Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].Als Abends dann noch einmal wir durchschritten Des Parkes Grund, die Nachtigall zu finden, -- Du wolltest ja durchaus sie singen sehen -- Wie lehntest halb erschrocken du den Kopf An meine Schulter, als im Dickicht, plötzlich, Der Marmorfaun gespenstig auf uns sah. Und grade hier mit voller Inbrunst schlug, In einem kaum erblühten Apfelbaum, Die Liederkönigin. Die schönsten Weisen Sang klagend sie dem frechen Gotte vor. Das Glück, der Schnelläufer, hielt Ruhetag In unsern Herzen, und es zog der Friede Weit über's Land. Hell leuchteten die Sterne, Hell über uns in stiller Frühlingsnacht. Unwetter. Der Sturm preßt trotzig an die Fensterscheiben Die rauhe Stirn; tiefschwarze Wolken treiben Wie Fetzen einer Riesentrauerfahne, Und schnell wie Bilder ziehn im Fieberwahne. Wie Rettung suchend, zog, von Angst befangen, In meine Arme dich ein heiß Verlangen. Wie hold das war: Ein Blättchen, sturmgetrieben, Flog mir ans Herz, dort ist es auch geblieben. Als Abends dann noch einmal wir durchſchritten Des Parkes Grund, die Nachtigall zu finden, — Du wollteſt ja durchaus ſie ſingen ſehen — Wie lehnteſt halb erſchrocken du den Kopf An meine Schulter, als im Dickicht, plötzlich, Der Marmorfaun geſpenſtig auf uns ſah. Und grade hier mit voller Inbrunſt ſchlug, In einem kaum erblühten Apfelbaum, Die Liederkönigin. Die ſchönſten Weiſen Sang klagend ſie dem frechen Gotte vor. Das Glück, der Schnelläufer, hielt Ruhetag In unſern Herzen, und es zog der Friede Weit über’s Land. Hell leuchteten die Sterne, Hell über uns in ſtiller Frühlingsnacht. Unwetter. Der Sturm preßt trotzig an die Fenſterſcheiben Die rauhe Stirn; tiefſchwarze Wolken treiben Wie Fetzen einer Rieſentrauerfahne, Und ſchnell wie Bilder ziehn im Fieberwahne. Wie Rettung ſuchend, zog, von Angſt befangen, In meine Arme dich ein heiß Verlangen. Wie hold das war: Ein Blättchen, ſturmgetrieben, Flog mir ans Herz, dort iſt es auch geblieben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb n="82" facs="#f0090"/> <lg n="2"> <l>Als Abends dann noch einmal wir durchſchritten</l><lb/> <l>Des Parkes Grund, die Nachtigall zu finden,</l><lb/> <l>— Du wollteſt ja durchaus ſie ſingen <hi rendition="#g">ſehen</hi> —</l><lb/> <l>Wie lehnteſt halb erſchrocken du den Kopf</l><lb/> <l>An meine Schulter, als im Dickicht, plötzlich,</l><lb/> <l>Der Marmorfaun geſpenſtig auf uns ſah.</l><lb/> <l>Und grade hier mit voller Inbrunſt ſchlug,</l><lb/> <l>In einem kaum erblühten Apfelbaum,</l><lb/> <l>Die Liederkönigin. Die ſchönſten Weiſen</l><lb/> <l>Sang klagend ſie dem frechen Gotte vor.</l><lb/> <l>Das Glück, der Schnelläufer, hielt Ruhetag</l><lb/> <l>In unſern Herzen, und es zog der Friede</l><lb/> <l>Weit über’s Land. Hell leuchteten die Sterne,</l><lb/> <l>Hell über uns in ſtiller Frühlingsnacht.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Unwetter.</hi> </head><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">D</hi>er Sturm preßt trotzig an die Fenſterſcheiben</l><lb/> <l>Die rauhe Stirn; tiefſchwarze Wolken treiben</l><lb/> <l>Wie Fetzen einer Rieſentrauerfahne,</l><lb/> <l>Und ſchnell wie Bilder ziehn im Fieberwahne.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wie Rettung ſuchend, zog, von Angſt befangen,</l><lb/> <l>In meine Arme dich ein heiß Verlangen.</l><lb/> <l>Wie hold das war: Ein Blättchen, ſturmgetrieben,</l><lb/> <l>Flog mir ans Herz, dort iſt es auch geblieben.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </body> </text> </TEI> [82/0090]
Als Abends dann noch einmal wir durchſchritten
Des Parkes Grund, die Nachtigall zu finden,
— Du wollteſt ja durchaus ſie ſingen ſehen —
Wie lehnteſt halb erſchrocken du den Kopf
An meine Schulter, als im Dickicht, plötzlich,
Der Marmorfaun geſpenſtig auf uns ſah.
Und grade hier mit voller Inbrunſt ſchlug,
In einem kaum erblühten Apfelbaum,
Die Liederkönigin. Die ſchönſten Weiſen
Sang klagend ſie dem frechen Gotte vor.
Das Glück, der Schnelläufer, hielt Ruhetag
In unſern Herzen, und es zog der Friede
Weit über’s Land. Hell leuchteten die Sterne,
Hell über uns in ſtiller Frühlingsnacht.
Unwetter.
Der Sturm preßt trotzig an die Fenſterſcheiben
Die rauhe Stirn; tiefſchwarze Wolken treiben
Wie Fetzen einer Rieſentrauerfahne,
Und ſchnell wie Bilder ziehn im Fieberwahne.
Wie Rettung ſuchend, zog, von Angſt befangen,
In meine Arme dich ein heiß Verlangen.
Wie hold das war: Ein Blättchen, ſturmgetrieben,
Flog mir ans Herz, dort iſt es auch geblieben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/90 |
Zitationshilfe: | Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/90>, abgerufen am 04.03.2025. |