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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
fremde Staatsgewalt vertreten werden muss, so gelangen wir zu
dem unter IV zu besprechenden Begriff der Halbsouveränität. Ver-
schieden von dem gänzlichen oder teilweisen Ausschluss der Hand-
lungsfähigkeit ist ihre Beschränkung, ihre Bindung durch Ver-
träge, die Übernahme von Verpflichtungen zu einem bestimmten
Handeln oder einem bestimmten Unterlassen (Offensivbündnis; Bin-
dung der autonomen Zollpolitik durch einen Handelsvertrag).

Der Beweis für die fortdauernde Souveränität liegt darin,
dass der verpflichtete Staat der übernommenen Verpflichtung zu-
wider handeln kann und sich durch dieses Zuwiderhandeln völker-
rechtlich verantwortlich macht; dass also die gegen die Verpflichtung
vorgenommenen Handlungen Rechtswirkungen erzeugen. Das muss
auch dann angenommen werden, wenn die Auferlegung der Ver-
pflichtung durch den einseitigen Beschluss dritter Mächte erfolgt
ist. So ist durch die Artikel 33, 44 und 62 des Berliner Ver-
trages von 1878 die Freiheit der Religionsbekenntnisse in Serbien,
Rumänien wie in der Türkei ausgesprochen worden, obwohl der
Vertrag von den neu anerkannten Staaten Serbien und Rumänien
nicht mit unterzeichnet, also nicht mit geschlossen wurde. So ist
durch die Berliner Kongoakte von 1885 die Handelsfreiheit für
das ganze Kongobecken, also auch für den nicht mit unterzeich-
neten Kongostaat vereinbart worden.

Auch durch unkündbare, von dritten Mächten auferlegte Ver-
pflichtungen, wird mithin die Souveränität als "die höchste, nur
sich selbst bestimmende Macht" (Laband) zwar beschränkt, aber
nicht, auch nicht teilweise, ausgeschlossen.

III.

Die Souveränität wird insbesondere zwar wesentlich beschränkt,
aber nicht ausgeschlossen durch die dem Staat auferlegte oder von
ihm übernommene Verpflichtung zu dauernder Neutralität.

Piccioni, Essai sur la neutralite perpetuelle. 1891.

de Mazade, L'Europe et les neutralites, la Belgique et la Suisse. 1893.

Hilty, Die Neutralität der Schweiz in ihrer heutigen Auffassung. 1889.
Und dazu Rettich, L. A. V 113.

Schweizer, Geschichte der schweizerischen Neutralität. 1895.


I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung.
fremde Staatsgewalt vertreten werden muſs, so gelangen wir zu
dem unter IV zu besprechenden Begriff der Halbsouveränität. Ver-
schieden von dem gänzlichen oder teilweisen Ausschluſs der Hand-
lungsfähigkeit ist ihre Beschränkung, ihre Bindung durch Ver-
träge, die Übernahme von Verpflichtungen zu einem bestimmten
Handeln oder einem bestimmten Unterlassen (Offensivbündnis; Bin-
dung der autonomen Zollpolitik durch einen Handelsvertrag).

Der Beweis für die fortdauernde Souveränität liegt darin,
daſs der verpflichtete Staat der übernommenen Verpflichtung zu-
wider handeln kann und sich durch dieses Zuwiderhandeln völker-
rechtlich verantwortlich macht; daſs also die gegen die Verpflichtung
vorgenommenen Handlungen Rechtswirkungen erzeugen. Das muſs
auch dann angenommen werden, wenn die Auferlegung der Ver-
pflichtung durch den einseitigen Beschluſs dritter Mächte erfolgt
ist. So ist durch die Artikel 33, 44 und 62 des Berliner Ver-
trages von 1878 die Freiheit der Religionsbekenntnisse in Serbien,
Rumänien wie in der Türkei ausgesprochen worden, obwohl der
Vertrag von den neu anerkannten Staaten Serbien und Rumänien
nicht mit unterzeichnet, also nicht mit geschlossen wurde. So ist
durch die Berliner Kongoakte von 1885 die Handelsfreiheit für
das ganze Kongobecken, also auch für den nicht mit unterzeich-
neten Kongostaat vereinbart worden.

Auch durch unkündbare, von dritten Mächten auferlegte Ver-
pflichtungen, wird mithin die Souveränität als „die höchste, nur
sich selbst bestimmende Macht“ (Laband) zwar beschränkt, aber
nicht, auch nicht teilweise, ausgeschlossen.

III.

Die Souveränität wird insbesondere zwar wesentlich beschränkt,
aber nicht ausgeschlossen durch die dem Staat auferlegte oder von
ihm übernommene Verpflichtung zu dauernder Neutralität.

Piccioni, Essai sur la neutralité perpétuelle. 1891.

de Mazade, L’Europe et les neutralités, la Belgique et la Suisse. 1893.

Hilty, Die Neutralität der Schweiz in ihrer heutigen Auffassung. 1889.
Und dazu Rettich, L. A. V 113.

Schweizer, Geschichte der schweizerischen Neutralität. 1895.


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[28/0050] I. Buch. Die Rechtssubjekte und ihre allgem. Rechtsstellung. fremde Staatsgewalt vertreten werden muſs, so gelangen wir zu dem unter IV zu besprechenden Begriff der Halbsouveränität. Ver- schieden von dem gänzlichen oder teilweisen Ausschluſs der Hand- lungsfähigkeit ist ihre Beschränkung, ihre Bindung durch Ver- träge, die Übernahme von Verpflichtungen zu einem bestimmten Handeln oder einem bestimmten Unterlassen (Offensivbündnis; Bin- dung der autonomen Zollpolitik durch einen Handelsvertrag). Der Beweis für die fortdauernde Souveränität liegt darin, daſs der verpflichtete Staat der übernommenen Verpflichtung zu- wider handeln kann und sich durch dieses Zuwiderhandeln völker- rechtlich verantwortlich macht; daſs also die gegen die Verpflichtung vorgenommenen Handlungen Rechtswirkungen erzeugen. Das muſs auch dann angenommen werden, wenn die Auferlegung der Ver- pflichtung durch den einseitigen Beschluſs dritter Mächte erfolgt ist. So ist durch die Artikel 33, 44 und 62 des Berliner Ver- trages von 1878 die Freiheit der Religionsbekenntnisse in Serbien, Rumänien wie in der Türkei ausgesprochen worden, obwohl der Vertrag von den neu anerkannten Staaten Serbien und Rumänien nicht mit unterzeichnet, also nicht mit geschlossen wurde. So ist durch die Berliner Kongoakte von 1885 die Handelsfreiheit für das ganze Kongobecken, also auch für den nicht mit unterzeich- neten Kongostaat vereinbart worden. Auch durch unkündbare, von dritten Mächten auferlegte Ver- pflichtungen, wird mithin die Souveränität als „die höchste, nur sich selbst bestimmende Macht“ (Laband) zwar beschränkt, aber nicht, auch nicht teilweise, ausgeschlossen. III. Die Souveränität wird insbesondere zwar wesentlich beschränkt, aber nicht ausgeschlossen durch die dem Staat auferlegte oder von ihm übernommene Verpflichtung zu dauernder Neutralität. Piccioni, Essai sur la neutralité perpétuelle. 1891. de Mazade, L’Europe et les neutralités, la Belgique et la Suisse. 1893. Hilty, Die Neutralität der Schweiz in ihrer heutigen Auffassung. 1889. Und dazu Rettich, L. A. V 113. Schweizer, Geschichte der schweizerischen Neutralität. 1895.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/50>, abgerufen am 21.11.2024.