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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.

Kleen, De la contrebande de guerre et des transports interdits aux neutres.
1893. (R. J. XXV 7.)

Vossen, Die Kontrebande des Krieges. Erlanger Diss. 1896.

Vgl. auch R. G. II 182 und die Verhandlungen des Instituts für Völker-
recht von 1895 und 1897.

1. Der Begriff der Kontrebande ist sehr bestritten.

a) Unzweifelhaft gehören zur Kontrebande alle diejenigen Gegen-
stände, die unmittelbar und besonders zur Verwendung durch
die Streitkräfte bestimmt sind, also Waffen aller Art für den
Land- und Seekrieg, mögen es Feuerwaffen oder blanke Waffen
sein, ebenso die Kriegsmunition.

Auf diese Gegenstände hatte sowohl der Pyrenäische Frieden
von 1659 als auch der Utrechter Frieden von 1713 den Begriff
der Kontrebande beschränkt. Auch die bewaffnete Neutralität stand
auf diesem Standpunkt, aber unter Hinzufügung der zur Erzeugung
des Schiesspulvers erforderlichen Stoffe (Schwefel und Salpeter);
und das preussische allgemeine Landrecht hat sich ihm ange-
schlossen. Nach dieser Auffassung ist die "destination hostile",
die als dem Gegenstand aufgeprägt erscheint, ausschlaggebend.

b) Eine weitergehende, schon von Grotius aufgestellte und insbe-
sondere von England vertretene Ansicht rechnet aber auch
solche Gegenstände hierher, die an sich sowohl friedlichen als
auch kriegerischen Zwecken dienen können
(res ancipitis usus),
wie Pferde, Wagen, Kohlen, Dampfmaschinen, Segeltuch,
Roheisen, Bauholz, Kleidungsstücke u. s. w., wenn diese Gegen-
stände im einzelnen Fall nachweisbar, sei es unmittelbar, sei
es nach vorangegangener Bearbeitung, den Zwecken des An-
griffs oder der Verteidigung dienen sollen
(contrebande relative
oder par accident).

Dagegen fallen auch nach dieser Ansicht Bargeld und Wert-
papiere sowie Lebensmittel niemals unter den Begriff der Kontre-
bande, auch wenn sie unmittelbar den Truppen zugeführt werden
und zu deren Löhnung oder Verpflegung dienen sollen.

Unter diesen Umständen pflegen, da es an einem allgemein
anerkannten Rechtssatz fehlt, bei Ausbruch eines Krieges die Krieg-
führenden durch besondere Bekanntmachung die Gegenstände zu
bezeichnen, die sie als Kontrebande zu behandeln gedenken. Auch

§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.

Kleen, De la contrebande de guerre et des transports interdits aux neutres.
1893. (R. J. XXV 7.)

Vossen, Die Kontrebande des Krieges. Erlanger Diss. 1896.

Vgl. auch R. G. II 182 und die Verhandlungen des Instituts für Völker-
recht von 1895 und 1897.

1. Der Begriff der Kontrebande ist sehr bestritten.

a) Unzweifelhaft gehören zur Kontrebande alle diejenigen Gegen-
stände, die unmittelbar und besonders zur Verwendung durch
die Streitkräfte bestimmt sind, also Waffen aller Art für den
Land- und Seekrieg, mögen es Feuerwaffen oder blanke Waffen
sein, ebenso die Kriegsmunition.

