I. Der Erfolg muß Folge der körperlichen Bewegung, diese muß seine Ursache sein; Handlung und Erfolg müssen im Kausalzusammenhange stehen. Wann ist dies der Fall? wann kann der Erfolg auf eine menschliche Thätigkeit als seine Ursache zurückgeführt werden?
Im strengen Sinne ist Ursache die Gesammtheit (die Totalität, nicht die Summe) aller Faktoren, durch deren Zusammenwirken der Erfolg herbeigeführt wurde; oder, da man jeden einzelnen dieser Faktoren Bedingung nennt, die Gesammtheit der Bedingungen des Er- folges. Die Zahl der einzelnen Bedingungen ist eine un- endliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte. Dieser Begriff der Ursache ist demnach für die praktische Betrachtung, auch für die juristische, unbrauchbar; sie hält sich an einzelne Bedingungen, und meint diese, wenn sie von Ursache spricht. Für die Auswahl dieser "Ursache" aus den Be- dingungen ist lediglich der Standpunkt des Beobachters maßgebend; mit anderen Worten: ein objektiver realer Unter- schied zwischen den verschiedenen Bedingungen existiert nicht, keine von ihnen ist an sich, sondern immer nur im Zusam-
1[Spaltenumbruch]
Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 178 Note 1. Insbesondere die Schriften von v. Bar, v. Buri, Binding. Dazu Buri GS. XXIX.Cohn Zur Lehre vom versuchten u. unvoll. Verbr. I 1880 S. 488 ff. Hertz Das Unrecht und die allgem.[Spaltenumbruch]
Lehren des Strafr. I. Bd. 1880. S. 167 ff. Der Text nähert sich am meisten der v. Buri- schen Auffassung. Seine phil. Begründung s. bei John Stuart Mill in dessen System der Logik I. Bd.
Erſtes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung.
§. 20. Die Lehre vom Kauſalzuſammenhange.1
I. Der Erfolg muß Folge der körperlichen Bewegung, dieſe muß ſeine Urſache ſein; Handlung und Erfolg müſſen im Kauſalzuſammenhange ſtehen. Wann iſt dies der Fall? wann kann der Erfolg auf eine menſchliche Thätigkeit als ſeine Urſache zurückgeführt werden?
Im ſtrengen Sinne iſt Urſache die Geſammtheit (die Totalität, nicht die Summe) aller Faktoren, durch deren Zuſammenwirken der Erfolg herbeigeführt wurde; oder, da man jeden einzelnen dieſer Faktoren Bedingung nennt, die Geſammtheit der Bedingungen des Er- folges. Die Zahl der einzelnen Bedingungen iſt eine un- endliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte. Dieſer Begriff der Urſache iſt demnach für die praktiſche Betrachtung, auch für die juriſtiſche, unbrauchbar; ſie hält ſich an einzelne Bedingungen, und meint dieſe, wenn ſie von Urſache ſpricht. Für die Auswahl dieſer „Urſache“ aus den Be- dingungen iſt lediglich der Standpunkt des Beobachters maßgebend; mit anderen Worten: ein objektiver realer Unter- ſchied zwiſchen den verſchiedenen Bedingungen exiſtiert nicht, keine von ihnen iſt an ſich, ſondern immer nur im Zuſam-
1[Spaltenumbruch]
Lit. bei Meyer Lehrbuch S. 178 Note 1. Insbeſondere die Schriften von v. Bar, v. Buri, Binding. Dazu Buri GS. XXIX.Cohn Zur Lehre vom verſuchten u. unvoll. Verbr. I 1880 S. 488 ff. Hertz Das Unrecht und die allgem.[Spaltenumbruch]
Lehren des Strafr. I. Bd. 1880. S. 167 ff. Der Text nähert ſich am meiſten der v. Buri- ſchen Auffaſſung. Seine phil. Begründung ſ. bei John Stuart Mill in deſſen Syſtem der Logik I. Bd.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0102"n="76"/><fwplace="top"type="header">Erſtes Buch. <hirendition="#aq">II.</hi> Das Verbrechen als Handlung.</fw><lb/><divn="4"><head>§. 20.<lb/><hirendition="#b">Die Lehre vom Kauſalzuſammenhange.</hi><noteplace="foot"n="1"><cb/>
Lit. bei <hirendition="#g">Meyer</hi> Lehrbuch<lb/>
S. 178 Note 1. Insbeſondere<lb/>
die Schriften von v. <hirendition="#g">Bar,<lb/>
v. Buri, Binding</hi>. Dazu<lb/><hirendition="#g">Buri</hi> GS. <hirendition="#aq">XXIX.</hi><hirendition="#g">Cohn</hi> Zur<lb/>
