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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1221 bis 1222.
sie die alten Zeiten so, daß sie das die erste Zeit nennen, in welcher alle Todte verbrant1221
wurden; die andere, in der man die Vornehmen alle in Begräbnisse legte, das gemeine
Volk aber nach dem Tode schlechtweg verscharrete, wie Olaus Verelius bey der Historie
Gothrichs p. 81 anmerket, wo er auch hinzu setzet, daß eine zeitlang beydes beysam-
men gewesen, und daß selbst das Verbrennen zur Aufführung der Gräber Veranlassung
gegeben, weil die Asche des verbranten Leichnams mit Erde beworfen, und mit Steinen
bedecket wurde. Er erzählet weiter, wie er selbst ein grosses Begräbniß von dieser Art
durch angenommene Arbeiter eröfnet, und was er darinne gefunden. Jch überhebe
mich der Mühe, das hierher zu schreiben, weil es nicht dieses Orts ist; und begnüge
mich das eine noch zu sagen, daß die Oerter, wo man heut zu Tage die Spuren des
Verbrennens angetroffen, vormals von niemand bewohnet worden, weil die Verbrennung
und die Errichtung der Gräber nur an unfruchtbaren und wüsten Oertern geschahe, ob-
gleich einiger Orten auch an der öffentlichen Landstrasse. Man sehe des Herrn Schmincks
gelehrte Abhandlung von den Aschenkrügen in den Gräbern, darinne er erzählet, wie
der Durchlauchtigste Landgraf Karl, als ihm vorgebracht worden, daß man nicht weit
von der Edder auf einem unfruchtbaren Felde, das die Einwohner von dem nahgele-
genen Dorf Mader die Maderheide nennen, viele aus Rasen errichtete Begräbnisse
erblicket, selbige in seiner Gegenwart habe lassen öfnen, und was er in selbigen angetroffen.
Uebrigens scheinet Albert von Stade auf diesen Abfal der Esthen vom christlichen
"Glauben zu zielen, wenn er beym Jahre 1224 also schreibet: "Die Esthen verliessen
"den katholischen Glauben, und machten mit den Wilden und Russen ein Bündniß.
"Die neue Armee der Pilger aber ließ an ihnen dafür ihre Rache aus." Dis geschahe
auch kurz nachher bey Eroberung des Schlosses Dorpat.
§. 9.

Die von Saccala schickten hierauf Boten nach Riga, mit dem Vermel-
den, daß sie zwar gerne einen andern Frieden hätten; allein sie würden nachher
keinen christlichen Glauben annehmen, so lange ein Knabe eines Jahres alt, oder
einer Elle hoch im Lande bliebe. Sie begehrten dabey ihre Geisseln, die jungen
Bursche zurück, und versprachen vor jede Geissel, einen Ordensbruder und Kauf-
mann, die sie noch lebendig in Ketten hielten, auszuliefern; wie denn auch gesche-
hen ist.

§. 10.

Es befand sich damals ein christlicher Kaufmann in dem Hause eines Esthen
in Saccala, und wie alle Deutschen niedergehauen wurden, fiel auch der Esthe
über diesen seinen Gast den Kaufmann her, und schlug ihn todt. Kurz nachher
kam dieses Mörders Weib mit einem Sohne in die Wochen, und der Knabe hatte
auf seinem Leibe ganz frische Wunden, an allen den Orten, wo der Vater den Un-
schuldigen verwundet und getödtet hatte, die den Wunden des entleibten in allen
gleichten. Doch sind sie nachher zugeheilet worden, nur daß die Narben bis diese
Stunde zu sehen sind i). Viele, die es in Augenschein nahmen, wunderten sich
drüber, statteten Zeugniß davon ab, und priesen die Rache GOttes; denn auch
dieser Mörder ist gleich darauf von der Armee der Christen erschlagen worden.

i) Wie gemeine Leute gerne an solchen Wunderwerken ihre Belustigung und Vergnügen fin-
den; also ist das Andenken dieser seltsamen Begebenheit auch auf die Nachwelt fortge-
pflanzet, und endlich in die Chronik des Deutschen Ordens eingeschlichen, und daraus
in Waissels Preußische und Russovs Liefländische Chronik; doch, daß hier und
da was zugesetzet und etliches verändert worden.
§. 11.

Darauf ging der Krieg in allen Gegenden in Esthland von neuem an.
Denn die von Oesel, die von der Strand-Wyck und von Warbola zugleich
mit den Gerwenschen und Wirländern hielten die Dänen in Revel durch
eine langwierige Belagerung warm, bis der HErr sie errettete. Denn die im
Schlosse alzuviel und lange abgematteten Deutschen thaten mit den Dä-

