gehören in die Theorie der Tonkunst.

5. Nachaussensetzen der Gehörempfindung. Richtungen des
Hörens.

Die Empfindungszustände der Gehörnerven setzt die Seele, gleich
denen des Gesichtsnerven, nicht in die Nerven oder in unsern Körper,
sondern jenseits desselben in den Raum. Nach der bemerkenswerthen
Entdeckung von Ed. Weber sind es die Schwingungen des Trom-
melfells, welche uns diese Vorstellung verschaffen; denn es zeigte sich,
dass wir nur so lange die schallerzeugende Ursache als ausserhalb
unseres Körpers befindlich ansehen, als das Trommelfell zu Schwin-
gungen befähigt ist; während wir augenblicklich den ausserhalb unse-

*) Dove's Repertorium VIII. Akustik 106.

Nachtönen; Musikalisches Gehör; Nachaussensetzen des Tons.
ren, als die von Scheibler herrührende, welche in alle Lehrbücher der Physik
und Physiologie aufgenommen und dort nachzusehen ist. Nach dieser Erklärung
soll nämlich das Gehörorgan die Resultirende und dann auch wieder die Com-
ponenten hören, was natürlich nicht angeht.

3. Nachtönen.

Die Empfindung muss die Erschütterung der Gehörnerven über-
dauern, wie aus den Thatsachen über die Empfindung der Tonhöhe her-
vorgeht, aber dieses Ueberdauern beträgt nur sehr kurze Zeiten wie
daraus folgt, dass verschiedene rasch hinter einander erzeugte Töne
sich in der Empfindung nicht stören. Zudem ist es eine bekannte
Erfahrung, dass selbst nach anhaltender Einwirkung eines Tons kein
Nachtönen (ähnlich den Nachbildern) eintritt. Doch kann nicht alles
Nachtönen geläugnet werden; nach stunden- oder tagelangem An-
dauern eines Tons bleibt er endlich, selbst wenn das tönende Objekt
entfernt ist, im Ohr zurück. — Die Umstände seiner Entstehung be-
dürfen noch genauerer Untersuchung.

4. Feinheit der Tonunterscheidung; musikalisches Gehör.

Die Fähigkeit Töne überhaupt zu hören, ist wesentlich von dem
Vermögen, die gehörten Töne ihrer Höhe nach in eine richtige Reihen-
folge zu stellen, verschieden; bekanntlich ist ein scharfes Gehör noch
kein musikalisches. Ob die Gründe für die Feinheit des musikalischen
Gehörs nur in einer besonderen Ausbildung der Seelenfähigkeiten oder
auch in einer gleichzeitigen der Gehörnerven gesucht werden müssen,
ist vorerst eine müssige Untersuchung. Ueber das Vermögen selbst
genügt es, hier nur anzumerken, dass nach Seebeck *) von geübten Mu-
sikern mit Leichtigkeit noch Töne als verschieden erkannt und richtig
geordnet werden, welche auf 1200 Schwingungen in der Sekunde um
1 Schwingung differiren.

Die gewöhnlichen dürftigen Andeutungen über Accorde, Harmonie u. s. w.,
welche in den physiologischen Lehrbüchern abgehandelt werden, haben wir hier
absichtlich unterdrückt. Sie gehören in die Theorie der Tonkunst.

5. Nachaussensetzen der Gehörempfindung. Richtungen des
Hörens.

Die Empfindungszustände der Gehörnerven setzt die Seele, gleich
denen des Gesichtsnerven, nicht in die Nerven oder in unsern Körper,
sondern jenseits desselben in den Raum. Nach der bemerkenswerthen
Entdeckung von Ed. Weber sind es die Schwingungen des Trom-
melfells, welche uns diese Vorstellung verschaffen; denn es zeigte sich,
dass wir nur so lange die schallerzeugende Ursache als ausserhalb
unseres Körpers befindlich ansehen, als das Trommelfell zu Schwin-
gungen befähigt ist; während wir augenblicklich den ausserhalb unse-

*) Dove’s Repertorium VIII. Akustik 106.
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[285/0299] Nachtönen; Musikalisches Gehör; Nachaussensetzen des Tons. ren, als die von Scheibler herrührende, welche in alle Lehrbücher der Physik und Physiologie aufgenommen und dort nachzusehen ist. Nach dieser Erklärung soll nämlich das Gehörorgan die Resultirende und dann auch wieder die Com- ponenten hören, was natürlich nicht angeht. 3. Nachtönen. Die Empfindung muss die Erschütterung der Gehörnerven über- dauern, wie aus den Thatsachen über die Empfindung der Tonhöhe her- vorgeht, aber dieses Ueberdauern beträgt nur sehr kurze Zeiten wie daraus folgt, dass verschiedene rasch hinter einander erzeugte Töne sich in der Empfindung nicht stören. Zudem ist es eine bekannte Erfahrung, dass selbst nach anhaltender Einwirkung eines Tons kein Nachtönen (ähnlich den Nachbildern) eintritt. Doch kann nicht alles Nachtönen geläugnet werden; nach stunden- oder tagelangem An- dauern eines Tons bleibt er endlich, selbst wenn das tönende Objekt entfernt ist, im Ohr zurück. — Die Umstände seiner Entstehung be- dürfen noch genauerer Untersuchung. 4. Feinheit der Tonunterscheidung; musikalisches Gehör. Die Fähigkeit Töne überhaupt zu hören, ist wesentlich von dem Vermögen, die gehörten Töne ihrer Höhe nach in eine richtige Reihen- folge zu stellen, verschieden; bekanntlich ist ein scharfes Gehör noch kein musikalisches. Ob die Gründe für die Feinheit des musikalischen Gehörs nur in einer besonderen Ausbildung der Seelenfähigkeiten oder auch in einer gleichzeitigen der Gehörnerven gesucht werden müssen, ist vorerst eine müssige Untersuchung. Ueber das Vermögen selbst genügt es, hier nur anzumerken, dass nach Seebeck *) von geübten Mu- sikern mit Leichtigkeit noch Töne als verschieden erkannt und richtig geordnet werden, welche auf 1200 Schwingungen in der Sekunde um 1 Schwingung differiren. Die gewöhnlichen dürftigen Andeutungen über Accorde, Harmonie u. s. w., welche in den physiologischen Lehrbüchern abgehandelt werden, haben wir hier absichtlich unterdrückt. Sie gehören in die Theorie der Tonkunst. 5. Nachaussensetzen der Gehörempfindung. Richtungen des Hörens. Die Empfindungszustände der Gehörnerven setzt die Seele, gleich denen des Gesichtsnerven, nicht in die Nerven oder in unsern Körper, sondern jenseits desselben in den Raum. Nach der bemerkenswerthen Entdeckung von Ed. Weber sind es die Schwingungen des Trom- melfells, welche uns diese Vorstellung verschaffen; denn es zeigte sich, dass wir nur so lange die schallerzeugende Ursache als ausserhalb unseres Körpers befindlich ansehen, als das Trommelfell zu Schwin- gungen befähigt ist; während wir augenblicklich den ausserhalb unse- *) Dove’s Repertorium VIII. Akustik 106.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/299>, abgerufen am 26.04.2024.