Lehre vom verſuchten u. unvoll.<lb/>
Verbr. <hirendition="#aq">I</hi> 1880 S. 488 ff. <hirendition="#g">Hertz</hi><lb/>
Das Unrecht und die allgem.<cb/>
Lehren des Strafr. <hirendition="#aq">I.</hi> Bd. 1880.<lb/>
S. 167 ff. Der Text nähert<lb/>ſich am meiſten der v. <hirendition="#g">Buri-</hi><lb/>ſchen Auffaſſung. Seine phil.<lb/>
Begründung ſ. bei John Stuart<lb/><hirendition="#g">Mill</hi> in deſſen Syſtem der<lb/>
Logik <hirendition="#aq">I.</hi> Bd.</note></head><lb/><p><hirendition="#aq">I.</hi> Der Erfolg muß Folge der körperlichen Bewegung,<lb/>
dieſe muß ſeine Urſache ſein; Handlung und Erfolg müſſen<lb/>
im Kauſalzuſammenhange ſtehen. Wann iſt dies der Fall?<lb/>
wann kann der Erfolg auf eine menſchliche Thätigkeit als<lb/>ſeine Urſache zurückgeführt werden?</p><lb/><p>Im ſtrengen Sinne iſt <hirendition="#b">Urſache</hi> die <hirendition="#g">Geſammtheit</hi> (die<lb/>
Totalität, nicht die Summe) <hirendition="#g">aller Faktoren, durch deren<lb/>
Zuſammenwirken der Erfolg herbeigeführt wurde;</hi><lb/>
oder, da man jeden einzelnen dieſer Faktoren Bedingung<lb/>
nennt, die <hirendition="#g">Geſammtheit der Bedingungen</hi> des Er-<lb/>
folges. Die Zahl der einzelnen Bedingungen iſt eine un-<lb/>
endliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte. Dieſer Begriff<lb/>
der Urſache iſt demnach für die praktiſche Betrachtung, auch<lb/>
für die juriſtiſche, unbrauchbar; ſie hält ſich an <hirendition="#g">einzelne<lb/>
Bedingungen</hi>, und meint dieſe, wenn ſie von <hirendition="#g">Urſache</hi><lb/>ſpricht. Für die Auswahl dieſer „Urſache“ aus den Be-<lb/>
dingungen iſt lediglich der Standpunkt des Beobachters<lb/>
maßgebend; mit anderen Worten: ein objektiver realer Unter-<lb/>ſchied zwiſchen den verſchiedenen Bedingungen exiſtiert nicht,<lb/>
keine von ihnen iſt an ſich, ſondern immer nur im Zuſam-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[76/0102]
Erſtes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung.
§. 20.
Die Lehre vom Kauſalzuſammenhange. 1
I. Der Erfolg muß Folge der körperlichen Bewegung,
dieſe muß ſeine Urſache ſein; Handlung und Erfolg müſſen
im Kauſalzuſammenhange ſtehen. Wann iſt dies der Fall?
wann kann der Erfolg auf eine menſchliche Thätigkeit als
ſeine Urſache zurückgeführt werden?
Im ſtrengen Sinne iſt Urſache die Geſammtheit (die
Totalität, nicht die Summe) aller Faktoren, durch deren
Zuſammenwirken der Erfolg herbeigeführt wurde;
oder, da man jeden einzelnen dieſer Faktoren Bedingung
nennt, die Geſammtheit der Bedingungen des Er-
folges. Die Zahl der einzelnen Bedingungen iſt eine un-
endliche, räumlich und zeitlich unbegrenzte. Dieſer Begriff
der Urſache iſt demnach für die praktiſche Betrachtung, auch
für die juriſtiſche, unbrauchbar; ſie hält ſich an einzelne
Bedingungen, und meint dieſe, wenn ſie von Urſache
ſpricht. Für die Auswahl dieſer „Urſache“ aus den Be-
dingungen iſt lediglich der Standpunkt des Beobachters
maßgebend; mit anderen Worten: ein objektiver realer Unter-
ſchied zwiſchen den verſchiedenen Bedingungen exiſtiert nicht,
keine von ihnen iſt an ſich, ſondern immer nur im Zuſam-
1
Lit. bei Meyer Lehrbuch
S. 178 Note 1. Insbeſondere
die Schriften von v. Bar,
v. Buri, Binding. Dazu
Buri GS. XXIX. Cohn Zur
Lehre vom verſuchten u. unvoll.
Verbr. I 1880 S. 488 ff. Hertz
Das Unrecht und die allgem.
Lehren des Strafr. I. Bd. 1880.
S. 167 ff. Der Text nähert
ſich am meiſten der v. Buri-
ſchen Auffaſſung. Seine phil.
Begründung ſ. bei John Stuart
Mill in deſſen Syſtem der
Logik I. Bd.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/102>, abgerufen am 21.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.