des ewigen Lebens bey dir, so wirds dir eine ausnehmende Wollust seyn, jedermann Gutes zu thun.
Das eilffte Capitel. Klag über die Lieblosigkeit und wie ihro könne Einhalt gethan werden.
Die Liebe der ersten Christen ist verlo- schen.
§. 1. Es ist in diesen erfrornen Zeiten fast unglaublich die vor- treffliche Liebe der ersten Christen; sie liessen keinen betlen gehen, sie gaben ihre Seelen voreinander, die vornehmste Frauen besuch- ten ihre arme Nachbarinnen, grieffen ihre Geschwär an, bunden ihre Wunden auf, legten Pflaster auf, machten ihre Bette, und giengen ihnen wie die geringste Mägde an die Hand: Eine wende- te die Krancke um, die andere halff ihr auf, die dritte zoge ihre Kleider zurecht, die vierte reichete ihr Nahrung; und in allem die- sem sahe die krancke Creatur, so zu sagen, das Angesicht ihres Heilands JEsu, die aber welche der krancken Handreichung thäte, sahe auf Christum in der Krancken, wie die Krancke JEsum in der Person deren die ihr dienete. So göttlich, so himmlisch waren ihre Werck der Barmhertzigkeit, daß eines dem anderen an GOt- tes statt ware, und die Worte Christi, was ihr einem unter diesen geringsten Brüderen gethan habt, das habt ihr mir gethan, kamen nimmer aus ihren Gedancken: Die Heiden erstauneten darab, sagende: Sehet doch, wie sie einander lieben!
Ach! wo sind doch diese guldene seelige Zeiten hinkommen, da man kaum zwey oder drey findet in einer Stadt, die durchaus gleich gesinnet seyen, und einander grundlich wol meynen, will geschwei- gen, daß sie das Leben vor einander liessen? Ach wir träncken JEsum mit Gallen und Eßig; wie billich verweiset er uns: Das habe ich wider dich, daß du, O meine geliebte Kirch! deine erste Liebe verlassen hast!
§. 2. Es
Der unter den Stech-Diſteln
des ewigen Lebens bey dir, ſo wirds dir eine ausnehmende Wolluſt ſeyn, jedermann Gutes zu thun.
Das eilffte Capitel. Klag uͤber die Liebloſigkeit und wie ihro koͤnne Einhalt gethan werden.
Die Liebe der erſten Chriſten iſt verlo- ſchen.
§. 1. Es iſt in dieſen erfrornen Zeiten faſt unglaublich die vor- treffliche Liebe der erſten Chriſten; ſie lieſſen keinen betlen gehen, ſie gaben ihre Seelen voreinander, die vornehmſte Frauen beſuch- ten ihre arme Nachbarinnen, grieffen ihre Geſchwaͤr an, bunden ihre Wunden auf, legten Pflaſter auf, machten ihre Bette, und giengen ihnen wie die geringſte Maͤgde an die Hand: Eine wende- te die Krancke um, die andere halff ihr auf, die dritte zoge ihre Kleider zurecht, die vierte reichete ihr Nahrung; und in allem die- ſem ſahe die krancke Creatur, ſo zu ſagen, das Angeſicht ihres Heilands JEſu, die aber welche der krancken Handreichung thaͤte, ſahe auf Chriſtum in der Krancken, wie die Krancke JEſum in der Perſon deren die ihr dienete. So goͤttlich, ſo himmliſch waren ihre Werck der Barmhertzigkeit, daß eines dem anderen an GOt- tes ſtatt ware, und die Worte Chriſti, was ihr einem unter dieſen geringſten Bruͤderen gethan habt, das habt ihr mir gethan, kamen nimmer aus ihren Gedancken: Die Heiden erſtauneten darab, ſagende: Sehet doch, wie ſie einander lieben!
Ach! wo ſind doch dieſe guldene ſeelige Zeiten hinkommen, da man kaum zwey oder drey findet in einer Stadt, die durchaus gleich geſinnet ſeyen, und einander grundlich wol meynen, will geſchwei- gen, daß ſie das Leben vor einander lieſſen? Ach wir traͤncken JEſum mit Gallen und Eßig; wie billich verweiſet er uns: Das habe ich wider dich, daß du, O meine geliebte Kirch! deine erſte Liebe verlaſſen haſt!