Auf diese Gegenstände hatte sowohl der Pyrenäische Frieden
von 1659 als auch der Utrechter Frieden von 1713 den Begriff
der Kontrebande beschränkt. Auch die bewaffnete Neutralität stand
auf diesem Standpunkt, aber unter Hinzufügung der zur Erzeugung
des Schieſspulvers erforderlichen Stoffe (Schwefel und Salpeter);
und das preuſsische allgemeine Landrecht hat sich ihm ange-
schlossen. Nach dieser Auffassung ist die „destination hostile“,
die als dem Gegenstand aufgeprägt erscheint, ausschlaggebend.

b) Eine weitergehende, schon von Grotius aufgestellte und insbe-
sondere von England vertretene Ansicht rechnet aber auch
solche Gegenstände hierher, die an sich sowohl friedlichen als
auch kriegerischen Zwecken dienen können
(res ancipitis usus),
wie Pferde, Wagen, Kohlen, Dampfmaschinen, Segeltuch,
Roheisen, Bauholz, Kleidungsstücke u. s. w., wenn diese Gegen-
stände im einzelnen Fall nachweisbar, sei es unmittelbar, sei
es nach vorangegangener Bearbeitung, den Zwecken des An-
griffs oder der Verteidigung dienen sollen
(contrebande relative
oder par accident).

Dagegen fallen auch nach dieser Ansicht Bargeld und Wert-
papiere sowie Lebensmittel niemals unter den Begriff der Kontre-
bande, auch wenn sie unmittelbar den Truppen zugeführt werden
und zu deren Löhnung oder Verpflegung dienen sollen.

Unter diesen Umständen pflegen, da es an einem allgemein
anerkannten Rechtssatz fehlt, bei Ausbruch eines Krieges die Krieg-
führenden durch besondere Bekanntmachung die Gegenstände zu
bezeichnen, die sie als Kontrebande zu behandeln gedenken. Auch

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[245/0267] § 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte. Kleen, De la contrebande de guerre et des transports interdits aux neutres. 1893. (R. J. XXV 7.) Vossen, Die Kontrebande des Krieges. Erlanger Diss. 1896. Vgl. auch R. G. II 182 und die Verhandlungen des Instituts für Völker- recht von 1895 und 1897. 1. Der Begriff der Kontrebande ist sehr bestritten. a) Unzweifelhaft gehören zur Kontrebande alle diejenigen Gegen- stände, die unmittelbar und besonders zur Verwendung durch die Streitkräfte bestimmt sind, also Waffen aller Art für den Land- und Seekrieg, mögen es Feuerwaffen oder blanke Waffen sein, ebenso die Kriegsmunition. Auf diese Gegenstände hatte sowohl der Pyrenäische Frieden von 1659 als auch der Utrechter Frieden von 1713 den Begriff der Kontrebande beschränkt. Auch die bewaffnete Neutralität stand auf diesem Standpunkt, aber unter Hinzufügung der zur Erzeugung des Schieſspulvers erforderlichen Stoffe (Schwefel und Salpeter); und das preuſsische allgemeine Landrecht hat sich ihm ange- schlossen. Nach dieser Auffassung ist die „destination hostile“, die als dem Gegenstand aufgeprägt erscheint, ausschlaggebend. b) Eine weitergehende, schon von Grotius aufgestellte und insbe- sondere von England vertretene Ansicht rechnet aber auch solche Gegenstände hierher, die an sich sowohl friedlichen als auch kriegerischen Zwecken dienen können (res ancipitis usus), wie Pferde, Wagen, Kohlen, Dampfmaschinen, Segeltuch, Roheisen, Bauholz, Kleidungsstücke u. s. w., wenn diese Gegen- stände im einzelnen Fall nachweisbar, sei es unmittelbar, sei es nach vorangegangener Bearbeitung, den Zwecken des An- griffs oder der Verteidigung dienen sollen (contrebande relative oder par accident). Dagegen fallen auch nach dieser Ansicht Bargeld und Wert- papiere sowie Lebensmittel niemals unter den Begriff der Kontre- bande, auch wenn sie unmittelbar den Truppen zugeführt werden und zu deren Löhnung oder Verpflegung dienen sollen. Unter diesen Umständen pflegen, da es an einem allgemein anerkannten Rechtssatz fehlt, bei Ausbruch eines Krieges die Krieg- führenden durch besondere Bekanntmachung die Gegenstände zu bezeichnen, die sie als Kontrebande zu behandeln gedenken. Auch

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/267>, abgerufen am 26.04.2024.