Hamburgische Dramaturgie. Fünf und funfzigstes Stück.
Den 10ten November, 1767.
Was die Königinn gefürchtet hatte, ge- schieht; Essex wird nach den Gesetzen schuldig befunden und verurtheilet, den Kopf zu verlieren; sein Freund Southampton desgleichen. Nun weiß zwar Elisabeth, daß sie, als Königinn, den Verbrecher begnadigen kann; aber sie glaubt auch, daß eine solche frey- willige Begnadigung auf ihrer Seite eine Schwäche verrathen würde, die keiner Königinn gezieme; und also will sie so lange warten, bis er ihr den Ring senden, und selbst um sein Leben bitten wird. Voller Ungeduld indeß, daß es je eher je lieber geschehen möge, schickt sie die Nottingham zu ihm, und läßt ihn erinnern, an seine Rettung zu denken. Nottingham stellt sich, das zärtlichste Mitleid für ihn zu fühlen; und er vertrauet ihr das kostbare Unterpfand sei- nes Lebens, mit der demüthigsten Bitte an die
Kö-
C
Hamburgiſche Dramaturgie. Fünf und funfzigſtes Stück.
Den 10ten November, 1767.
Was die Königinn gefürchtet hatte, ge- ſchieht; Eſſex wird nach den Geſetzen ſchuldig befunden und verurtheilet, den Kopf zu verlieren; ſein Freund Southampton desgleichen. Nun weiß zwar Eliſabeth, daß ſie, als Königinn, den Verbrecher begnadigen kann; aber ſie glaubt auch, daß eine ſolche frey- willige Begnadigung auf ihrer Seite eine Schwäche verrathen würde, die keiner Königinn gezieme; und alſo will ſie ſo lange warten, bis er ihr den Ring ſenden, und ſelbſt um ſein Leben bitten wird. Voller Ungeduld indeß, daß es je eher je lieber geſchehen möge, ſchickt ſie die Nottingham zu ihm, und läßt ihn erinnern, an ſeine Rettung zu denken. Nottingham ſtellt ſich, das zärtlichſte Mitleid für ihn zu fühlen; und er vertrauet ihr das koſtbare Unterpfand ſei- nes Lebens, mit der demüthigſten Bitte an die
Kö-
C
<TEI><text><body><pbfacs="#f0023"n="[17]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Hamburgiſche<lb/><hirendition="#g">Dramaturgie</hi>.</hi><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Fünf und funfzigſtes Stück.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><dateline><hirendition="#c">Den 10ten November, 1767.</hi></dateline><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>as die Königinn gefürchtet hatte, ge-<lb/>ſchieht; Eſſex wird nach den Geſetzen<lb/>ſchuldig befunden und verurtheilet, den<lb/>
Kopf zu verlieren; ſein Freund Southampton<lb/>
desgleichen. Nun weiß zwar Eliſabeth, daß<lb/>ſie, als Königinn, den Verbrecher begnadigen<lb/>
kann; aber ſie glaubt auch, daß eine ſolche frey-<lb/>
willige Begnadigung auf ihrer Seite eine<lb/>
Schwäche verrathen würde, die keiner Königinn<lb/>
gezieme; und alſo will ſie ſo lange warten, bis<lb/>
er ihr den Ring ſenden, und ſelbſt um ſein Leben<lb/>
bitten wird. Voller Ungeduld indeß, daß es<lb/>
je eher je lieber geſchehen möge, ſchickt ſie die<lb/>
Nottingham zu ihm, und läßt ihn erinnern, an<lb/>ſeine Rettung zu denken. Nottingham ſtellt<lb/>ſich, das zärtlichſte Mitleid für ihn zu fühlen;<lb/>
und er vertrauet ihr das koſtbare Unterpfand ſei-<lb/>
nes Lebens, mit der demüthigſten Bitte an die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C</fw><fwplace="bottom"type="catch">Kö-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[17]/0023]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Fünf und funfzigſtes Stück.
Den 10ten November, 1767.
Was die Königinn gefürchtet hatte, ge-
ſchieht; Eſſex wird nach den Geſetzen
ſchuldig befunden und verurtheilet, den
Kopf zu verlieren; ſein Freund Southampton
desgleichen. Nun weiß zwar Eliſabeth, daß
ſie, als Königinn, den Verbrecher begnadigen
kann; aber ſie glaubt auch, daß eine ſolche frey-
willige Begnadigung auf ihrer Seite eine
Schwäche verrathen würde, die keiner Königinn
gezieme; und alſo will ſie ſo lange warten, bis
er ihr den Ring ſenden, und ſelbſt um ſein Leben
bitten wird. Voller Ungeduld indeß, daß es
je eher je lieber geſchehen möge, ſchickt ſie die
Nottingham zu ihm, und läßt ihn erinnern, an
ſeine Rettung zu denken. Nottingham ſtellt
ſich, das zärtlichſte Mitleid für ihn zu fühlen;
und er vertrauet ihr das koſtbare Unterpfand ſei-
nes Lebens, mit der demüthigſten Bitte an die
Kö-
C
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [17]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/23>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.