Siehest du, mein Kind, die Blumen mit solchem Gemüth an, so wirst du dich durch den Genuß dersel- ben nicht nur nicht beflecken; sondern vielmehr etwas in dich bekommen, wodurch auch dein Leib am Ta- ge der Auferstehung auf das herrlichste wird ge- schmücket werden, in majestätischer, unverwelcklicher Jugend-Blüthe, mit den unzehligen Arten der Blumen im himmlischen Eden sich ewig zu erfreuen.
§. 6.
Siehest du sodann, und hörest ein Vögelein lustig singen; so mercke
1) Wie GOttes Natur die höchste/ innigste und ununterbrochene Freude seye/ so, wie die himmlisch-paradiesischen Singe- Vögelein, die heiligen Engel es ebenmäßig bewei- sen, indem sie den Himmel unaussetzlich in heilig- anhaltender Stille mit einem sanfften Jubel-Thon erfüllen. Folglich ist ein Canari-Vögelein, eine Nachtigal, ein Lerchlein nichts anders, als ein klei- nes Tröpfflein aus dem göttlichen Freuden-Meer. Wann die Vögelein deine Sprache verstünden, so kuntest du ihnen dieses sagen und anzeigen, was sie seyen durch ihres Schöpffers willen; wodurch sie angetrieben würden, ihre Kehlen noch munterer zu rühren. Lerne von denselben
2) Ein Sorgen-und Kummer-freyes Leben/ mit tieffer Beschämung deiner Seele. Wann du z. E. eine Meise im Winter siehest, wie sie von einem bereifften Aestgen auf den andern hüpffet, und ihre Speise bald hier bald dort im
Schnee
A a
der Verfuͤhrung der Jugend.
Sieheſt du, mein Kind, die Blumen mit ſolchem Gemuͤth an, ſo wirſt du dich durch den Genuß derſel- ben nicht nur nicht beflecken; ſondern vielmehr etwas in dich bekommen, wodurch auch dein Leib am Ta- ge der Auferſtehung auf das herrlichſte wird ge- ſchmuͤcket werden, in majeſtaͤtiſcher, unverwelcklicher Jugend-Bluͤthe, mit den unzehligen Arten der Blumen im himmliſchen Eden ſich ewig zu erfreuen.
§. 6.
Sieheſt du ſodann, und hoͤreſt ein Voͤgelein luſtig ſingen; ſo mercke
1) Wie GOttes Natur die hoͤchſte/ innigſte und ununterbrochene Freude ſeye/ ſo, wie die himmliſch-paradieſiſchen Singe- Voͤgelein, die heiligen Engel es ebenmaͤßig bewei- ſen, indem ſie den Himmel unausſetzlich in heilig- anhaltender Stille mit einem ſanfften Jubel-Thon erfuͤllen. Folglich iſt ein Canari-Voͤgelein, eine Nachtigal, ein Lerchlein nichts anders, als ein klei- nes Troͤpfflein aus dem goͤttlichen Freuden-Meer. Wann die Voͤgelein deine Sprache verſtuͤnden, ſo kunteſt du ihnen dieſes ſagen und anzeigen, was ſie ſeyen durch ihres Schoͤpffers willen; wodurch ſie angetrieben wuͤrden, ihre Kehlen noch munterer zu ruͤhren. Lerne von denſelben
2) Ein Sorgen-und Kummer-freyes Leben/ mit tieffer Beſchaͤmung deiner Seele. Wann du z. E. eine Meiſe im Winter ſieheſt, wie ſie von einem bereifften Aeſtgen auf den andern huͤpffet, und ihre Speiſe bald hier bald dort im
Schnee
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der Verfuͤhrung der Jugend.
Sieheſt du, mein Kind, die Blumen mit ſolchem
Gemuͤth an, ſo wirſt du dich durch den Genuß derſel-
ben nicht nur nicht beflecken; ſondern vielmehr etwas
in dich bekommen, wodurch auch dein Leib am Ta-
ge der Auferſtehung auf das herrlichſte wird ge-
ſchmuͤcket werden, in majeſtaͤtiſcher, unverwelcklicher
Jugend-Bluͤthe, mit den unzehligen Arten der
Blumen im himmliſchen Eden ſich ewig zu erfreuen.
§. 6.
Sieheſt du ſodann, und hoͤreſt ein Voͤgelein
luſtig ſingen; ſo mercke
1) Wie GOttes Natur die hoͤchſte/
innigſte und ununterbrochene Freude
ſeye/ ſo, wie die himmliſch-paradieſiſchen Singe-
Voͤgelein, die heiligen Engel es ebenmaͤßig bewei-
ſen, indem ſie den Himmel unausſetzlich in heilig-
anhaltender Stille mit einem ſanfften Jubel-Thon
erfuͤllen. Folglich iſt ein Canari-Voͤgelein, eine
Nachtigal, ein Lerchlein nichts anders, als ein klei-
nes Troͤpfflein aus dem goͤttlichen Freuden-Meer.
Wann die Voͤgelein deine Sprache verſtuͤnden, ſo
kunteſt du ihnen dieſes ſagen und anzeigen, was ſie
ſeyen durch ihres Schoͤpffers willen; wodurch ſie
angetrieben wuͤrden, ihre Kehlen noch munterer zu
ruͤhren. Lerne von denſelben
2) Ein Sorgen-und Kummer-freyes
Leben/ mit tieffer Beſchaͤmung deiner Seele.
Wann du z. E. eine Meiſe im Winter ſieheſt,
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Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/387>, abgerufen am 21.11.2024.
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