I. Die Einteilung der Strafrechtssätze in allgemeine und besondere hat nur dann Bedeutung, wenn sie maßgebend wird für die wissenschaftliche Darstellung des Strafrechtes, so daß aus dieser die besonderen Rechtssätze ausgeschieden werden. Bei der Bestimmung der Grenzlinie zwischen den allgemeinen und den besonderen Strafgesetzen kann man von einem verschiedenen Standpunkte ausgehen.
1. Man kann als allgemeine Strafrechtssätze die in dem Strafgesetzbuche selbst, als besondere die in Spezialge- setzen enthaltenen betrachten. Dies der gewöhnliche Stand- punkt der Lehrbücher (mit einer kleinen aber darum um so weniger gerechtfertigten Ausnahme bezüglich des Nachdrucks). Dieser Standpunkt ist durchaus unhaltbar. In den Spe- zialgesetzen finden sich theoretisch und praktisch außerordentlich wichtige Bestimmungen, ohne deren Berücksichtigung Kenntnis und Verständnis des deutschen Strafrechts mangelhaft bleiben müssen. Dazu kommt, daß die Aufnahme eines Rechtssatzes in das Strafgesetzbuch selbst oder in ein Spezialgesetz vielfach durch rein zufällige Umstände bestimmt wird; so fanden sich die Bestimmungen über Bankbruch früher in dem StGB., während sie jetzt in der Konkursordnung stehen.
2. Man könnte als Sonderrecht jene Normen be- zeichnen, die sich nicht an alle Staatsbürger wenden, son- dern nur von gewissen Gruppen -- Beamten, Geistlichen, Militärpersonen, Gewerbetreibenden -- Gehorsam heischen. Diese Unterscheidung, prinzipiell gewiß richtig, empfiehlt sich
1 Vgl. dazu Binding Grundriß S. 47.
Einleitung. II. Das Strafgeſetz.
§. 15. Allgemeine und beſondere Strafgeſetze.1
I. Die Einteilung der Strafrechtsſätze in allgemeine und beſondere hat nur dann Bedeutung, wenn ſie maßgebend wird für die wiſſenſchaftliche Darſtellung des Strafrechtes, ſo daß aus dieſer die beſonderen Rechtsſätze ausgeſchieden werden. Bei der Beſtimmung der Grenzlinie zwiſchen den allgemeinen und den beſonderen Strafgeſetzen kann man von einem verſchiedenen Standpunkte ausgehen.
1. Man kann als allgemeine Strafrechtsſätze die in dem Strafgeſetzbuche ſelbſt, als beſondere die in Spezialge- ſetzen enthaltenen betrachten. Dies der gewöhnliche Stand- punkt der Lehrbücher (mit einer kleinen aber darum um ſo weniger gerechtfertigten Ausnahme bezüglich des Nachdrucks). Dieſer Standpunkt iſt durchaus unhaltbar. In den Spe- zialgeſetzen finden ſich theoretiſch und praktiſch außerordentlich wichtige Beſtimmungen, ohne deren Berückſichtigung Kenntnis und Verſtändnis des deutſchen Strafrechts mangelhaft bleiben müſſen. Dazu kommt, daß die Aufnahme eines Rechtsſatzes in das Strafgeſetzbuch ſelbſt oder in ein Spezialgeſetz vielfach durch rein zufällige Umſtände beſtimmt wird; ſo fanden ſich die Beſtimmungen über Bankbruch früher in dem StGB., während ſie jetzt in der Konkursordnung ſtehen.
