Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Vermischte Nationalgesichter.
lich mehr dem Garrik, als dem Engländer eigen ist) das zwar im Kupfer ärgerlich vergröberte
Nasenloch mit dem äußerst bedeutenden Schättchen gegen die Nasenspitze -- die Muskeln am Auge
und der Nase herab gegen den Mund -- der feine, mit Salz bestreute, obgleich wieder vernachläs-
sigte, Mund -- das hervorstehende, nicht scharfe, nicht stumpfe Kinn -- und die gute Proportion
der ganzen Form -- kann das alles, ich glaub's nicht -- in irgend einem der weisesten Russen oder
Mohren, oder chinesischen Gesichte zusammen gedacht werden?

B. Ns. 2. 1) Ein Spanier, 2) Holländer, 3) Mohr, 4) Virginier.

Man sehe hier noch verschiedene Nationalköpfe, die sich noch mehr von einander unterschei-
den, als die vorigen.

Des IV Ban-
des XIX Ta-
fel. 2. Ns. Vier
Köpfe in Ova-
len.

1. Ludwig von Varges, ein Mahler von Seville in Spanien gebürtig --
voll spanischen Ausdrucks! Breite und hohe Stirn -- kernhafte Augenbraunen, offne
nicht zusinkende Augen; eine breite Nase, oder vielmehr eine Nase mit breitem Rücken;
Trockenheit, Muth, Trutz, oder vielmehr Verschlossenheit im Munde.

2. Wilhelm Hondius, ein Kupferstecher aus dem Haage, nach Vandyk. Man ver-
gleiche Holländer und Spanier -- man vergleiche Demuth und Stolz; sanfte, matte, hin-
schleichende Fleißarbeit -- mit kühnem, trutzendem, sich fühlendem Heldengeiste. Hier abgerun-
detere -- freylich auch nicht gemeine, nicht unedle, beynahe Cartesische Stirn -- hier geschweiftere
Augenbraunen -- hier mattere, zusinkendere Augen; das ganze Gesicht ovaler, geschmeidiger, jung-
fräulicher.

3. Ein Mohr -- Das Bogigte im Umrisse des ganzen Gesichtes; die Breite der Augen;
die Zerdrücktheit der Nase; besonders aber die so stark aufgeworfenen, vorhängenden, zähen Lippen;
entfernt von aller Feinheit und Grazie -- bezeichnen das Mohrische.

4. Ein Amerikaner aus Virginien gebürtig. *) -- Wie viel edler, gutherziger, empfind-
samer, fein wollüstiger, als der Mohr! welche Weiblichkeit im Ganzen! welche reine Wölbung des
Schädels! Beyläufig die Anmerkung, oder Frage: diese tiefen zusinkenden Augen, sind sie nicht bey-
nahe beständig mit dieser Höhlung am Profile der Nase vergesellschaftet? Und findet man sie anders,
als bey Liebevollen?

Nachste-
*) Wenn alle Amerikaner so aussähen -- wie stünd' es mit unsern Recherches philosophiques?

Vermiſchte Nationalgeſichter.
lich mehr dem Garrik, als dem Englaͤnder eigen iſt) das zwar im Kupfer aͤrgerlich vergroͤberte
Naſenloch mit dem aͤußerſt bedeutenden Schaͤttchen gegen die Naſenſpitze — die Muskeln am Auge
und der Naſe herab gegen den Mund — der feine, mit Salz beſtreute, obgleich wieder vernachlaͤſ-
ſigte, Mund — das hervorſtehende, nicht ſcharfe, nicht ſtumpfe Kinn — und die gute Proportion
der ganzen Form — kann das alles, ich glaub’s nicht — in irgend einem der weiſeſten Ruſſen oder
Mohren, oder chineſiſchen Geſichte zuſammen gedacht werden?

