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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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II. Buch. Der völkerrechtl. Verkehr der Staaten im allgemeinen.
folgen nach sich ziehen. Doch ist der Staat, wenn sein Vertrags-
gegner auch nur in einem einzigen Punkte den geschlossenen Ver-
trag verletzt, auch berechtigt, von dem ganzen Vertrage zurück-
zutreten. Damit entfallen dann die eigentlichen Unrechtsfolgen.

4. Das völkerrechtliche Delikt ist stets Verletzung eines Staates.

Doch kann dieser nicht nur unmittelbar (insbesondere auch
in seinen Vertretern und in seinen Hoheitszeichen), sondern auch,
in seinen Staatsangehörigen und Schutzgenossen, mittelbar ver-
letzt werden.

II. Die völkerrechtliche Deliktshaftung des Staates tritt in folgen-
den Fällen ein:

1. Der Staat haftet unbedingt für alle von seinen Vertretern
innerhalb ihrer Vertretungsbefugnis vorgenommenen Handlungen.

Er haftet also für die Handlungen seines Oberhauptes und
seines Ministers des Auswärtigen, seiner Gesandten und seiner
Konsuln, insbesondere auch für die im Krieg vorgenommenen
Handlungen seiner Befehlshaber. Doch müssen, damit die Delikts-
folge eintritt, vorsätzliche Handlungen dieser Personen vorliegen.
Für Entscheidungen seiner Gerichte und Verwaltungsbehörden haftet
er dagegen nur, soweit Rechtsweigerung oder Rechtsbeugung vorliegt.

Vgl. Regelsperger R. G. IV 735.

2. Der Staat haftet aber auch, wenngleich nur bedingt, für die
von einzelnen Personen oder von seinen Vertretern ausserhalb ihrer
Vertretungsbefugnis auf seinem Gebiet vorgenommenen Handlungen,
gleichgültig ob Handlungen seiner Staatsangehörigen oder Handlungen
von Staatsfremden in Frage stehen.

a) Der Staat haftet für die von Einzelnen gegen fremde Staaten
oder deren Vertreter oder deren Hoheitszeichen schuldhaft be-
gangenen Delikte nur insoweit, als seine Strafgesetzgebung und
seine Strafrechtspflege nicht ausreichen, um durch die Bestrafung
des Schuldigen eine genügende Sühne herbeizuführen.

Er ist dann zur Genugthuung, und wenn nötig, insbesondere
auch zu einer Änderung seiner Gesetzgebung verpflichtet.

b) Der Staat haftet für die von Einzelnen auf seinem Gebiet gegen
die Angehörigen eines andern Staates begangenen Rechtsver-
letzungen strafrechtlicher oder privatrechtlicher Natur nur inso-

II. Buch. Der völkerrechtl. Verkehr der Staaten im allgemeinen.
folgen nach sich ziehen. Doch ist der Staat, wenn sein Vertrags-
gegner auch nur in einem einzigen Punkte den geschlossenen Ver-
trag verletzt, auch berechtigt, von dem ganzen Vertrage zurück-
zutreten. Damit entfallen dann die eigentlichen Unrechtsfolgen.

4. Das völkerrechtliche Delikt ist stets Verletzung eines Staates.

Doch kann dieser nicht nur unmittelbar (insbesondere auch
in seinen Vertretern und in seinen Hoheitszeichen), sondern auch,
in seinen Staatsangehörigen und Schutzgenossen, mittelbar ver-
letzt werden.

II. Die völkerrechtliche Deliktshaftung des Staates tritt in folgen-
den Fällen ein:

1. Der Staat haftet unbedingt für alle von seinen Vertretern
innerhalb ihrer Vertretungsbefugnis vorgenommenen Handlungen.

Er haftet also für die Handlungen seines Oberhauptes und
seines Ministers des Auswärtigen, seiner Gesandten und seiner
Konsuln, insbesondere auch für die im Krieg vorgenommenen
Handlungen seiner Befehlshaber. Doch müssen, damit die Delikts-
folge eintritt, vorsätzliche Handlungen dieser Personen vorliegen.
Für Entscheidungen seiner Gerichte und Verwaltungsbehörden haftet
er dagegen nur, soweit Rechtsweigerung oder Rechtsbeugung vorliegt.