2. Man könnte als Sonderrecht jene Normen be- zeichnen, die ſich nicht an alle Staatsbürger wenden, ſon- dern nur von gewiſſen Gruppen — Beamten, Geiſtlichen, Militärperſonen, Gewerbetreibenden — Gehorſam heiſchen. Dieſe Unterſcheidung, prinzipiell gewiß richtig, empfiehlt ſich
1 Vgl. dazu Binding Grundriß S. 47.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0086"n="60"/><fwplace="top"type="header">Einleitung. <hirendition="#aq">II.</hi> Das Strafgeſetz.</fw><lb/><divn="3"><head>§. 15.<lb/><hirendition="#b">Allgemeine und beſondere Strafgeſetze.</hi><noteplace="foot"n="1">Vgl. dazu <hirendition="#g">Binding</hi> Grundriß S. 47.</note></head><lb/><p><hirendition="#aq">I.</hi> Die Einteilung der Strafrechtsſätze in allgemeine und<lb/>
beſondere hat nur dann Bedeutung, wenn ſie maßgebend<lb/>
wird für die wiſſenſchaftliche Darſtellung des Strafrechtes,<lb/>ſo daß aus dieſer die beſonderen Rechtsſätze ausgeſchieden<lb/>
werden. Bei der Beſtimmung der Grenzlinie zwiſchen den<lb/>
allgemeinen und den beſonderen Strafgeſetzen kann man von<lb/>
einem verſchiedenen Standpunkte ausgehen.</p><lb/><p>1. Man kann als allgemeine Strafrechtsſätze die in dem<lb/>
Strafgeſetzbuche ſelbſt, als beſondere die in <hirendition="#g">Spezialge-<lb/>ſetzen</hi> enthaltenen betrachten. Dies der gewöhnliche Stand-<lb/>
punkt der Lehrbücher (mit einer kleinen aber darum um ſo<lb/>
weniger gerechtfertigten Ausnahme bezüglich des Nachdrucks).<lb/>
Dieſer Standpunkt iſt durchaus unhaltbar. In den Spe-<lb/>
zialgeſetzen finden ſich theoretiſch und praktiſch außerordentlich<lb/>
wichtige Beſtimmungen, ohne deren Berückſichtigung Kenntnis<lb/>
und Verſtändnis des deutſchen Strafrechts mangelhaft bleiben<lb/>
müſſen. Dazu kommt, daß die Aufnahme eines Rechtsſatzes<lb/>
in das Strafgeſetzbuch ſelbſt oder in ein Spezialgeſetz vielfach<lb/>
durch rein zufällige Umſtände beſtimmt wird; ſo fanden ſich<lb/>
die Beſtimmungen über Bankbruch früher in dem StGB.,<lb/>
während ſie jetzt in der Konkursordnung ſtehen.</p><lb/><p>2. Man könnte als Sonderrecht jene <hirendition="#g">Normen</hi> be-<lb/>
zeichnen, die ſich nicht an <hirendition="#g">alle</hi> Staatsbürger wenden, ſon-<lb/>
dern nur von gewiſſen Gruppen — Beamten, Geiſtlichen,<lb/>
Militärperſonen, Gewerbetreibenden — Gehorſam heiſchen.<lb/>
Dieſe Unterſcheidung, prinzipiell gewiß richtig, empfiehlt ſich<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[60/0086]
Einleitung. II. Das Strafgeſetz.
§. 15.
Allgemeine und beſondere Strafgeſetze. 1
I. Die Einteilung der Strafrechtsſätze in allgemeine und
beſondere hat nur dann Bedeutung, wenn ſie maßgebend
wird für die wiſſenſchaftliche Darſtellung des Strafrechtes,
ſo daß aus dieſer die beſonderen Rechtsſätze ausgeſchieden
werden. Bei der Beſtimmung der Grenzlinie zwiſchen den
allgemeinen und den beſonderen Strafgeſetzen kann man von
einem verſchiedenen Standpunkte ausgehen.
1. Man kann als allgemeine Strafrechtsſätze die in dem
Strafgeſetzbuche ſelbſt, als beſondere die in Spezialge-
ſetzen enthaltenen betrachten. Dies der gewöhnliche Stand-
punkt der Lehrbücher (mit einer kleinen aber darum um ſo
weniger gerechtfertigten Ausnahme bezüglich des Nachdrucks).
Dieſer Standpunkt iſt durchaus unhaltbar. In den Spe-
zialgeſetzen finden ſich theoretiſch und praktiſch außerordentlich
wichtige Beſtimmungen, ohne deren Berückſichtigung Kenntnis
und Verſtändnis des deutſchen Strafrechts mangelhaft bleiben
müſſen. Dazu kommt, daß die Aufnahme eines Rechtsſatzes
in das Strafgeſetzbuch ſelbſt oder in ein Spezialgeſetz vielfach
durch rein zufällige Umſtände beſtimmt wird; ſo fanden ſich
die Beſtimmungen über Bankbruch früher in dem StGB.,
während ſie jetzt in der Konkursordnung ſtehen.
2. Man könnte als Sonderrecht jene Normen be-
zeichnen, die ſich nicht an alle Staatsbürger wenden, ſon-
dern nur von gewiſſen Gruppen — Beamten, Geiſtlichen,
Militärperſonen, Gewerbetreibenden — Gehorſam heiſchen.
Dieſe Unterſcheidung, prinzipiell gewiß richtig, empfiehlt ſich
1 Vgl. dazu Binding Grundriß S. 47.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/86>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.