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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1213 bis 1214.
auch einige Weiber und Kinder, und wolten niemands auf den Feldern und Dör-1213
fern schonen. Sie färbten alle Wege und Oerter mit dem Blute der Heiden, und
verfolgten sie bis in alle Provinzen, die an der Seeküste lagen, und Rotalewien
oder Rotalien hiessen b). Auch die Letten, nebst andern, jagten etlichen unter
ihnen nach, welche über das Eis der See flüchteten, machten die, welche sie erhasch-
ten, gleich nieder, und führten alle ihr Hab und Gut mit sich weg. Thalibalds
Söhne raubten alleine drey Liefländische Talente *) an Silber, ohne Kleider,
Pferde und viel andere Beute, welches sie alles nach Beverin mitnahmen. Gleichfals
war die ganze Armee den ersten, andern und dritten Tag hinter den flüchtenden
Esthen allenthalben her, und schlugen sie hier und da todt, bis sie müde und mat
waren, sowol sie selbst, als ihre Pferde. Endlich den vierten Tag darauf kamen
sie insgesamt an einem Ort mit allem ihrem Raube zusammen, trieben noch viel
Pferde und Vieh weg, nahmen Weiber und Kinder und Mädgen mit sich, mach-
ten fette Beute und kehrten frölich wieder nach Liefland, da sie denn den HErrn
lobten, der sie an den Heiden gerochen hatte. Die Heiden wurden hierüber be-
stürzt, und machten ein erbärmliches Weinen und Heulen. Denn Esthland be-
weinete seine Kinder und wolte sich nicht trösten lassen, weil diese
verloren waren, sowol hier, als in jenem Leben,
sonderlich aber wegen
der Vielheit der Erschlagenen, die nicht zu zählen waren.

b) Daß dieses Rotalien den Schweden vormals viel zu thun gemacht, indem es einige
in Schweden selbst gesuchet haben **), zeiget Herr Erich Benzelius über Vasto-
vium
p. 59, vornemlich nachdem sie in Russovs Liefländischer Chronik p. 8. für
Rotal durch ein Versehen Rokal gedruckt gefunden. Es ist aber Rotalien ein klein
Ländgen an der Seeküste von Esthland, der Jnsel Oesel gegen über, welche Seeseite
auf deutsch die Strand-Wyck, auf esthnisch Lönema heisset: worinne das
Kirchspiel Rötel, auf esthnisch Riddalikirrik den vorigen Namen beybehalten.
§. 6.

Nachher in der Fastenzeit entstand um Mitternacht in der Stadt Riga eine
starke Feuersbrunst, wodurch der Haupttheil der Stadt, der nemlich zuerst ge-
bauet und am ersten mit einer Mauer versehen worden, im Rauch aufging; von
der Marienkirche an, die mit ihren grossen Glocken verbrante, bis an den Hof des
Bischofs und die dranstossenden Häuser bis an die Ritterschaftskirche. Die Leu-
te betrübten sich hauptsächlich über die angenehm schallende Sturmglocke, und
über den in der Stadt geschehenen Schaden; man goß aber kurz nachher eine
andre Glocke, die noch grösser war, als die erste.

§. 7.

Nachdem nun die Müden von diesem Feldzuge ausgeruhet, und so wol sie,
als ihre Pferde sich wieder erholet hatten; so schrieben sie in der Fasten einen an-
dern Feldzug aus. Die Rigischen brachen auf, riefen die Liven und Letten mit
sich, zogen nach Saccala, liessen das Schloß Viliende im Rücken, plünderten
das ganze herumliegende Land, und versamleten sich endlich unversehens bey dem
Schlosse des Lembit, so Leale heisset. Die im Schlosse befindlichen Esthen

