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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 39. Der Krieg als völkerrechtliches Rechtsverhältnis.
Pouyer-Quertier, sowie dem Mitglied der Nationalversammlung
de Goulard im Namen der Französischen Republik andrerseits.

3. Die allgemeine und grundsätzliche Wirkung des Friedens-
vertrages ist zunächst die Beendigung des Streites zwischen den Krieg-
führenden, die Erledigung des casus belli, die Wiederherstellung der
völkerrechtlich geregelten friedlichen Beziehungen.

Insoweit also tritt der frühere Rechtszustand wieder in Kraft
(sogenanntes postliminium). Die frühere Staatsgewalt übernimmt
die Leitung der Staatsgeschäfte in den vom Feinde besetzt ge-
wesenen Gebietsteilen (unten § 41 IV); die Gefangenen werden frei;
das mit Beschlag belegte bewegliche und unbewegliche Gut kehrt
an den Eigentümer zurück. Doch behalten die nach Kriegsrecht
erfolgten Rechtshandlungen ihre Rechtswirksamkeit. Und die durch
den Krieg aufgehobenen Verträge treten, von besonderen Verein-
barungen abgesehen, nicht wieder in Kraft (oben § 21 IV 2). Der
Einwand des Besiegten, dass er durch Gewalt zum Abschluss des
Friedens gezwungen worden sei, ist ausgeschlossen; der Gedanke der
Revanche steht im Widerspruch zu dem innersten Wesen des Friedens-
vertrages.

Der Friedensvertrag enthält aber häufig noch weitere besondere
Vereinbarungen. Unter diesen sind zu erwähnen:

a) Die sogenannte Amnestieklausel, d. h. der Ausschluss der Straf-
verfolgung der während des Krieges von den beiderseitigen Staats-
angehörigen begangenen politischen und militärischen Delikte.

Die Amnestieklausel wird wichtig bei Gebietsabtretungen,
während sie sich im übrigen von selbst versteht. Vgl. Artikel 2,
Absatz 2 des Frankfurter Friedens: "Kein Bewohner der abgetretenen
Gebiete darf in seiner Person oder seinem Vermögen wegen seiner
politischen oder militärischen Handlungen während des Krieges
verfolgt, gestört oder zur Untersuchung gezogen werden."

b) Die Vereinbarung von Gebietsabtretungen.

Hier ist der Erwerb (anders als bei der Eroberung) ein ab-
geleiteter, und es finden mithin die oben § 23 III aufgestellten
Rechtsregeln Anwendung. Den Bewohnern der abgetretenen Ge-
biete kann das Optionsrecht zugestanden werden (oben § 10 II).


§ 39. Der Krieg als völkerrechtliches Rechtsverhältnis.
Pouyer-Quertier, sowie dem Mitglied der Nationalversammlung
de Goulard im Namen der Französischen Republik andrerseits.

3. Die allgemeine und grundsätzliche Wirkung des Friedens-
vertrages ist zunächst die Beendigung des Streites zwischen den Krieg-
führenden, die Erledigung des casus belli, die Wiederherstellung der
völkerrechtlich geregelten friedlichen Beziehungen.

Insoweit also tritt der frühere Rechtszustand wieder in Kraft
(sogenanntes postliminium). Die frühere Staatsgewalt übernimmt
die Leitung der Staatsgeschäfte in den vom Feinde besetzt ge-
wesenen Gebietsteilen (unten § 41 IV); die Gefangenen werden frei;
das mit Beschlag belegte bewegliche und unbewegliche Gut kehrt
an den Eigentümer zurück. Doch behalten die nach Kriegsrecht
erfolgten Rechtshandlungen ihre Rechtswirksamkeit. Und die durch
den Krieg aufgehobenen Verträge treten, von besonderen Verein-
barungen abgesehen, nicht wieder in Kraft (oben § 21 IV 2). Der
Einwand des Besiegten, daſs er durch Gewalt zum Abschluſs des
Friedens gezwungen worden sei, ist ausgeschlossen; der Gedanke der
Revanche steht im Widerspruch zu dem innersten Wesen des Friedens-
vertrages.