Vgl. Regelsperger R. G. IV 735.

2. Der Staat haftet aber auch, wenngleich nur bedingt, für die
von einzelnen Personen oder von seinen Vertretern auſserhalb ihrer
Vertretungsbefugnis auf seinem Gebiet vorgenommenen Handlungen,
gleichgültig ob Handlungen seiner Staatsangehörigen oder Handlungen
von Staatsfremden in Frage stehen.

a) Der Staat haftet für die von Einzelnen gegen fremde Staaten
oder deren Vertreter oder deren Hoheitszeichen schuldhaft be-
gangenen Delikte nur insoweit, als seine Strafgesetzgebung und
seine Strafrechtspflege nicht ausreichen, um durch die Bestrafung
des Schuldigen eine genügende Sühne herbeizuführen.

Er ist dann zur Genugthuung, und wenn nötig, insbesondere
auch zu einer Änderung seiner Gesetzgebung verpflichtet.

b) Der Staat haftet für die von Einzelnen auf seinem Gebiet gegen
die Angehörigen eines andern Staates begangenen Rechtsver-
letzungen strafrechtlicher oder privatrechtlicher Natur nur inso-

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[126/0148] II. Buch. Der völkerrechtl. Verkehr der Staaten im allgemeinen. folgen nach sich ziehen. Doch ist der Staat, wenn sein Vertrags- gegner auch nur in einem einzigen Punkte den geschlossenen Ver- trag verletzt, auch berechtigt, von dem ganzen Vertrage zurück- zutreten. Damit entfallen dann die eigentlichen Unrechtsfolgen. 4. Das völkerrechtliche Delikt ist stets Verletzung eines Staates. Doch kann dieser nicht nur unmittelbar (insbesondere auch in seinen Vertretern und in seinen Hoheitszeichen), sondern auch, in seinen Staatsangehörigen und Schutzgenossen, mittelbar ver- letzt werden. II. Die völkerrechtliche Deliktshaftung des Staates tritt in folgen- den Fällen ein: 1. Der Staat haftet unbedingt für alle von seinen Vertretern innerhalb ihrer Vertretungsbefugnis vorgenommenen Handlungen. Er haftet also für die Handlungen seines Oberhauptes und seines Ministers des Auswärtigen, seiner Gesandten und seiner Konsuln, insbesondere auch für die im Krieg vorgenommenen Handlungen seiner Befehlshaber. Doch müssen, damit die Delikts- folge eintritt, vorsätzliche Handlungen dieser Personen vorliegen. Für Entscheidungen seiner Gerichte und Verwaltungsbehörden haftet er dagegen nur, soweit Rechtsweigerung oder Rechtsbeugung vorliegt. Vgl. Regelsperger R. G. IV 735. 2. Der Staat haftet aber auch, wenngleich nur bedingt, für die von einzelnen Personen oder von seinen Vertretern auſserhalb ihrer Vertretungsbefugnis auf seinem Gebiet vorgenommenen Handlungen, gleichgültig ob Handlungen seiner Staatsangehörigen oder Handlungen von Staatsfremden in Frage stehen. a) Der Staat haftet für die von Einzelnen gegen fremde Staaten oder deren Vertreter oder deren Hoheitszeichen schuldhaft be- gangenen Delikte nur insoweit, als seine Strafgesetzgebung und seine Strafrechtspflege nicht ausreichen, um durch die Bestrafung des Schuldigen eine genügende Sühne herbeizuführen. Er ist dann zur Genugthuung, und wenn nötig, insbesondere auch zu einer Änderung seiner Gesetzgebung verpflichtet. b) Der Staat haftet für die von Einzelnen auf seinem Gebiet gegen die Angehörigen eines andern Staates begangenen Rechtsver- letzungen strafrechtlicher oder privatrechtlicher Natur nur inso-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/148>, abgerufen am 26.04.2024.