aber,
*) Jch weiß nicht, ob das Lispfunde seyn; das wäre zu selbiger Zeit ein ziemlicher Reichthum gewesen,
da das Silber noch ungemein rar war, und man damit gar vieles kaufen konte. Vielleicht ist das
Wort Lispfund aus Livisch Pfund zusammen gezogen, und von den dahin handelnden Nationen bey-
behalten worden; da zumal diese Sprache ein besonder Wort Leisik dazu hat.
**) Es setzen nemlich einige Schwedische Geschichtschreiber, der Bischof Karl von Lincöping und
der Herzog Karl, wären nicht weit von Lincöping zu Rotala in Ostergothland umgebracht wor-
den. Daß aber die Gleichheit der Namen diese unaleiche Meynung veranlasset, erhellet aus dem,
was beym Jahr 1219. n. 3. vorkomt. Ehe die Stadt Hapsal erbauet worden, führte der nordliche Theil
von der Wyck nach dem Rötelschen Landstriche den Namen Rotalien, der nunmehr bey Aufnahme der
Stadt Hapsal verloschen und aus dem Gebrauch gekommen. Weil das Alterthum dieser Stadt nicht
bis in diese späten Zeiten gehet: so kan von ihrer Erbauung nicht eher als im andern Theil Erweh-
nung geschehen.
E e

von 1213 bis 1214.
auch einige Weiber und Kinder, und wolten niemands auf den Feldern und Doͤr-1213
fern ſchonen. Sie faͤrbten alle Wege und Oerter mit dem Blute der Heiden, und
verfolgten ſie bis in alle Provinzen, die an der Seekuͤſte lagen, und Rotalewien
oder Rotalien hieſſen b). Auch die Letten, nebſt andern, jagten etlichen unter
ihnen nach, welche uͤber das Eis der See fluͤchteten, machten die, welche ſie erhaſch-
ten, gleich nieder, und fuͤhrten alle ihr Hab und Gut mit ſich weg. Thalibalds
Soͤhne raubten alleine drey Lieflaͤndiſche Talente *) an Silber, ohne Kleider,
Pferde und viel andere Beute, welches ſie alles nach Beverin mitnahmen. Gleichfals
war die ganze Armee den erſten, andern und dritten Tag hinter den fluͤchtenden
Eſthen allenthalben her, und ſchlugen ſie hier und da todt, bis ſie muͤde und mat
waren, ſowol ſie ſelbſt, als ihre Pferde. Endlich den vierten Tag darauf kamen
ſie insgeſamt an einem Ort mit allem ihrem Raube zuſammen, trieben noch viel
Pferde und Vieh weg, nahmen Weiber und Kinder und Maͤdgen mit ſich, mach-
ten fette Beute und kehrten froͤlich wieder nach Liefland, da ſie denn den HErrn
lobten, der ſie an den Heiden gerochen hatte. Die Heiden wurden hieruͤber be-
ſtuͤrzt, und machten ein erbaͤrmliches Weinen und Heulen. Denn Eſthland be-
weinete ſeine Kinder und wolte ſich nicht troͤſten laſſen, weil dieſe
verloren waren, ſowol hier, als in jenem Leben,
ſonderlich aber wegen
der Vielheit der Erſchlagenen, die nicht zu zaͤhlen waren.

b) Daß dieſes Rotalien den Schweden vormals viel zu thun gemacht, indem es einige
in Schweden ſelbſt geſuchet haben **), zeiget Herr Erich Benzelius uͤber Vaſto-
vium
p. 59, vornemlich nachdem ſie in Ruſſovs Lieflaͤndiſcher Chronik p. 8. fuͤr
Rotal durch ein Verſehen Rokal gedruckt gefunden. Es iſt aber Rotalien ein klein
Laͤndgen an der Seekuͤſte von Eſthland, der Jnſel Oeſel gegen uͤber, welche Seeſeite
auf deutſch die Strand-Wyck, auf eſthniſch Loͤnema heiſſet: worinne das
Kirchſpiel Roͤtel, auf eſthniſch Riddalikirrik den vorigen Namen beybehalten.
§. 6.