§. 2. Es
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0856"n="760"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der unter den Stech-Diſteln</hi></fw><lb/>
des ewigen Lebens bey dir, ſo wirds dir eine ausnehmende Wolluſt<lb/>ſeyn, jedermann Gutes zu thun.</p></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Das eilffte Capitel.<lb/>
Klag uͤber die Liebloſigkeit und wie ihro koͤnne Einhalt gethan werden.</hi></head><lb/><noteplace="left">Die Liebe<lb/>
der erſten<lb/>
Chriſten<lb/>
iſt verlo-<lb/>ſchen.</note><p>§. 1. Es iſt in dieſen erfrornen Zeiten faſt unglaublich die vor-<lb/>
treffliche Liebe der erſten Chriſten; ſie lieſſen keinen betlen gehen,<lb/>ſie gaben ihre Seelen voreinander, die vornehmſte Frauen beſuch-<lb/>
ten ihre arme Nachbarinnen, grieffen ihre Geſchwaͤr an, bunden<lb/>
ihre Wunden auf, legten Pflaſter auf, machten ihre Bette, und<lb/>
giengen ihnen wie die geringſte Maͤgde an die Hand: Eine wende-<lb/>
te die Krancke um, die andere halff ihr auf, die dritte zoge ihre<lb/>
Kleider zurecht, die vierte reichete ihr Nahrung; und in allem die-<lb/>ſem ſahe die krancke Creatur, ſo zu ſagen, das Angeſicht ihres<lb/>
Heilands JEſu, die aber welche der krancken Handreichung thaͤte,<lb/>ſahe auf Chriſtum in der Krancken, wie die Krancke JEſum in der<lb/>
Perſon deren die ihr dienete. So goͤttlich, ſo himmliſch waren<lb/>
ihre Werck der Barmhertzigkeit, daß eines dem anderen an GOt-<lb/>
tes ſtatt ware, und die Worte Chriſti, <hirendition="#fr">was ihr einem unter<lb/>
dieſen geringſten Bruͤderen gethan habt, das habt<lb/>
ihr mir gethan,</hi> kamen nimmer aus ihren Gedancken: Die<lb/>
Heiden erſtauneten darab, ſagende: Sehet doch, wie ſie einander<lb/>
lieben!</p><lb/><p>Ach! wo ſind doch dieſe guldene ſeelige Zeiten hinkommen, da<lb/>
man kaum zwey oder drey findet in einer Stadt, die durchaus gleich<lb/>
geſinnet ſeyen, und einander grundlich wol meynen, will geſchwei-<lb/>
gen, daß ſie das Leben vor einander lieſſen? Ach wir traͤncken<lb/>
JEſum mit Gallen und Eßig; wie billich verweiſet er uns: Das<lb/>
habe ich wider dich, daß du, O meine geliebte Kirch! deine erſte<lb/>
Liebe verlaſſen haſt!</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 2. Es</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[760/0856]
Der unter den Stech-Diſteln
des ewigen Lebens bey dir, ſo wirds dir eine ausnehmende Wolluſt
ſeyn, jedermann Gutes zu thun.
Das eilffte Capitel.
Klag uͤber die Liebloſigkeit und wie ihro koͤnne Einhalt gethan werden.
§. 1. Es iſt in dieſen erfrornen Zeiten faſt unglaublich die vor-
treffliche Liebe der erſten Chriſten; ſie lieſſen keinen betlen gehen,
ſie gaben ihre Seelen voreinander, die vornehmſte Frauen beſuch-
ten ihre arme Nachbarinnen, grieffen ihre Geſchwaͤr an, bunden
ihre Wunden auf, legten Pflaſter auf, machten ihre Bette, und
giengen ihnen wie die geringſte Maͤgde an die Hand: Eine wende-
te die Krancke um, die andere halff ihr auf, die dritte zoge ihre
Kleider zurecht, die vierte reichete ihr Nahrung; und in allem die-
ſem ſahe die krancke Creatur, ſo zu ſagen, das Angeſicht ihres
Heilands JEſu, die aber welche der krancken Handreichung thaͤte,
ſahe auf Chriſtum in der Krancken, wie die Krancke JEſum in der
Perſon deren die ihr dienete. So goͤttlich, ſo himmliſch waren
ihre Werck der Barmhertzigkeit, daß eines dem anderen an GOt-
tes ſtatt ware, und die Worte Chriſti, was ihr einem unter
dieſen geringſten Bruͤderen gethan habt, das habt
ihr mir gethan, kamen nimmer aus ihren Gedancken: Die
Heiden erſtauneten darab, ſagende: Sehet doch, wie ſie einander
lieben!
Ach! wo ſind doch dieſe guldene ſeelige Zeiten hinkommen, da
man kaum zwey oder drey findet in einer Stadt, die durchaus gleich
geſinnet ſeyen, und einander grundlich wol meynen, will geſchwei-
gen, daß ſie das Leben vor einander lieſſen? Ach wir traͤncken
JEſum mit Gallen und Eßig; wie billich verweiſet er uns: Das
habe ich wider dich, daß du, O meine geliebte Kirch! deine erſte
Liebe verlaſſen haſt!
§. 2. Es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lutz, Samuel: Ein Wohlriechender Straus Von schönen und gesunden Himmels-Blumen. Basel, 1736, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_himmelsblumen_1736/856>, abgerufen am 13.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.