B. Ns. 2. 1) Ein Spanier, 2) Hollaͤnder, 3) Mohr, 4) Virginier.

Man ſehe hier noch verſchiedene Nationalkoͤpfe, die ſich noch mehr von einander unterſchei-
den, als die vorigen.

Des IV Ban-
des XIX Ta-
fel. 2. Ns. Vier
Koͤpfe in Ova-
len.

1. Ludwig von Varges, ein Mahler von Seville in Spanien gebuͤrtig —
voll ſpaniſchen Ausdrucks! Breite und hohe Stirn — kernhafte Augenbraunen, offne
nicht zuſinkende Augen; eine breite Naſe, oder vielmehr eine Naſe mit breitem Ruͤcken;
Trockenheit, Muth, Trutz, oder vielmehr Verſchloſſenheit im Munde.

2. Wilhelm Hondius, ein Kupferſtecher aus dem Haage, nach Vandyk. Man ver-
gleiche Hollaͤnder und Spanier — man vergleiche Demuth und Stolz; ſanfte, matte, hin-
ſchleichende Fleißarbeit — mit kuͤhnem, trutzendem, ſich fuͤhlendem Heldengeiſte. Hier abgerun-
detere — freylich auch nicht gemeine, nicht unedle, beynahe Carteſiſche Stirn — hier geſchweiftere
Augenbraunen — hier mattere, zuſinkendere Augen; das ganze Geſicht ovaler, geſchmeidiger, jung-
fraͤulicher.

3. Ein Mohr — Das Bogigte im Umriſſe des ganzen Geſichtes; die Breite der Augen;
die Zerdruͤcktheit der Naſe; beſonders aber die ſo ſtark aufgeworfenen, vorhaͤngenden, zaͤhen Lippen;
entfernt von aller Feinheit und Grazie — bezeichnen das Mohriſche.

4. Ein Amerikaner aus Virginien gebuͤrtig. *) — Wie viel edler, gutherziger, empfind-
ſamer, fein wolluͤſtiger, als der Mohr! welche Weiblichkeit im Ganzen! welche reine Woͤlbung des
Schaͤdels! Beylaͤufig die Anmerkung, oder Frage: dieſe tiefen zuſinkenden Augen, ſind ſie nicht bey-
nahe beſtaͤndig mit dieſer Hoͤhlung am Profile der Naſe vergeſellſchaftet? Und findet man ſie anders,
als bey Liebevollen?

