Hamburgische Dramaturgie. Ein und siebzigstes Stück.
Den 5ten Januar, 1768.
Es scheinet nicht, daß der Herr von Voltaire, seit dem er aus der Klasse bey den Jesui- ten gekommen, den Terenz viel wieder gelesen habe. Er spricht ganz so davon, als von einem alten Traume; es schwebt ihm nur noch so was davon im Gedächtnisse; und das schreibt er auf gut Glück so hin, unbekümmert, ob es gehauen oder gestochen ist. Jch will ihm nicht aufmutzen, was er von der Pamphila des Stücks sagt, "daß sie blos auf dem Theater erscheine, um nieder zu kommen." Sie erscheinet gar nicht auf dem Theater; sie kömmt nicht auf dem Thea- ter nieder; man vernimt blos ihre Stimme aus dem Hause; und warum sie eigentlich die in- teressanteste Rolle spielen müßte, das läßt sich auch gar nicht absehen. Den Griechen und Römern war nicht alles interessant, was es den Franzosen ist. Ein gutes Mädchen, das mit
ihrem
T
Hamburgiſche Dramaturgie. Ein und ſiebzigſtes Stück.
Den 5ten Januar, 1768.
Es ſcheinet nicht, daß der Herr von Voltaire, ſeit dem er aus der Klaſſe bey den Jeſui- ten gekommen, den Terenz viel wieder geleſen habe. Er ſpricht ganz ſo davon, als von einem alten Traume; es ſchwebt ihm nur noch ſo was davon im Gedächtniſſe; und das ſchreibt er auf gut Glück ſo hin, unbekümmert, ob es gehauen oder geſtochen iſt. Jch will ihm nicht aufmutzen, was er von der Pamphila des Stücks ſagt, „daß ſie blos auf dem Theater erſcheine, um nieder zu kommen.„ Sie erſcheinet gar nicht auf dem Theater; ſie kömmt nicht auf dem Thea- ter nieder; man vernimt blos ihre Stimme aus dem Hauſe; und warum ſie eigentlich die in- tereſſanteſte Rolle ſpielen müßte, das läßt ſich auch gar nicht abſehen. Den Griechen und Römern war nicht alles intereſſant, was es den Franzoſen iſt. Ein gutes Mädchen, das mit
ihrem
T
<TEI><text><body><pbfacs="#f0151"n="[145]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Hamburgiſche<lb/><hirendition="#g">Dramaturgie</hi>.<lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Ein und ſiebzigſtes Stück.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><dateline><hirendition="#c">Den 5ten Januar, 1768.</hi></dateline><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">E</hi>s ſcheinet nicht, daß der Herr von Voltaire,<lb/>ſeit dem er aus der Klaſſe bey den Jeſui-<lb/>
ten gekommen, den Terenz viel wieder<lb/>
geleſen habe. Er ſpricht ganz ſo davon, als von<lb/>
einem alten Traume; es ſchwebt ihm nur noch ſo<lb/>
was davon im Gedächtniſſe; und das ſchreibt<lb/>
er auf gut Glück ſo hin, unbekümmert, ob es<lb/>
gehauen oder geſtochen iſt. Jch will ihm nicht<lb/>
aufmutzen, was er von der Pamphila des Stücks<lb/>ſagt, „daß ſie blos auf dem Theater erſcheine,<lb/>
um nieder zu kommen.„ Sie erſcheinet gar nicht<lb/>
auf dem Theater; ſie kömmt nicht auf dem Thea-<lb/>
ter nieder; man vernimt blos ihre Stimme aus<lb/>
dem Hauſe; und warum ſie eigentlich die in-<lb/>
tereſſanteſte Rolle ſpielen müßte, das läßt ſich<lb/>
auch gar nicht abſehen. Den Griechen und<lb/>
Römern war nicht alles intereſſant, was es den<lb/>
Franzoſen iſt. Ein gutes Mädchen, das mit<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T</fw><fwplace="bottom"type="catch">ihrem</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[145]/0151]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Ein und ſiebzigſtes Stück.
Den 5ten Januar, 1768.
Es ſcheinet nicht, daß der Herr von Voltaire,
ſeit dem er aus der Klaſſe bey den Jeſui-
ten gekommen, den Terenz viel wieder
geleſen habe. Er ſpricht ganz ſo davon, als von
einem alten Traume; es ſchwebt ihm nur noch ſo
was davon im Gedächtniſſe; und das ſchreibt
er auf gut Glück ſo hin, unbekümmert, ob es
gehauen oder geſtochen iſt. Jch will ihm nicht
aufmutzen, was er von der Pamphila des Stücks
ſagt, „daß ſie blos auf dem Theater erſcheine,
um nieder zu kommen.„ Sie erſcheinet gar nicht
auf dem Theater; ſie kömmt nicht auf dem Thea-
ter nieder; man vernimt blos ihre Stimme aus
dem Hauſe; und warum ſie eigentlich die in-
tereſſanteſte Rolle ſpielen müßte, das läßt ſich
auch gar nicht abſehen. Den Griechen und
Römern war nicht alles intereſſant, was es den
Franzoſen iſt. Ein gutes Mädchen, das mit
ihrem
T
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [145]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/151>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.