Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883]."Ich habe dich so sehr geliebet." Ich war bei hellem Sommerlicht In eine Dämmergruft gestiegen, Wo Sarkophage, dicht an dicht, Wie Denker in Gedanken, schwiegen. Der Särge Silberschilderei, Wo Nam' und Wappen eingeschnitten, Umzog barocke Schnörkelei, Nach längst verjährten alten Sitten. Es traf mein Blick auf einen Sarg, Aus all den andern Schmerzerrettern. Ich wußte, wen die Truhe barg, Aus einer Chronik gelben Blättern: Ein Jahr nach ihrer Hochzeit schied Die junge Frau mit ihrem Knaben. Und der, der nun die Sonne mied, Sein einzig Glück war hier begraben. Schnee fiel in seine Sommerflur, Er war zu tief, zu tief "betrübet." Ich las auf ihrem Sarge nur: "Ich habe dich so sehr geliebet." „Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“ Ich war bei hellem Sommerlicht In eine Dämmergruft geſtiegen, Wo Sarkophage, dicht an dicht, Wie Denker in Gedanken, ſchwiegen. Der Särge Silberſchilderei, Wo Nam’ und Wappen eingeſchnitten, Umzog barocke Schnörkelei, Nach längſt verjährten alten Sitten. Es traf mein Blick auf einen Sarg, Aus all den andern Schmerzerrettern. Ich wußte, wen die Truhe barg, Aus einer Chronik gelben Blättern: Ein Jahr nach ihrer Hochzeit ſchied Die junge Frau mit ihrem Knaben. Und der, der nun die Sonne mied, Sein einzig Glück war hier begraben. Schnee fiel in ſeine Sommerflur, Er war zu tief, zu tief „betrübet.“ Ich las auf ihrem Sarge nur: „Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“ <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0074" n="66"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">„Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“</hi> </head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">I</hi>ch war bei hellem Sommerlicht</l><lb/> <l>In eine Dämmergruft geſtiegen,</l><lb/> <l>Wo Sarkophage, dicht an dicht,</l><lb/> <l>Wie Denker in Gedanken, ſchwiegen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Der Särge Silberſchilderei,</l><lb/> <l>Wo Nam’ und Wappen eingeſchnitten,</l><lb/> <l>Umzog barocke Schnörkelei,</l><lb/> <l>Nach längſt verjährten alten Sitten.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Es traf mein Blick auf einen Sarg,</l><lb/> <l>Aus all den andern Schmerzerrettern.</l><lb/> <l>Ich wußte, wen die Truhe barg,</l><lb/> <l>Aus einer Chronik gelben Blättern:</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Ein Jahr nach ihrer Hochzeit ſchied</l><lb/> <l>Die junge Frau mit ihrem Knaben.</l><lb/> <l>Und der, der nun die Sonne mied,</l><lb/> <l>Sein einzig Glück war hier begraben.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Schnee fiel in ſeine Sommerflur,</l><lb/> <l>Er war zu tief, zu tief „betrübet.“</l><lb/> <l>Ich las auf ihrem Sarge nur:</l><lb/> <l>„Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </body> </text> </TEI> [66/0074]
„Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“
Ich war bei hellem Sommerlicht
In eine Dämmergruft geſtiegen,
Wo Sarkophage, dicht an dicht,
Wie Denker in Gedanken, ſchwiegen.
Der Särge Silberſchilderei,
Wo Nam’ und Wappen eingeſchnitten,
Umzog barocke Schnörkelei,
Nach längſt verjährten alten Sitten.
Es traf mein Blick auf einen Sarg,
Aus all den andern Schmerzerrettern.
Ich wußte, wen die Truhe barg,
Aus einer Chronik gelben Blättern:
Ein Jahr nach ihrer Hochzeit ſchied
Die junge Frau mit ihrem Knaben.
Und der, der nun die Sonne mied,
Sein einzig Glück war hier begraben.
Schnee fiel in ſeine Sommerflur,
Er war zu tief, zu tief „betrübet.“
Ich las auf ihrem Sarge nur:
„Ich habe dich ſo ſehr geliebet.“
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