Nachſte-
*) Wenn alle Amerikaner ſo ausſaͤhen — wie ſtuͤnd’ es mit unſern Recherches philoſophiques?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0365" n="311"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Nationalge&#x017F;ichter.</hi></fw><lb/>
lich mehr dem <hi rendition="#fr">Garrik,</hi> als dem <hi rendition="#fr">Engla&#x0364;nder</hi> eigen i&#x017F;t) das zwar im Kupfer a&#x0364;rgerlich vergro&#x0364;berte<lb/>
Na&#x017F;enloch mit dem a&#x0364;ußer&#x017F;t bedeutenden Scha&#x0364;ttchen gegen die Na&#x017F;en&#x017F;pitze &#x2014; die <hi rendition="#fr">Muskeln</hi> am Auge<lb/>
und der Na&#x017F;e herab gegen den Mund &#x2014; der feine, mit Salz be&#x017F;treute, obgleich wieder vernachla&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;igte, Mund &#x2014; das hervor&#x017F;tehende, nicht &#x017F;charfe, nicht &#x017F;tumpfe Kinn &#x2014; und die gute Proportion<lb/>
der ganzen Form &#x2014; kann das alles, ich glaub&#x2019;s nicht &#x2014; in irgend einem der wei&#x017F;e&#x017F;ten Ru&#x017F;&#x017F;en oder<lb/>
Mohren, oder chine&#x017F;i&#x017F;chen Ge&#x017F;ichte zu&#x017F;ammen gedacht werden?</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#aq">B. Ns.</hi> <hi rendition="#b">2. 1) Ein Spanier, 2) Holla&#x0364;nder, 3) Mohr, 4) Virginier.</hi> </head><lb/>
              <p>Man &#x017F;ehe hier noch ver&#x017F;chiedene Nationalko&#x0364;pfe, die &#x017F;ich noch mehr von einander unter&#x017F;chei-<lb/>
den, als die vorigen.</p><lb/>
              <note place="left">Des <hi rendition="#aq">IV</hi> Ban-<lb/>
des <hi rendition="#aq">XIX</hi> Ta-<lb/>
fel. 2. <hi rendition="#aq">Ns.</hi> Vier<lb/>
Ko&#x0364;pfe in Ova-<lb/>
len.</note>
              <p>1. <hi rendition="#fr">Ludwig von Varges,</hi> ein Mahler von <hi rendition="#fr">Seville</hi> in Spanien gebu&#x0364;rtig &#x2014;<lb/>
voll &#x017F;pani&#x017F;chen Ausdrucks! Breite und hohe Stirn &#x2014; kernhafte Augenbraunen, offne<lb/>
nicht zu&#x017F;inkende Augen; eine breite Na&#x017F;e, oder vielmehr eine Na&#x017F;e mit breitem Ru&#x0364;cken;<lb/>
Trockenheit, Muth, Trutz, oder vielmehr Ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit im Munde.</p><lb/>
              <p>2. <hi rendition="#fr">Wilhelm Hondius,</hi> ein Kupfer&#x017F;techer aus dem <hi rendition="#fr">Haage,</hi> nach <hi rendition="#fr">Vandyk.</hi> Man ver-<lb/>
gleiche <hi rendition="#fr">Holla&#x0364;nder</hi> und <hi rendition="#fr">Spanier</hi> &#x2014; man vergleiche <hi rendition="#fr">Demuth</hi> und <hi rendition="#fr">Stolz;</hi> &#x017F;anfte, matte, hin-<lb/>
&#x017F;chleichende Fleißarbeit &#x2014; mit ku&#x0364;hnem, trutzendem, &#x017F;ich fu&#x0364;hlendem Heldengei&#x017F;te. Hier abgerun-<lb/>
detere &#x2014; freylich auch nicht gemeine, nicht unedle, beynahe Carte&#x017F;i&#x017F;che Stirn &#x2014; hier ge&#x017F;chweiftere<lb/>
Augenbraunen &#x2014; hier mattere, zu&#x017F;inkendere Augen; das ganze Ge&#x017F;icht ovaler, ge&#x017F;chmeidiger, jung-<lb/>
fra&#x0364;ulicher.</p><lb/>
              <p>3. Ein <hi rendition="#fr">Mohr</hi> &#x2014; Das Bogigte im Umri&#x017F;&#x017F;e des ganzen Ge&#x017F;ichtes; die Breite der Augen;<lb/>
die Zerdru&#x0364;cktheit der Na&#x017F;e; be&#x017F;onders aber die &#x017F;o &#x017F;tark aufgeworfenen, vorha&#x0364;ngenden, za&#x0364;hen Lippen;<lb/>
entfernt von aller Feinheit und Grazie &#x2014; bezeichnen das Mohri&#x017F;che.</p><lb/>