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von 1221 bis 1222.
ſie die alten Zeiten ſo, daß ſie das die erſte Zeit nennen, in welcher alle Todte verbrant1221
wurden; die andere, in der man die Vornehmen alle in Begraͤbniſſe legte, das gemeine
Volk aber nach dem Tode ſchlechtweg verſcharrete, wie Olaus Verelius bey der Hiſtorie
Gothrichs p. 81 anmerket, wo er auch hinzu ſetzet, daß eine zeitlang beydes beyſam-
men geweſen, und daß ſelbſt das Verbrennen zur Auffuͤhrung der Graͤber Veranlaſſung
gegeben, weil die Aſche des verbranten Leichnams mit Erde beworfen, und mit Steinen
bedecket wurde. Er erzaͤhlet weiter, wie er ſelbſt ein groſſes Begraͤbniß von dieſer Art
durch angenommene Arbeiter eroͤfnet, und was er darinne gefunden. Jch uͤberhebe
mich der Muͤhe, das hierher zu ſchreiben, weil es nicht dieſes Orts iſt; und begnuͤge
mich das eine noch zu ſagen, daß die Oerter, wo man heut zu Tage die Spuren des
Verbrennens angetroffen, vormals von niemand bewohnet worden, weil die Verbrennung
und die Errichtung der Graͤber nur an unfruchtbaren und wuͤſten Oertern geſchahe, ob-
gleich einiger Orten auch an der oͤffentlichen Landſtraſſe. Man ſehe des Herrn Schmincks
gelehrte Abhandlung von den Aſchenkruͤgen in den Graͤbern, darinne er erzaͤhlet, wie
der Durchlauchtigſte Landgraf Karl, als ihm vorgebracht worden, daß man nicht weit
von der Edder auf einem unfruchtbaren Felde, das die Einwohner von dem nahgele-
genen Dorf Mader die Maderheide nennen, viele aus Raſen errichtete Begraͤbniſſe
erblicket, ſelbige in ſeiner Gegenwart habe laſſen oͤfnen, und was er in ſelbigen angetroffen.
Uebrigens ſcheinet Albert von Stade auf dieſen Abfal der Eſthen vom chriſtlichen
„Glauben zu zielen, wenn er beym Jahre 1224 alſo ſchreibet: „Die Eſthen verlieſſen
„den katholiſchen Glauben, und machten mit den Wilden und Ruſſen ein Buͤndniß.
„Die neue Armee der Pilger aber ließ an ihnen dafuͤr ihre Rache aus.„ Dis geſchahe
auch kurz nachher bey Eroberung des Schloſſes Dorpat.
§. 9.

Die von Saccala ſchickten hierauf Boten nach Riga, mit dem Vermel-
den, daß ſie zwar gerne einen andern Frieden haͤtten; allein ſie wuͤrden nachher
keinen chriſtlichen Glauben annehmen, ſo lange ein Knabe eines Jahres alt, oder
einer Elle hoch im Lande bliebe. Sie begehrten dabey ihre Geiſſeln, die jungen
Burſche zuruͤck, und verſprachen vor jede Geiſſel, einen Ordensbruder und Kauf-
mann, die ſie noch lebendig in Ketten hielten, auszuliefern; wie denn auch geſche-
hen iſt.

§. 10.

Es befand ſich damals ein chriſtlicher Kaufmann in dem Hauſe eines Eſthen
in Saccala, und wie alle Deutſchen niedergehauen wurden, fiel auch der Eſthe
uͤber dieſen ſeinen Gaſt den Kaufmann her, und ſchlug ihn todt. Kurz nachher
kam dieſes Moͤrders Weib mit einem Sohne in die Wochen, und der Knabe hatte
auf ſeinem Leibe ganz friſche Wunden, an allen den Orten, wo der Vater den Un-
ſchuldigen verwundet und getoͤdtet hatte, die den Wunden des entleibten in allen
gleichten. Doch ſind ſie nachher zugeheilet worden, nur daß die Narben bis dieſe
Stunde zu ſehen ſind i). Viele, die es in Augenſchein nahmen, wunderten ſich
druͤber, ſtatteten Zeugniß davon ab, und prieſen die Rache GOttes; denn auch
dieſer Moͤrder iſt gleich darauf von der Armee der Chriſten erſchlagen worden.

i) Wie gemeine Leute gerne an ſolchen Wunderwerken ihre Beluſtigung und Vergnuͤgen fin-
den; alſo iſt das Andenken dieſer ſeltſamen Begebenheit auch auf die Nachwelt fortge-
pflanzet, und endlich in die Chronik des Deutſchen Ordens eingeſchlichen, und daraus
in Waiſſels Preußiſche und Ruſſovs Lieflaͤndiſche Chronik; doch, daß hier und
da was zugeſetzet und etliches veraͤndert worden.
§. 11.