Der Friedensvertrag enthält aber häufig noch weitere besondere
Vereinbarungen. Unter diesen sind zu erwähnen:

a) Die sogenannte Amnestieklausel, d. h. der Ausschluſs der Straf-
verfolgung der während des Krieges von den beiderseitigen Staats-
angehörigen begangenen politischen und militärischen Delikte.

Die Amnestieklausel wird wichtig bei Gebietsabtretungen,
während sie sich im übrigen von selbst versteht. Vgl. Artikel 2,
Absatz 2 des Frankfurter Friedens: „Kein Bewohner der abgetretenen
Gebiete darf in seiner Person oder seinem Vermögen wegen seiner
politischen oder militärischen Handlungen während des Krieges
verfolgt, gestört oder zur Untersuchung gezogen werden.“

b) Die Vereinbarung von Gebietsabtretungen.

Hier ist der Erwerb (anders als bei der Eroberung) ein ab-
geleiteter, und es finden mithin die oben § 23 III aufgestellten
Rechtsregeln Anwendung. Den Bewohnern der abgetretenen Ge-
biete kann das Optionsrecht zugestanden werden (oben § 10 II).


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[215/0237] § 39. Der Krieg als völkerrechtliches Rechtsverhältnis. Pouyer-Quertier, sowie dem Mitglied der Nationalversammlung de Goulard im Namen der Französischen Republik andrerseits. 3. Die allgemeine und grundsätzliche Wirkung des Friedens- vertrages ist zunächst die Beendigung des Streites zwischen den Krieg- führenden, die Erledigung des casus belli, die Wiederherstellung der völkerrechtlich geregelten friedlichen Beziehungen. Insoweit also tritt der frühere Rechtszustand wieder in Kraft (sogenanntes postliminium). Die frühere Staatsgewalt übernimmt die Leitung der Staatsgeschäfte in den vom Feinde besetzt ge- wesenen Gebietsteilen (unten § 41 IV); die Gefangenen werden frei; das mit Beschlag belegte bewegliche und unbewegliche Gut kehrt an den Eigentümer zurück. Doch behalten die nach Kriegsrecht erfolgten Rechtshandlungen ihre Rechtswirksamkeit. Und die durch den Krieg aufgehobenen Verträge treten, von besonderen Verein- barungen abgesehen, nicht wieder in Kraft (oben § 21 IV 2). Der Einwand des Besiegten, daſs er durch Gewalt zum Abschluſs des Friedens gezwungen worden sei, ist ausgeschlossen; der Gedanke der Revanche steht im Widerspruch zu dem innersten Wesen des Friedens- vertrages. Der Friedensvertrag enthält aber häufig noch weitere besondere Vereinbarungen. Unter diesen sind zu erwähnen: a) Die sogenannte Amnestieklausel, d. h. der Ausschluſs der Straf- verfolgung der während des Krieges von den beiderseitigen Staats- angehörigen begangenen politischen und militärischen Delikte. Die Amnestieklausel wird wichtig bei Gebietsabtretungen, während sie sich im übrigen von selbst versteht. Vgl. Artikel 2, Absatz 2 des Frankfurter Friedens: „Kein Bewohner der abgetretenen Gebiete darf in seiner Person oder seinem Vermögen wegen seiner politischen oder militärischen Handlungen während des Krieges verfolgt, gestört oder zur Untersuchung gezogen werden.“ b) Die Vereinbarung von Gebietsabtretungen. Hier ist der Erwerb (anders als bei der Eroberung) ein ab- geleiteter, und es finden mithin die oben § 23 III aufgestellten Rechtsregeln Anwendung. Den Bewohnern der abgetretenen Ge- biete kann das Optionsrecht zugestanden werden (oben § 10 II).

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/237>, abgerufen am 26.04.2024.