Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.III. Abschnitt. VII. Fragment. Veränderungen, die von der Beschaffenheit der Lunge herrühren. Der von langer Statur und platter Brustwird schwache Stimme haben, der Krankheiten nicht zu gedenken. Auf diesen Gedanken, der schwerer auszuführen als zu erfinden ist, hat mich die unzählige Art ja und So vielerley Anlässe es giebt, eines von diesen zu sagen, z. B. Versicherung, Entscheidung, Freude, Angst, Vermöge der Erfahrung, daß unter gewissen Umständen auch der Denker leerköpfig, der Beherzte Siebentes Fragment. Vermischte Stellen. 1. Campanella. *) Der hatte nicht nur sehr genaue Beobachtungen über die menschlichen Gesichtszüge gemacht, sondern er be- unwill- *) Burke's philos. Untersuchung übers Erhabene und Schöne. S. 216. 218.
III. Abſchnitt. VII. Fragment. Veraͤnderungen, die von der Beſchaffenheit der Lunge herruͤhren. Der von langer Statur und platter Bruſtwird ſchwache Stimme haben, der Krankheiten nicht zu gedenken. Auf dieſen Gedanken, der ſchwerer auszufuͤhren als zu erfinden iſt, hat mich die unzaͤhlige Art ja und So vielerley Anlaͤſſe es giebt, eines von dieſen zu ſagen, z. B. Verſicherung, Entſcheidung, Freude, Angſt, Vermoͤge der Erfahrung, daß unter gewiſſen Umſtaͤnden auch der Denker leerkoͤpfig, der Beherzte Siebentes Fragment. Vermiſchte Stellen. 1. Campanella. *) Der hatte nicht nur ſehr genaue Beobachtungen uͤber die menſchlichen Geſichtszuͤge gemacht, ſondern er be- unwill- *) Burke’s philoſ. Unterſuchung uͤbers Erhabene und Schoͤne. S. 216. 218.
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III. Abſchnitt. VII. Fragment.
Veraͤnderungen, die von der Beſchaffenheit der Lunge herruͤhren. Der von langer Statur und platter Bruſt
wird ſchwache Stimme haben, der Krankheiten nicht zu gedenken.
Auf dieſen Gedanken, der ſchwerer auszufuͤhren als zu erfinden iſt, hat mich die unzaͤhlige Art ja und
nein auszuſprechen, gebracht.
So vielerley Anlaͤſſe es giebt, eines von dieſen zu ſagen, z. B. Verſicherung, Entſcheidung, Freude, Angſt,
Scherz, Spott, und ſo mehr; ſo vielerley Ton kann auch der naͤmliche Menſch ſeinem Worte geben. Und den-
noch hat bey gleichem Anlaß jeder Menſch ſeine eigene Art, die mit ſeinem Charakter zuſammenſtimmt, offen
oder zuruͤckhaltend, ernſtlich oder leichtſinnig, theilnehmend oder kalt, muͤrriſch oder leutſelig, entſchloſſen oder
zaudernd — ja, nein, oder ſonſt etwas zu ſagen. Welch ein Unterſchied fuͤr die Geſellſchafter, und welch weite
Ritze ins Jnnerſte der Seele!
Vermoͤge der Erfahrung, daß unter gewiſſen Umſtaͤnden auch der Denker leerkoͤpfig, der Beherzte
verlegen, der Sanſtmuͤthige unwillig, der Heitere mißvergnuͤgt ausſehen kann; ließe ſich durch Huͤlfe dieſer
zufaͤlligen Zuͤge von jeder Bewegung ein Jdeal erfinden, und dieß waͤre ein wuͤrdiger Anhang und die hoͤchſte
Stufe der Phyſiognomik.
Siebentes Fragment.
Vermiſchte Stellen.
1.
Campanella. *)
Der hatte nicht nur ſehr genaue Beobachtungen uͤber die menſchlichen Geſichtszuͤge gemacht, ſondern er be-
ſaß auch in einem hohen Grade die Kunſt, die merklichſten nachzumachen. Wenn er Luſt hatte, die Neigung
derer, mit welchen er umgieng, zu erforſchen, ſo nahm er, ſo genau als er konnte, das Geſicht, die Gebaͤrden,
die ganze Stellung der Perſonen an, welche er unterſuchte, und dann gab er genau acht, in was fuͤr eine Ge-
muͤthsverfaſſung er durch dieſe Aenderung geſetzt wurde. Auf dieſe Weiſe war er im Stande, ſo vollkommen
(oder beſſer, einigermaßen) in die Geſinnungen und Gedanken des andern einzudringen, als wenn er ſich
in die Perſon deſſelben verwandelt haͤtte. So viel habe ich ſelbſt oft erfahren, daß, wenn ich die Mienen und
Gebaͤrden eines zornigen, ſanftmuͤthigen, kuͤhnen und furchtſamen Menſchen nachmache, ich in mir einen ganz
unwill-
*) Burke’s philoſ. Unterſuchung uͤbers Erhabene und Schoͤne. S. 216. 218.
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