              <p>4. Ein <hi rendition="#fr">Amerikaner</hi> aus Virginien gebu&#x0364;rtig. <note place="foot" n="*)">Wenn alle Amerikaner &#x017F;o aus&#x017F;a&#x0364;hen &#x2014; wie &#x017F;tu&#x0364;nd&#x2019; es mit un&#x017F;ern <hi rendition="#aq">Recherches philo&#x017F;ophiques?</hi></note> &#x2014; Wie viel edler, gutherziger, empfind-<lb/>
&#x017F;amer, fein wollu&#x0364;&#x017F;tiger, als der Mohr! welche Weiblichkeit im Ganzen! welche reine Wo&#x0364;lbung des<lb/>
Scha&#x0364;dels! Beyla&#x0364;ufig die Anmerkung, oder Frage: die&#x017F;e tiefen zu&#x017F;inkenden Augen, &#x017F;ind &#x017F;ie nicht bey-<lb/>
nahe be&#x017F;ta&#x0364;ndig mit die&#x017F;er Ho&#x0364;hlung am Profile der Na&#x017F;e verge&#x017F;ell&#x017F;chaftet? Und findet man &#x017F;ie anders,<lb/>
als bey Liebevollen?</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Nach&#x017F;te-</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0365] Vermiſchte Nationalgeſichter. lich mehr dem Garrik, als dem Englaͤnder eigen iſt) das zwar im Kupfer aͤrgerlich vergroͤberte Naſenloch mit dem aͤußerſt bedeutenden Schaͤttchen gegen die Naſenſpitze — die Muskeln am Auge und der Naſe herab gegen den Mund — der feine, mit Salz beſtreute, obgleich wieder vernachlaͤſ- ſigte, Mund — das hervorſtehende, nicht ſcharfe, nicht ſtumpfe Kinn — und die gute Proportion der ganzen Form — kann das alles, ich glaub’s nicht — in irgend einem der weiſeſten Ruſſen oder Mohren, oder chineſiſchen Geſichte zuſammen gedacht werden? B. Ns. 2. 1) Ein Spanier, 2) Hollaͤnder, 3) Mohr, 4) Virginier. Man ſehe hier noch verſchiedene Nationalkoͤpfe, die ſich noch mehr von einander unterſchei- den, als die vorigen. 1. Ludwig von Varges, ein Mahler von Seville in Spanien gebuͤrtig — voll ſpaniſchen Ausdrucks! Breite und hohe Stirn — kernhafte Augenbraunen, offne nicht zuſinkende Augen; eine breite Naſe, oder vielmehr eine Naſe mit breitem Ruͤcken; Trockenheit, Muth, Trutz, oder vielmehr Verſchloſſenheit im Munde. 2. Wilhelm Hondius, ein Kupferſtecher aus dem Haage, nach Vandyk. Man ver- gleiche Hollaͤnder und Spanier — man vergleiche Demuth und Stolz; ſanfte, matte, hin- ſchleichende Fleißarbeit — mit kuͤhnem, trutzendem, ſich fuͤhlendem Heldengeiſte. Hier abgerun- detere — freylich auch nicht gemeine, nicht unedle, beynahe Carteſiſche Stirn — hier geſchweiftere Augenbraunen — hier mattere, zuſinkendere Augen; das ganze Geſicht ovaler, geſchmeidiger, jung- fraͤulicher. 3. Ein Mohr — Das Bogigte im Umriſſe des ganzen Geſichtes; die Breite der Augen; die Zerdruͤcktheit der Naſe; beſonders aber die ſo ſtark aufgeworfenen, vorhaͤngenden, zaͤhen Lippen; entfernt von aller Feinheit und Grazie — bezeichnen das Mohriſche. 4. Ein Amerikaner aus Virginien gebuͤrtig. *) — Wie viel edler, gutherziger, empfind- ſamer, fein wolluͤſtiger, als der Mohr! welche Weiblichkeit im Ganzen! welche reine Woͤlbung des Schaͤdels! Beylaͤufig die Anmerkung, oder Frage: dieſe tiefen zuſinkenden Augen, ſind ſie nicht bey- nahe beſtaͤndig mit dieſer Hoͤhlung am Profile der Naſe vergeſellſchaftet? Und findet man ſie anders, als bey Liebevollen? Nachſte- *) Wenn alle Amerikaner ſo ausſaͤhen — wie ſtuͤnd’ es mit unſern Recherches philoſophiques?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/365
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/365>, abgerufen am 17.11.2024.