Darauf ging der Krieg in allen Gegenden in Eſthland von neuem an.
Denn die von Oeſel, die von der Strand-Wyck und von Warbola zugleich
mit den Gerwenſchen und Wirlaͤndern hielten die Daͤnen in Revel durch
eine langwierige Belagerung warm, bis der HErr ſie errettete. Denn die im
Schloſſe alzuviel und lange abgematteten Deutſchen thaten mit den Daͤ-

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[183/0215] von 1221 bis 1222. b⁾ ſie die alten Zeiten ſo, daß ſie das die erſte Zeit nennen, in welcher alle Todte verbrant wurden; die andere, in der man die Vornehmen alle in Begraͤbniſſe legte, das gemeine Volk aber nach dem Tode ſchlechtweg verſcharrete, wie Olaus Verelius bey der Hiſtorie Gothrichs p. 81 anmerket, wo er auch hinzu ſetzet, daß eine zeitlang beydes beyſam- men geweſen, und daß ſelbſt das Verbrennen zur Auffuͤhrung der Graͤber Veranlaſſung gegeben, weil die Aſche des verbranten Leichnams mit Erde beworfen, und mit Steinen bedecket wurde. Er erzaͤhlet weiter, wie er ſelbſt ein groſſes Begraͤbniß von dieſer Art durch angenommene Arbeiter eroͤfnet, und was er darinne gefunden. Jch uͤberhebe mich der Muͤhe, das hierher zu ſchreiben, weil es nicht dieſes Orts iſt; und begnuͤge mich das eine noch zu ſagen, daß die Oerter, wo man heut zu Tage die Spuren des Verbrennens angetroffen, vormals von niemand bewohnet worden, weil die Verbrennung und die Errichtung der Graͤber nur an unfruchtbaren und wuͤſten Oertern geſchahe, ob- gleich einiger Orten auch an der oͤffentlichen Landſtraſſe. Man ſehe des Herrn Schmincks gelehrte Abhandlung von den Aſchenkruͤgen in den Graͤbern, darinne er erzaͤhlet, wie der Durchlauchtigſte Landgraf Karl, als ihm vorgebracht worden, daß man nicht weit von der Edder auf einem unfruchtbaren Felde, das die Einwohner von dem nahgele- genen Dorf Mader die Maderheide nennen, viele aus Raſen errichtete Begraͤbniſſe erblicket, ſelbige in ſeiner Gegenwart habe laſſen oͤfnen, und was er in ſelbigen angetroffen. Uebrigens ſcheinet Albert von Stade auf dieſen Abfal der Eſthen vom chriſtlichen „Glauben zu zielen, wenn er beym Jahre 1224 alſo ſchreibet: „Die Eſthen verlieſſen „den katholiſchen Glauben, und machten mit den Wilden und Ruſſen ein Buͤndniß. „Die neue Armee der Pilger aber ließ an ihnen dafuͤr ihre Rache aus.„ Dis geſchahe auch kurz nachher bey Eroberung des Schloſſes Dorpat. §. 9. Die von Saccala ſchickten hierauf Boten nach Riga, mit dem Vermel- den, daß ſie zwar gerne einen andern Frieden haͤtten; allein ſie wuͤrden nachher keinen chriſtlichen Glauben annehmen, ſo lange ein Knabe eines Jahres alt, oder einer Elle hoch im Lande bliebe. Sie begehrten dabey ihre Geiſſeln, die jungen Burſche zuruͤck, und verſprachen vor jede Geiſſel, einen Ordensbruder und Kauf- mann, die ſie noch lebendig in Ketten hielten, auszuliefern; wie denn auch geſche- hen iſt. §. 10. Es befand ſich damals ein chriſtlicher Kaufmann in dem Hauſe eines Eſthen in Saccala, und wie alle Deutſchen niedergehauen wurden, fiel auch der Eſthe uͤber dieſen ſeinen Gaſt den Kaufmann her, und ſchlug ihn todt. Kurz nachher kam dieſes Moͤrders Weib mit einem Sohne in die Wochen, und der Knabe hatte auf ſeinem Leibe ganz friſche Wunden, an allen den Orten, wo der Vater den Un- ſchuldigen verwundet und getoͤdtet hatte, die den Wunden des entleibten in allen gleichten. Doch ſind ſie nachher zugeheilet worden, nur daß die Narben bis dieſe Stunde zu ſehen ſind i⁾ . Viele, die es in Augenſchein nahmen, wunderten ſich druͤber, ſtatteten Zeugniß davon ab, und prieſen die Rache GOttes; denn auch dieſer Moͤrder iſt gleich darauf von der Armee der Chriſten erſchlagen worden. i⁾ Wie gemeine Leute gerne an ſolchen Wunderwerken ihre Beluſtigung und Vergnuͤgen fin- den; alſo iſt das Andenken dieſer ſeltſamen Begebenheit auch auf die Nachwelt fortge- pflanzet, und endlich in die Chronik des Deutſchen Ordens eingeſchlichen, und daraus in Waiſſels Preußiſche und Ruſſovs Lieflaͤndiſche Chronik; doch, daß hier und da was zugeſetzet und etliches veraͤndert worden. §. 11. Darauf ging der Krieg in allen Gegenden in Eſthland von neuem an. Denn die von Oeſel, die von der Strand-Wyck und von Warbola zugleich mit den Gerwenſchen und Wirlaͤndern hielten die Daͤnen in Revel durch eine langwierige Belagerung warm, bis der HErr ſie errettete. Denn die im Schloſſe alzuviel und lange abgematteten Deutſchen thaten mit den Daͤ- nen Z z 2

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/215>, abgerufen am 21.11.2024.