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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

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Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
strenge Rechenschaft zu geben, und zu zeigen, daß diese bloß schein-
baren Unordnungen nur eine Folge, ein unmittelbarer Ausfluß
desselben Gesetzes der allgemeinen Schwere sind. Aber je schwerer
die Aufgabe ist, deren Lösung hier der menschliche Geist durch die
Hülfe der Analyse unternommen, und in ihren Hauptpunkten
wenigstens glücklich zu Ende geführt hat; je größer und verworre-
n[e]r das Gewühl aller dieser beinahe unübersehbaren Körper ist, das
uns von allen Seiten umgibt, desto wünschenswerther muß es
uns erscheinen, in diesen zahllosen, und sich so wunderbar durch-
kreuzenden Bewegungen wenigstens einige Punkte aufzufinden,
die an dem ewigen Wechsel keinen Theil nehmen, die mitten
in diesem beständig auf und nieder wogenden Meere in absoluter
Ruhe bleiben, und an die wir daher, als an fixe Punkte, alle
anderen anknüpfen, und die Bewegungen derselben davon abmessen
können.

Wir kennen bisher drei solcher constanten, und, wie es
scheint, für immerwährende Zeiten unveränderlichen Dinge: die
Stabilität der Drehungsaxe der Erde, die Länge des Tages, und
die mittlere Entfernung der Erde und aller Planeten von der
Sonne. Wir wollen diese drei Gegenstände nach der Reihe näher
betrachten.

§. 123. (I. Unveränderlichkeit der Erdaxe.) Die Tiefe unserer
Meere beträgt, den darüber angestellten Versuchen zu Folge, nur
einen sehr geringen Theil des Halbmessers der Erde, wie auch
schon daraus hervorgeht, daß dasselbe so große Strecken des Fest-
landes unbedeckt gelassen hat. Man wird ohne merklichen Fehler
annehmen können, daß der Boden des Meeres nahe eben so tief
unter dem Spiegel des Wassers liegt, als das höchste Festland
über demselben steht, eine Größe, die nahe 30000 Fuß beträgt,
also selbst noch ein kleiner Theil der Abplattung ist, die über drei
Meilen oder gegen 70000 Fuß hat. Obschon es sehr wahrschein-
lich ist, daß dieses Meer in der Vorzeit wenigstens zuweilen einen
großen Theil des Continents bedeckt hat, wie die auf den höchsten
Bergen zurückgelassenen Spuren desselben zeigen, so konnte das-
selbe doch eben wegen seiner geringen Tiefe, oft große Strecken
bedecken und wieder verlassen, ohne jene gewaltsamen Revolutio-
nen anzunehmen, für welche mehrere unserer Geologen sogar

Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten.
ſtrenge Rechenſchaft zu geben, und zu zeigen, daß dieſe bloß ſchein-
baren Unordnungen nur eine Folge, ein unmittelbarer Ausfluß
deſſelben Geſetzes der allgemeinen Schwere ſind. Aber je ſchwerer
die Aufgabe iſt, deren Löſung hier der menſchliche Geiſt durch die
Hülfe der Analyſe unternommen, und in ihren Hauptpunkten
wenigſtens glücklich zu Ende geführt hat; je größer und verworre-
n[e]r das Gewühl aller dieſer beinahe unüberſehbaren Körper iſt, das
uns von allen Seiten umgibt, deſto wünſchenswerther muß es
uns erſcheinen, in dieſen zahlloſen, und ſich ſo wunderbar durch-
kreuzenden Bewegungen wenigſtens einige Punkte aufzufinden,
die an dem ewigen Wechſel keinen Theil nehmen, die mitten
in dieſem beſtändig auf und nieder wogenden Meere in abſoluter
Ruhe bleiben, und an die wir daher, als an fixe Punkte, alle
anderen anknüpfen, und die Bewegungen derſelben davon abmeſſen
können.

Wir kennen bisher drei ſolcher conſtanten, und, wie es
ſcheint, für immerwährende Zeiten unveränderlichen Dinge: die
Stabilität der Drehungsaxe der Erde, die Länge des Tages, und
die mittlere Entfernung der Erde und aller Planeten von der
Sonne. Wir wollen dieſe drei Gegenſtände nach der Reihe näher
betrachten.