Nachher in der Faſtenzeit entſtand um Mitternacht in der Stadt Riga eine
ſtarke Feuersbrunſt, wodurch der Haupttheil der Stadt, der nemlich zuerſt ge-
bauet und am erſten mit einer Mauer verſehen worden, im Rauch aufging; von
der Marienkirche an, die mit ihren groſſen Glocken verbrante, bis an den Hof des
Biſchofs und die dranſtoſſenden Haͤuſer bis an die Ritterſchaftskirche. Die Leu-
te betruͤbten ſich hauptſaͤchlich uͤber die angenehm ſchallende Sturmglocke, und
uͤber den in der Stadt geſchehenen Schaden; man goß aber kurz nachher eine
andre Glocke, die noch groͤſſer war, als die erſte.

§. 7.

Nachdem nun die Muͤden von dieſem Feldzuge ausgeruhet, und ſo wol ſie,
als ihre Pferde ſich wieder erholet hatten; ſo ſchrieben ſie in der Faſten einen an-
dern Feldzug aus. Die Rigiſchen brachen auf, riefen die Liven und Letten mit
ſich, zogen nach Saccala, lieſſen das Schloß Viliende im Ruͤcken, pluͤnderten
das ganze herumliegende Land, und verſamleten ſich endlich unverſehens bey dem
Schloſſe des Lembit, ſo Leale heiſſet. Die im Schloſſe befindlichen Eſthen

