Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883]."Rudolf" Kamilla? "Liebst du noch das Mädchen?" Bis jeder Stern vom weiten Himmel fällt. Die Frau steht auf. Doch bleibt sie noch am Bett. Ein letzter, langer, schwerer Abschiedsblick In Haß und Eifersucht und Schmerz und Weh. In grenzenloser Liebe küßt sie dann Die Stirne dessen, der ihr Leben war. Ein Schwan, der seinen Schnabel tief verbarg, Fährt plötzlich aus dem Traum. Die stolze Frau Glitt neben ihm in's Wasser und verschwand. Trutz, blanke Hans. Heut bin ich über Rungholt gefahren, Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren. Noch schlagen die Wellen da wild und empört, Wie damals, als sie die Marschen zerstört. Die Maschine des Dampfers schüttert' und stöhnte, Aus den Wassern rief es unheimlich und höhnte: Trutz, blanke Hans. Von der Nordsee, der Mordsee, vom Festland geschieden, Liegen die friesischen Inseln im Frieden. Und Zeugen weltenvernichtender Wut, Taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut. Die Möwe zankt schon auf wachsenden Watten, Der Seehund schon sonnt sich auf sandigen Platten. Trutz, blanke Hans. 9
„Rudolf“ Kamilla? „Liebſt du noch das Mädchen?“ Bis jeder Stern vom weiten Himmel fällt. Die Frau ſteht auf. Doch bleibt ſie noch am Bett. Ein letzter, langer, ſchwerer Abſchiedsblick In Haß und Eiferſucht und Schmerz und Weh. In grenzenloſer Liebe küßt ſie dann Die Stirne deſſen, der ihr Leben war. Ein Schwan, der ſeinen Schnabel tief verbarg, Fährt plötzlich aus dem Traum. Die ſtolze Frau Glitt neben ihm in’s Waſſer und verſchwand. Trutz, blanke Hans. Heut bin ich über Rungholt gefahren, Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren. Noch ſchlagen die Wellen da wild und empört, Wie damals, als ſie die Marſchen zerſtört. Die Maſchine des Dampfers ſchüttert’ und ſtöhnte, Aus den Waſſern rief es unheimlich und höhnte: Trutz, blanke Hans. Von der Nordſee, der Mordſee, vom Feſtland geſchieden, Liegen die frieſiſchen Inſeln im Frieden. Und Zeugen weltenvernichtender Wut, Taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut. Die Möwe zankt ſchon auf wachſenden Watten, Der Seehund ſchon ſonnt ſich auf ſandigen Platten. Trutz, blanke Hans. 9
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb n="129" facs="#f0137"/> <lg n="17"> <l>„Rudolf“ Kamilla? „Liebſt du noch das Mädchen?“</l><lb/> <l>Bis jeder Stern vom weiten Himmel fällt.</l> </lg><lb/> <lg n="18"> <l>Die Frau ſteht auf. Doch bleibt ſie noch am Bett.</l><lb/> <l>Ein letzter, langer, ſchwerer Abſchiedsblick</l><lb/> <l>In Haß und Eiferſucht und Schmerz und Weh.</l><lb/> <l>In grenzenloſer Liebe küßt ſie dann</l><lb/> <l>Die Stirne deſſen, der ihr Leben war.</l> </lg> </lg><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ein Schwan, der ſeinen Schnabel tief verbarg,</l><lb/> <l>Fährt plötzlich aus dem Traum.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l> <hi rendition="#et">Die ſtolze Frau</hi> </l><lb/> <l>Glitt neben ihm in’s Waſſer und verſchwand.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">Trutz, blanke Hans.</hi> </head><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">H</hi>eut bin ich über Rungholt gefahren,</l><lb/> <l>Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.</l><lb/> <l>Noch ſchlagen die Wellen da wild und empört,</l><lb/> <l>Wie damals, als ſie die Marſchen zerſtört.</l><lb/> <l>Die Maſchine des Dampfers ſchüttert’ und ſtöhnte,</l><lb/> <l>Aus den Waſſern rief es unheimlich und höhnte:</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Von der Nordſee, der Mordſee, vom Feſtland geſchieden,</l><lb/> <l>Liegen die frieſiſchen Inſeln im Frieden.</l><lb/> <l>Und Zeugen weltenvernichtender Wut,</l><lb/> <l>Taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.</l><lb/> <l>Die Möwe zankt ſchon auf wachſenden Watten,</l><lb/> <l>Der Seehund ſchon ſonnt ſich auf ſandigen Platten.</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l> </lg><lb/> <fw type="sig" place="bottom">9</fw><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [129/0137]
„Rudolf“ Kamilla? „Liebſt du noch das Mädchen?“
Bis jeder Stern vom weiten Himmel fällt.
Die Frau ſteht auf. Doch bleibt ſie noch am Bett.
Ein letzter, langer, ſchwerer Abſchiedsblick
In Haß und Eiferſucht und Schmerz und Weh.
In grenzenloſer Liebe küßt ſie dann
Die Stirne deſſen, der ihr Leben war.
Ein Schwan, der ſeinen Schnabel tief verbarg,
Fährt plötzlich aus dem Traum.
Die ſtolze Frau
Glitt neben ihm in’s Waſſer und verſchwand.
Trutz, blanke Hans.
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Noch ſchlagen die Wellen da wild und empört,
Wie damals, als ſie die Marſchen zerſtört.
Die Maſchine des Dampfers ſchüttert’ und ſtöhnte,
Aus den Waſſern rief es unheimlich und höhnte:
Trutz, blanke Hans.
Von der Nordſee, der Mordſee, vom Feſtland geſchieden,
Liegen die frieſiſchen Inſeln im Frieden.
Und Zeugen weltenvernichtender Wut,
Taucht Hallig auf Hallig aus fliehender Flut.
Die Möwe zankt ſchon auf wachſenden Watten,
Der Seehund ſchon ſonnt ſich auf ſandigen Platten.
Trutz, blanke Hans.
9
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/137 |
Zitationshilfe: | Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/137>, abgerufen am 04.03.2025. |