§. 123. (I. Unveränderlichkeit der Erdaxe.) Die Tiefe unſerer
Meere beträgt, den darüber angeſtellten Verſuchen zu Folge, nur
einen ſehr geringen Theil des Halbmeſſers der Erde, wie auch
ſchon daraus hervorgeht, daß daſſelbe ſo große Strecken des Feſt-
landes unbedeckt gelaſſen hat. Man wird ohne merklichen Fehler
annehmen können, daß der Boden des Meeres nahe eben ſo tief
unter dem Spiegel des Waſſers liegt, als das höchſte Feſtland
über demſelben ſteht, eine Größe, die nahe 30000 Fuß beträgt,
alſo ſelbſt noch ein kleiner Theil der Abplattung iſt, die über drei
Meilen oder gegen 70000 Fuß hat. Obſchon es ſehr wahrſchein-
lich iſt, daß dieſes Meer in der Vorzeit wenigſtens zuweilen einen
großen Theil des Continents bedeckt hat, wie die auf den höchſten
Bergen zurückgelaſſenen Spuren deſſelben zeigen, ſo konnte daſ-
ſelbe doch eben wegen ſeiner geringen Tiefe, oft große Strecken
bedecken und wieder verlaſſen, ohne jene gewaltſamen Revolutio-
nen anzunehmen, für welche mehrere unſerer Geologen ſogar

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[170/0182] Andere merkwürdige Folgen der Störungen der Planeten. ſtrenge Rechenſchaft zu geben, und zu zeigen, daß dieſe bloß ſchein- baren Unordnungen nur eine Folge, ein unmittelbarer Ausfluß deſſelben Geſetzes der allgemeinen Schwere ſind. Aber je ſchwerer die Aufgabe iſt, deren Löſung hier der menſchliche Geiſt durch die Hülfe der Analyſe unternommen, und in ihren Hauptpunkten wenigſtens glücklich zu Ende geführt hat; je größer und verworre- ner das Gewühl aller dieſer beinahe unüberſehbaren Körper iſt, das uns von allen Seiten umgibt, deſto wünſchenswerther muß es uns erſcheinen, in dieſen zahlloſen, und ſich ſo wunderbar durch- kreuzenden Bewegungen wenigſtens einige Punkte aufzufinden, die an dem ewigen Wechſel keinen Theil nehmen, die mitten in dieſem beſtändig auf und nieder wogenden Meere in abſoluter Ruhe bleiben, und an die wir daher, als an fixe Punkte, alle anderen anknüpfen, und die Bewegungen derſelben davon abmeſſen können. Wir kennen bisher drei ſolcher conſtanten, und, wie es ſcheint, für immerwährende Zeiten unveränderlichen Dinge: die Stabilität der Drehungsaxe der Erde, die Länge des Tages, und die mittlere Entfernung der Erde und aller Planeten von der Sonne. Wir wollen dieſe drei Gegenſtände nach der Reihe näher betrachten. §. 123. (I. Unveränderlichkeit der Erdaxe.) Die Tiefe unſerer Meere beträgt, den darüber angeſtellten Verſuchen zu Folge, nur einen ſehr geringen Theil des Halbmeſſers der Erde, wie auch ſchon daraus hervorgeht, daß daſſelbe ſo große Strecken des Feſt- landes unbedeckt gelaſſen hat. Man wird ohne merklichen Fehler annehmen können, daß der Boden des Meeres nahe eben ſo tief unter dem Spiegel des Waſſers liegt, als das höchſte Feſtland über demſelben ſteht, eine Größe, die nahe 30000 Fuß beträgt, alſo ſelbſt noch ein kleiner Theil der Abplattung iſt, die über drei Meilen oder gegen 70000 Fuß hat. Obſchon es ſehr wahrſchein- lich iſt, daß dieſes Meer in der Vorzeit wenigſtens zuweilen einen großen Theil des Continents bedeckt hat, wie die auf den höchſten Bergen zurückgelaſſenen Spuren deſſelben zeigen, ſo konnte daſ- ſelbe doch eben wegen ſeiner geringen Tiefe, oft große Strecken bedecken und wieder verlaſſen, ohne jene gewaltſamen Revolutio- nen anzunehmen, für welche mehrere unſerer Geologen ſogar

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/182>, abgerufen am 26.04.2024.