Das Schaf mußte von allen Thieren vieles lei- den. Da trat es vor den Zevs, und bat, sein Elend zu mindern.
Zevs schien willig, und sprach zu dem Schafe: Ich sehe wohl, mein frommes Geschöpf, ich habe dich allzu wehrlos erschaffen. Nun wähle, wie ich diesem Fehler am besten abhelfen soll. Soll ich deinen Mund mit schrecklichen Zähnen, und deine Füsse mit Krallen rüsten? --
O nein, sagte das Schaf; ich will nichts mit den reissenden Thieren gemein haben.
Oder, fuhr Zevs fort, soll ich Gift in deinen Speichel legen?
Ach! versetzte das Schaf; die giftigen Schlan- gen werden ja so sehr gehasset. --
Nun was soll ich denn? Ich will Hörner auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem Nacken geben.
Auch
D 5
XVIII. Zevs und das Schaf.
Das Schaf mußte von allen Thieren vieles lei- den. Da trat es vor den Zevs, und bat, ſein Elend zu mindern.
Zevs ſchien willig, und ſprach zu dem Schafe: Ich ſehe wohl, mein frommes Geſchöpf, ich habe dich allzu wehrlos erſchaffen. Nun wähle, wie ich dieſem Fehler am beſten abhelfen ſoll. Soll ich deinen Mund mit ſchrecklichen Zähnen, und deine Füſſe mit Krallen rüſten? —
O nein, ſagte das Schaf; ich will nichts mit den reiſſenden Thieren gemein haben.
Oder, fuhr Zevs fort, ſoll ich Gift in deinen Speichel legen?
Ach! verſetzte das Schaf; die giftigen Schlan- gen werden ja ſo ſehr gehaſſet. —
Nun was ſoll ich denn? Ich will Hörner auf deine Stirne pflanzen, und Stärke deinem Nacken geben.
Auch
D 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbn="57"facs="#f0077"/><divn="2"><head><hirendition="#aq"><hirendition="#g">XVIII.</hi></hi><lb/><hirendition="#fr">Zevs</hi> und das <hirendition="#fr">Schaf.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>as Schaf mußte von allen Thieren vieles lei-<lb/>
den. Da trat es vor den Zevs, und bat, ſein<lb/>
Elend zu mindern.</p><lb/><p>Zevs ſchien willig, und ſprach zu dem Schafe:<lb/>
Ich ſehe wohl, mein frommes Geſchöpf, ich habe<lb/>
dich allzu wehrlos erſchaffen. Nun wähle, wie<lb/>
ich dieſem Fehler am beſten abhelfen ſoll. Soll ich<lb/>
deinen Mund mit ſchrecklichen Zähnen, und deine<lb/>
Füſſe mit Krallen rüſten? —</p><lb/><p>O nein, ſagte das Schaf; ich will nichts mit<lb/>
den reiſſenden Thieren gemein haben.</p><lb/><p>Oder, fuhr Zevs fort, ſoll ich Gift in deinen<lb/>
Speichel legen?</p><lb/><p>Ach! verſetzte das Schaf; die giftigen Schlan-<lb/>
gen werden ja ſo ſehr gehaſſet. —</p><lb/><p>Nun was ſoll ich denn? Ich will Hörner auf deine<lb/>
Stirne pflanzen, und Stärke deinem Nacken geben.</p><lb/><fwtype="sig"place="bottom">D 5</fw><fwtype="catch"place="bottom">Auch</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[57/0077]
XVIII.
Zevs und das Schaf.
Das Schaf mußte von allen Thieren vieles lei-
den. Da trat es vor den Zevs, und bat, ſein
Elend zu mindern.
Zevs ſchien willig, und ſprach zu dem Schafe:
Ich ſehe wohl, mein frommes Geſchöpf, ich habe
dich allzu wehrlos erſchaffen. Nun wähle, wie
ich dieſem Fehler am beſten abhelfen ſoll. Soll ich
deinen Mund mit ſchrecklichen Zähnen, und deine
Füſſe mit Krallen rüſten? —
O nein, ſagte das Schaf; ich will nichts mit
den reiſſenden Thieren gemein haben.
Oder, fuhr Zevs fort, ſoll ich Gift in deinen
Speichel legen?
Ach! verſetzte das Schaf; die giftigen Schlan-
gen werden ja ſo ſehr gehaſſet. —
Nun was ſoll ich denn? Ich will Hörner auf deine
Stirne pflanzen, und Stärke deinem Nacken geben.
Auch
D 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/77>, abgerufen am 04.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.