Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].Der Gouverneur. Auf einer Forscherfahrt im Ocean Fand ich ein Inselchen, so leer und öde, Als hätte jüngst das Schwert des Tamerlan Den letzten Keim gebrochen, hart und schnöde, Die Pest gezogen ihre Beulenbahn, Daß wenig Menschen blieben, blaß und blöde. Doch funkelten auch hier die stolzen Sterne, Und Well' und Wolken spielten in die Ferne. Kein Pflug, ernährend, riß die Ackerkrume, Kein Jäger sang, am Hut die Feder keck. Spärlich wuchs Gras und Moos und Hundeblume, Zwergobst verkroch in's Blatt sich, grün vor Schreck. Ein Städtchen lag, verlassen im Wehtume, Am ganz verschlammten Hafen im Versteck. Doch leuchteten auch hier die stolzen Sterne: Beamte gab es hoch und Subalterne. Voran geht immer der Herr Bürgermeister, Er litt am Stein, war grämlich, matt und mager. Es folgt der Richter, ein weit hergereister Und sehr gerechter Mann, auch etwas hager. Der Arzt, des wack'ren Todes Hilfeleister, War lange schon des Apothekers Schwager. Der Herr Empfänger für direkte Steuern Fuhr vierteljährlich ein in weite Scheuern. 1
Der Gouverneur. Auf einer Forſcherfahrt im Ocean Fand ich ein Inſelchen, ſo leer und öde, Als hätte jüngſt das Schwert des Tamerlan Den letzten Keim gebrochen, hart und ſchnöde, Die Peſt gezogen ihre Beulenbahn, Daß wenig Menſchen blieben, blaß und blöde. Doch funkelten auch hier die ſtolzen Sterne, Und Well’ und Wolken ſpielten in die Ferne. Kein Pflug, ernährend, riß die Ackerkrume, Kein Jäger ſang, am Hut die Feder keck. Spärlich wuchs Gras und Moos und Hundeblume, Zwergobſt verkroch in’s Blatt ſich, grün vor Schreck. Ein Städtchen lag, verlaſſen im Wehtume, Am ganz verſchlammten Hafen im Verſteck. Doch leuchteten auch hier die ſtolzen Sterne: Beamte gab es hoch und Subalterne. Voran geht immer der Herr Bürgermeiſter, Er litt am Stein, war grämlich, matt und mager. Es folgt der Richter, ein weit hergereiſter Und ſehr gerechter Mann, auch etwas hager. Der Arzt, des wack’ren Todes Hilfeleiſter, War lange ſchon des Apothekers Schwager. Der Herr Empfänger für direkte Steuern Fuhr vierteljährlich ein in weite Scheuern. 1
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0009" n="[1]"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Der Gouverneur.</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">A</hi>uf einer Forſcherfahrt im Ocean</l><lb/> <l>Fand ich ein Inſelchen, ſo leer und öde,</l><lb/> <l>Als hätte jüngſt das Schwert des Tamerlan</l><lb/> <l>Den letzten Keim gebrochen, hart und ſchnöde,</l><lb/> <l>Die Peſt gezogen ihre Beulenbahn,</l><lb/> <l>Daß wenig Menſchen blieben, blaß und blöde.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Doch funkelten auch hier die ſtolzen Sterne,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Und Well’ und Wolken ſpielten in die Ferne.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Kein Pflug, ernährend, riß die Ackerkrume,</l><lb/> <l>Kein Jäger ſang, am Hut die Feder keck.</l><lb/> <l>Spärlich wuchs Gras und Moos und Hundeblume,</l><lb/> <l>Zwergobſt verkroch in’s Blatt ſich, grün vor Schreck.</l><lb/> <l>Ein Städtchen lag, verlaſſen im Wehtume,</l><lb/> <l>Am ganz verſchlammten Hafen im Verſteck.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Doch leuchteten auch hier die ſtolzen Sterne:</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Beamte gab es hoch und Subalterne.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Voran geht immer der Herr Bürgermeiſter,</l><lb/> <l>Er litt am Stein, war grämlich, matt und mager.</l><lb/> <l>Es folgt der Richter, ein weit hergereiſter</l><lb/> <l>Und ſehr gerechter Mann, auch etwas hager.</l><lb/> <l>Der Arzt, des wack’ren Todes Hilfeleiſter,</l><lb/> <l>War lange ſchon des Apothekers Schwager.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Der Herr Empfänger für direkte Steuern</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Fuhr vierteljährlich ein in weite Scheuern.</hi> </l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">1</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [[1]/0009]
Der Gouverneur.
Auf einer Forſcherfahrt im Ocean
Fand ich ein Inſelchen, ſo leer und öde,
Als hätte jüngſt das Schwert des Tamerlan
Den letzten Keim gebrochen, hart und ſchnöde,
Die Peſt gezogen ihre Beulenbahn,
Daß wenig Menſchen blieben, blaß und blöde.
Doch funkelten auch hier die ſtolzen Sterne,
Und Well’ und Wolken ſpielten in die Ferne.
Kein Pflug, ernährend, riß die Ackerkrume,
Kein Jäger ſang, am Hut die Feder keck.
Spärlich wuchs Gras und Moos und Hundeblume,
Zwergobſt verkroch in’s Blatt ſich, grün vor Schreck.
Ein Städtchen lag, verlaſſen im Wehtume,
Am ganz verſchlammten Hafen im Verſteck.
Doch leuchteten auch hier die ſtolzen Sterne:
Beamte gab es hoch und Subalterne.
Voran geht immer der Herr Bürgermeiſter,
Er litt am Stein, war grämlich, matt und mager.
Es folgt der Richter, ein weit hergereiſter
Und ſehr gerechter Mann, auch etwas hager.
Der Arzt, des wack’ren Todes Hilfeleiſter,
War lange ſchon des Apothekers Schwager.
Der Herr Empfänger für direkte Steuern
Fuhr vierteljährlich ein in weite Scheuern.
1
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |