"len Schein in ihre Hertzen gegeben, und sie einer "himmlischen Einleuchtung des Heil. Geistes ge- "würdiget. Nur eines, setzet etwa der Vater "Spott-weise hinzu, besorge ich, mein Sohn ge- "be zuletzt einen Propheten, oder wohl gar einen "Apostel ab; er hat bereits ziemliche Anfänge dar- "zu, dann er will alles geradzu nach der H. Schrifft "haben." etc.
§. 10.
Man machet es demnach von Seiten vieler Eltern, wie jene vornehme Mutter/ welche an ei- ne ihrer vertrauten Freundinnen folgenden Klag- Brief solle zugefertiget haben:
Allerliebste Hertzens-Schwester!
"Es ist wohl eine gründliche Warheit, daß kleine Kin- "der kleine Sorgen, und hingegen grosse Kinder auch gros- "se Sorgen machen. Dieses erfahre ich nun zu meinem "höchsten Betrübniß an meiner Tochter, welche bereits das "18te Jahr zurück geleget hat. Als sie noch ein kleines "Mädgen ware, lernete sie allerley lustige Mährlein, und "zeigete grossen Verstand in der Durchziehung des Gesin- "des, machte mir auch die Zeit auf tausenderley Weise "kurtz: Wie sie sich dann auch nach der Zeit in denen Ge- "sellschafften mit Tantzen, Spielen und andern wohlanstän- "digen Sitten so trefflich angelassen, daß ich mir die gewünsch- "te Hoffnung machen kunte, sie werde durch ihre geschickte "Aufführung eine Ehre meines Geschlechtes werden. Seit "dem sie aber, ich weiß nicht durch was für ein widriges "Schicksal, hinter Joh. Arndts wahres Christenthum und "D.Speners Schrifften gerathen ist; hat sie sich gantz "umgekehret, so, daß ich sie anjetzo für nichts anders als "für ein ungerathenes und solches Kind halten kan, das "mich, seine getreue Mutter, bis in den Tod betrübet.
"Wann
Cap. 2. Die zweyte Quelle
“len Schein in ihre Hertzen gegeben, und ſie einer “himmliſchen Einleuchtung des Heil. Geiſtes ge- “wuͤrdiget. Nur eines, ſetzet etwa der Vater “Spott-weiſe hinzu, beſorge ich, mein Sohn ge- “be zuletzt einen Propheten, oder wohl gar einen “Apoſtel ab; er hat bereits ziemliche Anfaͤnge dar- “zu, dann er will alles geradzu nach der H. Schrifft “haben.‟ ꝛc.
§. 10.
Man machet es demnach von Seiten vieler Eltern, wie jene vornehme Mutter/ welche an ei- ne ihrer vertrauten Freundinnen folgenden Klag- Brief ſolle zugefertiget haben:
Allerliebſte Hertzens-Schweſter!
„Es iſt wohl eine gruͤndliche Warheit, daß kleine Kin- “der kleine Sorgen, und hingegen groſſe Kinder auch groſ- “ſe Sorgen machen. Dieſes erfahre ich nun zu meinem “hoͤchſten Betruͤbniß an meiner Tochter, welche bereits das “18te Jahr zuruͤck geleget hat. Als ſie noch ein kleines “Maͤdgen ware, lernete ſie allerley luſtige Maͤhrlein, und “zeigete groſſen Verſtand in der Durchziehung des Geſin- “des, machte mir auch die Zeit auf tauſenderley Weiſe “kurtz: Wie ſie ſich dann auch nach der Zeit in denen Ge- “ſellſchafften mit Tantzen, Spielen und andern wohlanſtaͤn- “digen Sitten ſo trefflich angelaſſen, daß ich mir die gewuͤnſch- “te Hoffnung machen kunte, ſie werde durch ihre geſchickte “Auffuͤhrung eine Ehre meines Geſchlechtes werden. Seit “dem ſie aber, ich weiß nicht durch was fuͤr ein widriges “Schickſal, hinter Joh. Arndts wahres Chriſtenthum und “D.Speners Schrifften gerathen iſt; hat ſie ſich gantz “umgekehret, ſo, daß ich ſie anjetzo fuͤr nichts anders als “fuͤr ein ungerathenes und ſolches Kind halten kan, das “mich, ſeine getreue Mutter, bis in den Tod betruͤbet.
“Wann
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Cap. 2. Die zweyte Quelle
“len Schein in ihre Hertzen gegeben, und ſie einer
“himmliſchen Einleuchtung des Heil. Geiſtes ge-
“wuͤrdiget. Nur eines, ſetzet etwa der Vater
“Spott-weiſe hinzu, beſorge ich, mein Sohn ge-
“be zuletzt einen Propheten, oder wohl gar einen
“Apoſtel ab; er hat bereits ziemliche Anfaͤnge dar-
“zu, dann er will alles geradzu nach der H. Schrifft
“haben.‟ ꝛc.
§. 10.
Man machet es demnach von Seiten vieler
Eltern, wie jene vornehme Mutter/ welche an ei-
ne ihrer vertrauten Freundinnen folgenden Klag-
Brief ſolle zugefertiget haben:
Allerliebſte Hertzens-Schweſter!
„Es iſt wohl eine gruͤndliche Warheit, daß kleine Kin-
“der kleine Sorgen, und hingegen groſſe Kinder auch groſ-
“ſe Sorgen machen. Dieſes erfahre ich nun zu meinem
“hoͤchſten Betruͤbniß an meiner Tochter, welche bereits das
“18te Jahr zuruͤck geleget hat. Als ſie noch ein kleines
“Maͤdgen ware, lernete ſie allerley luſtige Maͤhrlein, und
“zeigete groſſen Verſtand in der Durchziehung des Geſin-
“des, machte mir auch die Zeit auf tauſenderley Weiſe
“kurtz: Wie ſie ſich dann auch nach der Zeit in denen Ge-
“ſellſchafften mit Tantzen, Spielen und andern wohlanſtaͤn-
“digen Sitten ſo trefflich angelaſſen, daß ich mir die gewuͤnſch-
“te Hoffnung machen kunte, ſie werde durch ihre geſchickte
“Auffuͤhrung eine Ehre meines Geſchlechtes werden. Seit
“dem ſie aber, ich weiß nicht durch was fuͤr ein widriges
“Schickſal, hinter Joh. Arndts wahres Chriſtenthum und
“D. Speners Schrifften gerathen iſt; hat ſie ſich gantz
“umgekehret, ſo, daß ich ſie anjetzo fuͤr nichts anders als
“fuͤr ein ungerathenes und ſolches Kind halten kan, das
“mich, ſeine getreue Mutter, bis in den Tod betruͤbet.
“Wann
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Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/112>, abgerufen am 17.07.2024.
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