aber,
*) Jch weiß nicht, ob das Lispfunde ſeyn; das waͤre zu ſelbiger Zeit ein ziemlicher Reichthum geweſen,
da das Silber noch ungemein rar war, und man damit gar vieles kaufen konte. Vielleicht iſt das
Wort Lispfund aus Liviſch Pfund zuſammen gezogen, und von den dahin handelnden Nationen bey-
behalten worden; da zumal dieſe Sprache ein beſonder Wort Leiſik dazu hat.
**) Es ſetzen nemlich einige Schwediſche Geſchichtſchreiber, der Biſchof Karl von Lincoͤping und
der Herzog Karl, waͤren nicht weit von Lincoͤping zu Rotala in Oſtergothland umgebracht wor-
den. Daß aber die Gleichheit der Namen dieſe unaleiche Meynung veranlaſſet, erhellet aus dem,
was beym Jahr 1219. n. 3. vorkomt. Ehe die Stadt Hapſal erbauet worden, fuͤhrte der nordliche Theil
von der Wyck nach dem Roͤtelſchen Landſtriche den Namen Rotalien, der nunmehr bey Aufnahme der
Stadt Hapſal verloſchen und aus dem Gebrauch gekommen. Weil das Alterthum dieſer Stadt nicht
bis in dieſe ſpaͤten Zeiten gehet: ſo kan von ihrer Erbauung nicht eher als im andern Theil Erweh-
nung geſchehen.
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[109/0141] von 1213 bis 1214. auch einige Weiber und Kinder, und wolten niemands auf den Feldern und Doͤr- fern ſchonen. Sie faͤrbten alle Wege und Oerter mit dem Blute der Heiden, und verfolgten ſie bis in alle Provinzen, die an der Seekuͤſte lagen, und Rotalewien oder Rotalien hieſſen b⁾ . Auch die Letten, nebſt andern, jagten etlichen unter ihnen nach, welche uͤber das Eis der See fluͤchteten, machten die, welche ſie erhaſch- ten, gleich nieder, und fuͤhrten alle ihr Hab und Gut mit ſich weg. Thalibalds Soͤhne raubten alleine drey Lieflaͤndiſche Talente *) an Silber, ohne Kleider, Pferde und viel andere Beute, welches ſie alles nach Beverin mitnahmen. Gleichfals war die ganze Armee den erſten, andern und dritten Tag hinter den fluͤchtenden Eſthen allenthalben her, und ſchlugen ſie hier und da todt, bis ſie muͤde und mat waren, ſowol ſie ſelbſt, als ihre Pferde. Endlich den vierten Tag darauf kamen ſie insgeſamt an einem Ort mit allem ihrem Raube zuſammen, trieben noch viel Pferde und Vieh weg, nahmen Weiber und Kinder und Maͤdgen mit ſich, mach- ten fette Beute und kehrten froͤlich wieder nach Liefland, da ſie denn den HErrn lobten, der ſie an den Heiden gerochen hatte. Die Heiden wurden hieruͤber be- ſtuͤrzt, und machten ein erbaͤrmliches Weinen und Heulen. Denn Eſthland be- weinete ſeine Kinder und wolte ſich nicht troͤſten laſſen, weil dieſe verloren waren, ſowol hier, als in jenem Leben, ſonderlich aber wegen der Vielheit der Erſchlagenen, die nicht zu zaͤhlen waren. 1213 b⁾ Daß dieſes Rotalien den Schweden vormals viel zu thun gemacht, indem es einige in Schweden ſelbſt geſuchet haben **), zeiget Herr Erich Benzelius uͤber Vaſto- vium p. 59, vornemlich nachdem ſie in Ruſſovs Lieflaͤndiſcher Chronik p. 8. fuͤr Rotal durch ein Verſehen Rokal gedruckt gefunden. Es iſt aber Rotalien ein klein Laͤndgen an der Seekuͤſte von Eſthland, der Jnſel Oeſel gegen uͤber, welche Seeſeite auf deutſch die Strand-Wyck, auf eſthniſch Loͤnema heiſſet: worinne das Kirchſpiel Roͤtel, auf eſthniſch Riddalikirrik den vorigen Namen beybehalten. §. 6. Nachher in der Faſtenzeit entſtand um Mitternacht in der Stadt Riga eine ſtarke Feuersbrunſt, wodurch der Haupttheil der Stadt, der nemlich zuerſt ge- bauet und am erſten mit einer Mauer verſehen worden, im Rauch aufging; von der Marienkirche an, die mit ihren groſſen Glocken verbrante, bis an den Hof des Biſchofs und die dranſtoſſenden Haͤuſer bis an die Ritterſchaftskirche. Die Leu- te betruͤbten ſich hauptſaͤchlich uͤber die angenehm ſchallende Sturmglocke, und uͤber den in der Stadt geſchehenen Schaden; man goß aber kurz nachher eine andre Glocke, die noch groͤſſer war, als die erſte. §. 7. Nachdem nun die Muͤden von dieſem Feldzuge ausgeruhet, und ſo wol ſie, als ihre Pferde ſich wieder erholet hatten; ſo ſchrieben ſie in der Faſten einen an- dern Feldzug aus. Die Rigiſchen brachen auf, riefen die Liven und Letten mit ſich, zogen nach Saccala, lieſſen das Schloß Viliende im Ruͤcken, pluͤnderten das ganze herumliegende Land, und verſamleten ſich endlich unverſehens bey dem Schloſſe des Lembit, ſo Leale heiſſet. Die im Schloſſe befindlichen Eſthen aber, *) Jch weiß nicht, ob das Lispfunde ſeyn; das waͤre zu ſelbiger Zeit ein ziemlicher Reichthum geweſen, da das Silber noch ungemein rar war, und man damit gar vieles kaufen konte. Vielleicht iſt das Wort Lispfund aus Liviſch Pfund zuſammen gezogen, und von den dahin handelnden Nationen bey- behalten worden; da zumal dieſe Sprache ein beſonder Wort Leiſik dazu hat. **) Es ſetzen nemlich einige Schwediſche Geſchichtſchreiber, der Biſchof Karl von Lincoͤping und der Herzog Karl, waͤren nicht weit von Lincoͤping zu Rotala in Oſtergothland umgebracht wor- den. Daß aber die Gleichheit der Namen dieſe unaleiche Meynung veranlaſſet, erhellet aus dem, was beym Jahr 1219. n. 3. vorkomt. Ehe die Stadt Hapſal erbauet worden, fuͤhrte der nordliche Theil von der Wyck nach dem Roͤtelſchen Landſtriche den Namen Rotalien, der nunmehr bey Aufnahme der Stadt Hapſal verloſchen und aus dem Gebrauch gekommen. Weil das Alterthum dieſer Stadt nicht bis in dieſe ſpaͤten Zeiten gehet: ſo kan von ihrer Erbauung nicht eher als im andern Theil Erweh- nung geſchehen. E e

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/141>, abgerufen am 21.11.2024.